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Heftige Kontroverse um Kommandoeinsatz

Hat die indische Polizei auf der Jagd nach maoistischen Guerilleros unschuldige Indigene getötet?

Von Hilmar König *

Um ein Kommandounternehmen der Zentralen Polizeireserve Indiens (CRPF) im Unionsstaat Chattisgarh ist eine heftige Kontroverse entbrannt. Beim »erfolgreichsten Einsatz« gegen die maoistische Guerilla sollen in Wirklichkeit 19 unschuldige Indigene getötet worden sein.

Es passierte in der Nacht vom 27. zum 28. Juni tief im Dantewada- Dschungel Chattisgarhs. Dorfbewohner hatten sich nach der Hitze des Tages in der Nacht versammelt, um über die Vorbereitungen zum »Saat-Festival« zu beraten. Während des Treffens wurde plötzlich von allen Seiten auf die Anwesenden geschossen. 300 Polizisten hatten die Siedlung umzingelt, wo sie Kämpfer der maoistischen Guerilla, auch als Naxaliten bezeichnet, vermuteten. Nach dem Angriff zählte man 19 tote Dörfler und sechs verletzte Polizisten. Der Sicherheitsapparat feierte den Überfall als bisher erfolgreichsten Einsatz gegen die Rebellen. Innenminister Chidambaram behauptete, unter den Toten seien drei namhafte Maoisten.

Doch kurz darauf äußerten Menschenrechtler erste Zweifel. Nach ihren Informationen handelte es sich bei den Toten, darunter ein 15-jähriges Mädchen, um unbewaffnete Einwohner der Siedlung. Der hinduistische Sozialreformer Swami Agnivesh und Richter Rajinder Sachar verlangten jetzt, wie zuvor schon die kommunistischen Parteien Indiens, eine Untersuchung der Ereignisse. KPI-Generalsekretär Sudhakar Reddy erklärte, selbst wenn ein oder zwei Naxaliten anwesend gewesen sein sollten, rechtfertige das nicht den Überfall. »Das Töten unschuldiger Indigener wird Ärger und Hass auf Polizei und Sicherheitskräfte schüren«, sagte er.

Die Organisation Students for Resistance sprach von »kaltblütigem Mord« an Dorfbewohnern. Es habe sich um ein friedliches Treffen gehandelt. Keiner der Getöteten habe der Naxalitenbewegung angehört oder eine kriminelle Vergangenheit gehabt. Charandas Mahant, der aus der Region stammende Staatsminister für Agrarwirtschaft, beklagte ebenfalls den Tod unschuldiger Dorfbewohner und warf der Regierung Chattisgarhs vor, falsche Angaben ans Innenministerium in Delhi geliefert zu haben.

Vijay Kumar, der Chef der Polizeitruppe, rechtfertigte die Kommandoaktion. Die Naxaliten hätten zuerst geschossen, behauptete er. Ein Generalinspektor der Polizei gab allerdings zu, dass man beim Schießen im Dunkeln nie wisse, »wen man vor sich hat und trifft«. Chefminister Raman Singh meinte, sollten Unschuldige ums Leben gekommen sein, liege die Verantwortung bei den Naxaliten, die oft Siedler als menschliche Schutzschilde missbrauchten.

Das Innenministerium in Delhi will von Chattisgarhs Regierung zumindest einen detaillierten Bericht. Die Forderung nach einer gerichtlichen Untersuchung blieb bisher unbeantwortet. Unterdessen hat die illegale maoistische Partei für den 5. Juli zu einem Generalstreik in der Dandakaranya- Region aufgerufen. Die Region erstreckt sich über die Unionsstaaten Chattisgarh, Jharkhand, Odisha und Andrah Pradesh. Die Students for Resistance erklärten, das von der hindunationalistischen Indischen Volkspartei regierte Chattisgarh sei »nicht der einzige Ort, wo sich die Brutalität der Sicherheitskräfte offenbart«. Überall würden unter dem Deckmantel des Antiterrorismus Indigene und kastenlose Dalits gejagt, die sich gegen Ausbeutung durch multinationale Konzerne wehren. Der Naxalismus sei nicht aus einer Fantasie entstanden, sondern als Antwort auf Ungerechtigkeit und staatliche Repression.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juli 2012


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