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Werft den Schleier weg!

Wie aus gegebenem Anlaß: In der Bibliothek des Widerstands ist ein Band über die indische Sozialrebellin Phoolan Devi erschienen

Von Henri Rudolph und David Wagner *

»Ich war eine Verbrecherin geworden«, hat Phoolan Devi (1963–2001) einmal erklärt. »Aber was sie ein Verbrechen nannten, nannte ich Gerechtigkeit.« Der 13. Band der Bibliothek des Widerstands über diese indische Sozialrebellin war gerade erschienen, als am 16. Dezember in Delhi die 23jährige Jyoti Singh Pandey von sechs Männern bestialisch vergewaltigt, gefoltert und nackt auf die Straße geworfen wurde. 13 Tage später starb sie an den Folgen des Verbrechens, das auch international für Schlagzeilen sorgte: Wie tickt die indische Gesellschaft? Wie können Frauen sich wehren?

Der Band über Phoolan Devi bietet dazu viel Überlegenswertes. Er stellt eine Frau vor, die in einer patriarchalischen, von tief verwurzeltem Kastendenken geprägten Gesellschaft lange keine andere Möglichkeit sah, sich gegen Mißhandlungen und Unrecht zu wehren als mit der Waffe in der Hand, zunächst als Mitglied einer Bande, später als Anführerin. Nach elf Jahren Kerkerhaft ohne Gerichtsprozeß wurde Phoolan Devi begnadigt und begann, als Parlamentsabgeordnete für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Am 25. Juli 2001 wurde sie in Neu-Delhi ermordet.

Viele von denen, die in den letzten Tagen in ganz Indien auf die Straße gingen und ein Umdenken in Familie, Schule, Polizei, Gerichtsbarkeit, medizinischem Dienst, Politik forderten, haben von Phoolan Devi nie gehört. Das ist bedauerlich. Unerschrocken gab die »Banditenkönigin« in aller Öffentlichkeit handfeste Hinweise zum Umgang mit alltäglichen Übergriffen: »Wenn ein Mann dich schlägt, schlag zurück. Nicht einmal, sondern zweimal.« 1999 riet sie den Frauen in einem Interview, das im besprochenen Sammelband abgedruckt ist: »Werft euren Schleier einfach weg, zeigt euch! Kämpft bis ans Ende eures Lebens!«

Mohan Bhagwat, ein konservativer Politiker von der hindunationalistischen Volkspartei BJP, meinte nach der Vergewaltigung Pandeys, so etwas gäbe es nur in den Städten, weil Frauen dort einen westlichen Lebensstil angenommen hätten, nicht aber auf dem Land. Als Phoolan Devi nach ihrer Begnadigung 1994 von einem ausländischen Journalisten nach ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gefragt wurde, gab sie eine Antwort, die heute noch Gültigkeit hat: »Was Sie (in Ihrer blumigen Sprache) Vergewaltigung nennen, das passiert armen Frauen auf dem indischen Land jeden Tag. Es wird davon ausgegangen, daß die Töchter der Armen den Reichen zum Gebrauch zur Verfügung stehen. Sie glauben, daß wir ihr Eigentum sind.« Aktuelle Statistiken bestätigen das. Im vergangenen Jahr wurden in Delhi mehr als 600 Vergewaltigungen angezeigt. Die horrende Dunkelziffer erklärt sich auch damit, daß es nur in einem einzigen Fall zu einer Verurteilung kam. Im Rest des Landes liegen die Dinge ganz ähnlich.

Dem entsprechen die Grundeinstellungen von geistlichen Führern wie Asaram Bapu. Der Hindu erklärte, Pandey hätte im Namen Gottes als Angehörige des schwächeren Geschlechts um Vergebung betteln müssen, und ihr wäre nichts passiert: »Schuld ist niemals einseitig.« So sehen das auch die vielen Politiker, die behaupten, Frauen würden fast immer mit ihrer Einwilligung vergewaltigt. Und Rechtsanwalt Manohar Lal Sharma, der einen der mutmaßlichen Vergewaltiger Pandeys vertritt, erklärte, ihm sei kein einziger Fall bekannt, in dem einer »ehrbaren Lady« Gewalt angetan worden wäre – selbst Unterweltgangster würden »ehrbare Mädchen« nicht berühren. Auf den Prozeß darf man gespannt sein.

Solch hegemonial erscheinende Frauenverachtung läßt gerade bei der weiblichen Landbevölkerung Fatalismus aufkommen. So war es anfangs auch bei Phoonan Devi. »Ich versuchte, mich zu unterwerfen, wie mein Vater es gesagt hatte, aber ich konnte es nicht«, hat sie einmal erklärt. »Es war zuviel Wut in mir.« Gewalt, Hunger, Aussichtslosigkeit ließen sie zur Banditin werden, die blutige Rache an ihren und anderen Peinigern nahm. Erbeutetes Geld ließ sie an Arme verteilen. So wurde sie zu einer Ikone der Unterdrückten und Geächteten, gejagt von Tausenden Paramilitärs, die aus Hubschraubern Bomben über der Chambal-Region abwarfen, in der sich Devi und ihre Kampfgefährten bewegten wie die sprichwörtlichen Fische im Wasser. Als die von den Entbehrungen des ungleichen Kampfes ausgezehrte Bande im Februar 1983 öffentlich die Waffen übergab, wohnten mehr als 10000 Sympathisanten und Neugierige dem Spektakel bei.

In einem Dokfilm, der dem Sammelband beiliegt – »Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin« (Regie: Mirjam Quinte, Pepe Danquart, D 1994, 80 min) – sieht man, wie die Titelheldin von einer Dorfgemeinschaft besungen und gefeiert wird. Sie selbst wird im Film in der Haft gezeigt, als kleine, schmächtige, vom Leben gezeichnete Frau mit einem dennoch bezaubernden Lächen. Als die Rede auf ihr widerfahrenes Unrecht kommt, ist ihr klarer, durchdringender Blick in die Kamera voller Haß.

Das Buch geht über Devi und ihr Wirken hinaus. Es enthält aktuelle Standpunkte von Parteien und Organisationen, die sich in der indischen Männergesellschaft für Frauenrechte engagieren. Alle setzen sich für eine Frauenquote im Parlament ein. Seit mehr als zehn Jahren liegen entsprechende Gesetzentwürfe vor. Ihre Umsetzung wird von Chauvinisten zugunsten des eigenen Machterhalts mit fadenscheinigen Argumenten verhindert.

Das abschließende Kapitel ist der »Gulabi Gang« gewidmet, einer relativ jungen Bewegung von Frauen, die pinkfarbene Saris zu ihrem Erkennungszeichen gemacht haben. Bewaffnet mit Schlagstöcken, wie sie die Polizei nicht selten gegen Demonstranten einsetzt, bringen sie Dorfvorsteher, Polizeibeamte oder gewalttätige Ehemänner zum Einlenken. Oft reicht dafür allerdings schon das bloße Erscheinen dieser Bürgerinnenwehr. Um diese Gang aus der Gegend, in der Phoolan Devi im ganz gewöhnlichen Horror heranwuchs, geht es auch auf der zweiten mit dem Band gelieferten DVD »Pink Saris« (Regie: Kim Lunginotto, GB/Indien 2010, 96 min).

»Außerstande, sich einer modernen sozialen Bewegung anzupassen«, mußte das Sozialbanditentum von Phoolan Devi, »auf sich selbst gestellt, unwirksam« bleiben, heißt es am Anfang des Sammelbandes mit Eric Hobsbawm. Devi pflegte in diesem Sinne auch keine Kontakte zur militanten Naxaliten-Bewegung der verbotenen maoistischen KP Indiens, die nach wie vor gegen überkommene Gesellschaftsstrukturen, staatlichen Machtmißbrauch, Unrecht, Diskriminierung und Ausbeutung der sozial Schwächsten kämpft, zu denen die Frauen in ihrer überwiegenden Zahl gehören. Das Kapitel über die Naxaliten hat der langjährige jW-Autor und Südasienkorrespondent Hilmar König verfaßt.

Willi Baer/Karl-Heinz Dellwo (Hrg.): Phoolan Devi – Die Rebellin. Laika Verlag, Hamburg 2012, 176 Seiten, 24,90 Euro

* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Januar 2013


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