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Streit um göttliche Adamsbrücke

Ein Kanal-Projekt ruft indische Hindufundamentalisten auf den Plan

Von Christoph Nepram, Delhi *

Das Projekt eines Kanals in der Meerenge zwischen Indien und Sri Lanka erhitzt die Gemüter. Die sogenannte Adamsbrücke soll für Hochseeschiffe passierbar gemacht werden. Doch indische Hindunationalisten wehren sich dagegen.

Die Adamsbrücke oder »Ram Setu« ist eine 90 Kilometer lange Kette von Sandbänken, Korallenriffen und Inseln in der Meerenge zwischen dem südindischen Tamil Nadu und der Nordwestspitze Sri Lankas. Ein 400-Millionen-Euro-Projekt sieht vor, diese Kette durch einen Kanal für Hochseeschiffe zu durchbrechen.

Darüber entrüstet sich die oppositionelle Indische Volkspartei BJP. Denn hinduistischem Glauben zufolge wurde die Adamsbrücke einst von der Armee des Affengottes Hanuman errichtet, damit Gottkönig Ram seine Frau Sita aus den Händen eines Dämons auf der Insel Lanka retten konnte. BJP-Größen wie der frühere Innenminister L.K. Advani fordern, das göttliche Bauwerk als »Teil der indischen Geschichte« zu schützen.

Schon einmal spielte die BJP die Ram-Karte auf aggressive Weise aus. Damals ging es um den angeblichen Geburtsort des Gottkönigs im nordindischen Ayodhya. Hindunationalisten behaupteten, er befinde sich genau dort, wo im 16. Jahrhundert eine Moschee errichtet wurde. Die Stimmung wurde derart aufgeheizt, dass Tausende Fanatiker am 6. Dezember 1992 das islamische Gotteshaus niederrissen. Bei den anschließenden Unruhen kamen landesweit mehr 2000 Menschen ums Leben.

Damals begann der politischer Aufstieg der BJP, der 1998 sogar zur Regierungsübernahme führte. Seit ihrer überraschenden Abwahl im Jahr 2004 tun sich die Hindunationalisten allerdings schwer. Grund genug für die Parteispitze, die von der Kongresspartei geführte Regierung durch Vermengung von Religion und Realität unter Druck zu setzen.

Die Regierung reagierte tatsächlich einigermaßen hilflos auf die Attacke. Zunächst wurde ein Bericht veröffentlicht, wonach es für die Bautätigkeit der Affenarmee an fraglichem Ort keine wissenschaftlichen Beweise gebe. Nachdem BJP-Anhänger daraufhin in mehreren Großstädten den Verkehr lahm gelegt hatten, zog die Regierung den Bericht zurück. Unbeeindruckt zeigte sich nur der Chefminister von Tamil Nadu, M. Karunanidhi, dessen Regionalpartei DMK auch der Regierung in Delhi angehört. Da es Gott Ram als historische Person nie gegeben habe, könne er nicht für den Bau der Adamsbrücke verantwortlich sein, erklärte der 83-Jährige und fragte: »Wer ist dieser Ram? Welche Ingenieursschule hat er besucht?«

Wütend warfen die Hindunationalisten dem Chefminister Gotteslästerung vor und drohten gar mit Bürgerkrieg, falls er seine Äußerungen nicht zurücknehme. Das tat Karunanidhi nicht. Und wenige Tage später forderte der Streit seine ersten Opfer. Im Unionsstaat Karnataka kamen zwei Menschen ums Leben, als Extremisten einen Bus aus Tamil Nadu in Brand steckten. In Bangalore attackierten Fanatiker das Haus von Karunanidhis Tochter, woraufhin DMK-Aktivisten das BJP-Büro in Chennai (Madras) in Trümmer legten.

Ein Ende der Kontroverse um den Kanal ist nicht in Sicht. Und die Zentralregierung schweigt – zum Ärger vieler Intellektueller. Der Staat dürfe sich dem Druck von Fundamentalisten nicht beugen, forderte der Publizist Praful Bidwai. Mythos und Religion seien in einem modernen Staat kein Maßstab für gesellschaftliches Handeln.

* Aus: Neues Deutschland, 25.09.2007


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