Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indiens Boombranche

Auf dem Subkontinent gilt die Telekommunikationsindustrie als Wachstumstreiber und Profitquelle. Nach den Wahlen sollen Netzbetreiber es noch leichter haben

Von Thomas Berger *

Indiens Politik betrachtet die Telekommunikationsbranche weiterhin als einen der Schlüssel­zweige des Wirtschaftswachstums auf dem Subkontinent. Dies wurde bereits unmittelbar vor den Parlamentswahlen noch einmal dadurch bekräftigt, daß der zuständige Staatssekretär im Ministerium die Netzbetreiber aufgerufen hat, binnen der kommenden Tage und Wochen darzulegen, auf welchen Ebenen es womöglich noch bürokratische, technische oder andere Hemmnisse gebe, die abgebaut werden sollten. Kurz, der gesamte Industriezeig soll weiter kräftig wachsen. Dies wäre für eine neue Regierung, die schon bald stehen könne, so Siddharth Behura, faktisch als Arbeitsauftrag für die ersten drei Monate zu verstehen.

Der Telekommunikationsverwaltung (DoT) sei bewußt, daß es noch gewisse Hürden gebe, die ein schnelles Wachstum behinderten, betonte der Staatssekretär. Alle anstehenden Fragen sollen demnächst bei einem Spitzentreffen mit führenden Vertretern der Branche erörtert werden. Der Generaldirektor des Dachverbandes der Mobilfunkbetreiber (COAI), T. V. Ramachandran, kam einem Bericht der Tageszeitung The Hindu zufolge mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, alle an den Staat abzuführenden Lizenzgebühren für die Firmen einheitlich auf sechs Prozent festzulegen. Gegenüber den derzeit schwankenden Sätzen gebe es dann eine gerechte, einheitliche Grundlage für alle. COAI will zudem eine Steuersenkung für den Wirtschaftszweig durchsetzen – die aktuell 30 Prozent seien ein Wert, der global in kaum einem anderen Land erreicht werde, sagte Ramachandran.

Der Dachverband erwarte von dem künftigen Minister des Ressorts, daß die Auktion der Frequenzen im modernen 3G-Spektrum (Telekommunikation der 3. Generation, z.B. UMTS) zügig angegangen werde, hieß es. Ohne diese Vergabe von weiteren Bandabschnitten sei ein nachhaltiger Ausbau der Netze kaum möglich, betonen die Betreiber und machen Druck. Die Auktion würde allerdings auch neuen Firmen den Zugang zum Markt ermöglichen, der bisher unter einer recht überschaubaren Zahl großer Konzerne aufgeteilt ist. Tata, die britische Vodafone und BhartiAirtel sind dabei die wichtigsten Namen.

Seit dem Ende des Telefonmonopols haben sich auch in Indien rasante Änderungen vollzogen. Im Jahr 1994 öffnete die damalige Regierung erstmals den Wirtschaftsbereich für private Betreiber. Ein weiteres Telekom-Gesetz folgte dann fünf Jahre später. Inzwischen ist die Branche mit ihren Umsätzen für mehr als zwei Prozent des indischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) verantwortlich und wächst stetig weiter.

Die Mobilfunkbranche teilt sich derzeit unter 25 Anbietern auf, die in 19 großen Regionen und vier Metropolen ihr Operationsgebiet haben. Gegenüber der Höchstzahl von 68 Firmen im Jahr 2003/04 macht das deutlich, daß der Konkurrenzkampf mit hoher Intensität geführt worden ist. Im Festnetzbereich decken die beiden staatlichen Betreiberfirmen noch immer 80 Prozent des Marktes ab, der aktuell bei über 47 Millionen Anschlüssen liegt – bei mehr als einer Milliarde Einwohnern ein recht überschaubares Terrain. Zwar beträgt die Wachstumsrate jährlich um die fünf Prozent, doch gibt es keine große Zahl von Privatfirmen, die neu einsteigen. Der Mobilfunksektor verspricht im Vergleich höhere Profite.

Mittlerweile verfügen auch in Indien Menschen über ein Handy, vor denen das noch vor ein paar Jahren kaum jemand erwartet hätte – Bauern, Taxifahrer, kleine Angestellte. Zumindest vorerst ist dies aber (noch) keine akute Existenzbedrohung für die zahlreichen privaten Telefonstuben, die es in jedem größeren Dorf gibt und in den Städten an jeder zweiten Straßenecke. Internettelefonie ist ein absolutes Nischensegment. Dafür wächst allerdings die Zahl der Internetcafés stetig. Für immer mehr Kleinunternehmer ist dies eine Möglichkeit, sich ein Einkommen zu sichern, denn Kunden sind beispielsweise jene, die im Netz nach Arbeitsplätzen suchen und Bewerbungen verschicken. 185 Unternehmen sind in Indien als Internetprovider tätig. Der erklärte Wille der Unionsregierung, auch die vielen abgelegenen Dörfer ans Netz anzuschließen, trägt ebenfalls zum Boom der Branche bei.

Während der Zugang zur modernen Kommunikationswelt wichtig für die Entwicklung bisher eher vernachlässigter Regionen ist, wirft der vorgesehene Abbau von Hemmnissen Probleme auf. Daß indische Bürokratie generell sehr behindern kann, ist ein altbekannter Fakt, und darüber klagen nicht nur in einzelnen Punkten die Telekommunikationsfirmen. Ein staatlicher Teilrückzug aus der Regelungs- und Überwachungsaufgaben wäre allerdings fatal, und Steuersenkungen kämen als ein Riesengeschenk für die Betreiberkonzerne daher, die schon jetzt zumeist satte Profite einstreichen.

* Aus: junge Welt, 27. Mai 2009


Zurück zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage