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Eine Entscheidung für Indiens Ureinwohner

Umweltministerium verweigert Bergbaumulti in Orissa Genehmigung für Bauxitmine

Von Hilmar König *

Die indischen Ureinwohner der Stämme Dongria Kondh und Kutia Kondh im Distrikt Kalahandi des ostindischen Unionsstaates Orissa haben einen bemerkenswerten Sieg errungen: Die indische Regierung hat ein umstrittenes Bauxit-Bergbauprojekt des britischen Konzerns Vedanta Resources gestoppt.

Es ist eine Seltenheit, dass die Interessen von Ureinwohnern über Wirtschaftsinteressen gestellt werden. So ließ es sich Rahul Gandhi, Generalsekretär der regierenden Kongresspartei, auch nicht nehmen, den Ureinwohnern in Orissa persönlich seine Aufwartung zu machen. Er kam mit der Entscheidung des Umweltministeriums im Gepäck, dem an der Londoner Börse notierten Großkonzern Vedanta des indischen Milliardärs Anil Agarwal die Genehmigung zur Eröffnung einer Bauxitmine in den ökologisch fragilen Niyamgiri- Bergen, zu verweigern. Gandhi setzte damit ein unmissverständliches politisches Zeichen zugunsten der Interessen des indigenen Bevölkerungsteils (Adivasi). Vor rund 10 000 Menschen erklärte er auf einem Meeting in Jagannathpur, unweit der Vedanta-Aluminium-Raffinerie in Lanjigarh: »Das ist euer Sieg. Ihr habt euer Land gerettet.« Er versicherte, auch künftig mit ganzer Kraft an der Seite der Adivasi zu stehen, denn der Kampf habe gerade erst begonnen.

Seit Jahren protestieren die Nichtregierungsorganisation Green Kalahandi, verschiedene Adivasi-Gruppen, unterstützt von Politikern, Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten gegen das 1,7 Milliarden Dollar teure Vedanta-Projekt im Siedlungsgebiet der Adivasi, Bauxit, den Rohstoff zur Aluminiumproduktion, abzubauen. Eine Studie, auf die sich jetzt das Umweltministerium stützte, wies auf die verheerenden Konsequenzen hin: Flüsse und Bäche würden versiegen. Zur Eigenversorgung gepflanzte Obstbäume würden verdorren. Mindestens 120 000 Bäume müssten gefällt werden. Die Biovielfalt des Gebietes ginge verloren. Den Kondh-Stämmen würde die Existenzgrundlage entzogen. Da sie überwiegend ohne Schulbildung sind, hätten sie nach einer Zwangsaussiedlung aus den Bergen, in denen nach ihrer Mythologie ihr Gott Niyam Raja seine Heimstatt hat, anderswo kaum Chancen zum Überleben.

Ausschlaggebend für das einstweilige Nein der Politiker in Delhi dürfte aber folgender in der Studie enthaltener Hinweis gewesen sein: Die Eröffnung einer Bauxitmine könnte das Vertrauen der Ureinwohner in die indische Gesetzgebung erschüttern mit möglicherweise schlimmen Folgen für Indiens innere Sicherheit. Eine klare Anspielung auf die vehementen Aktivitäten maoistischer Rebellen, die in Nachbarstaaten Orissas ständigen Nachschub aus den Reihen unzufriedener, ausgeplünderter, sozial vernachlässigter und gedemütigter Adivasi erhalten. Vor diesem Hintergrund erhält Rahul Gandhis Rede vor den versammelten Ureinwohnern in Jagannathpur besonderes Gewicht. Er sagte, Entwicklung bedeute nicht, die Stimmen der Armen, der Geknechteten, der Adivasi und der Dalit (Kastenlose) abzuwürgen. »Wir werden uns für sie einsetzen. Heute ist Indien klar geteilt in Reiche und Arme. Die Stimme der Armen wird kaum zur Kenntnis genommen. Doch eure Stimme ist in Delhi gehört worden«, rief er unter tosendem Beifall aus.

Der vorläufige Stopp Delhis für Vedanta erfolgte, weil das Unternehmen die Auflagen zum Umweltschutz und das Forstgesetz, in dem Lebensrechte der Adivasi verankert sind, verletzt und erforderliche Genehmigungen nicht eingeholt hatte. Die indische Regierung führte damit den Leitspruch des Bergbaumultis, der sechs Ableger in Indien und je einen in Australien und Sambia hat, ad absurdum: »Nachhaltige Entwicklung ist das Kernstück der Strategie und des übergreifenden Ethos’ von Vedanta.« Aber nicht nur Orissa mit seinen riesigen Bauxitvorkommen, sondern auch andere Bergbauregionen Indiens müssen nun befürchten, dass sich die Regierung intensiver mit den Praktiken der Abbaufirmen befasst. In Jharkhand sollen 26 private Subunternehmen, die Bauxit an Vedanta und Hindustan Zinc liefern, ohne Genehmigung des Umweltministeriums tätig sein. Ähnliche Probleme wie in Orissas Niyamgiri-Bergen bestehen angeblich auch für Bauxit- und Aluminiumprojekte bei Visakhapatnam im südlichen Andhra Pradesh. Scharf kritisiert wird zudem der südkoreanische Konzern POSCO, der in Orissa ein 12 Milliarden Dollar schweres Projekt zum Eisenerzexport und zur Stahlproduktion etablieren will.

Ob die Kondh eine Kettenreaktion ausgelöst haben und ob ihr Sieg überhaupt Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Bergbauminister B.K. Handique versicherte immerhin, von jetzt ab genauer hinzuschauen. Dagegen versuchte Montek Singh Ahluwalia, der stellvertretende Chef der staatlichen Plankommission und einer der Architekten der 1991 begonnenen marktwirtschaftlichen Reformen, hellhörig gewordene Auslandsinvestoren umgehend zu beruhigen: Die jüngste Entwicklung werde »Indiens Image als investitionsfreudige Nation nicht unterminieren.«

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2010


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