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Indien im Ausverkauf

Regierung in Delhi öffnet weitere Sektoren der Volkswirtschaft für umfassende Direktinvestitionen aus dem Ausland

Von Thomas Berger *

Umgerechnet 18,3 Milliarden US-Dollar haben ausländische Investoren im zurückliegenden Haushaltsjahr (das von April bis März geht) in die indische Wirtschaft gepumpt. Das klingt nach viel Geld, stellt jedoch einen Rückgang um ein Viertel gegenüber dem Vorjahr (2009/10) dar. Im nun beginnenden neuen Zeitraum (2011/12) könnte es allerdings wieder aufwärts gehen, denn Indiens Unionsregierung ist dabei, investitionswilligen Firmen aus aller Welt endgültig den roten Teppich auszurollen. Die Regeln für Foreign Direct Investment (FDI) werden von Delhi einmal mehr gelockert. Einige weitere Bastionen fallen, Kontroll- und vorherige Zustimmungsmechanismen werden noch stärker als bisher abgebaut.

Freibrief für Monsanto

Vor allem die Landwirtschaft steht im Fokus der aktuellen Änderungen. So ist es ausländischen Firmen nunmehr möglich, direkt in die Bereiche Saatgut und Pflanzenentwicklung zu investieren. Insbesondere für multinationale Konzerngiganten wie den US-Gentech-Multi Monsanto ist dies wie eine Einladung auf dem Silbertablett. Zwar ist Monsanto z.B. mit gentechnisch veränderter Baumwolle und einigen anderen Produkten schon auf dem indischen Markt vertreten. Bislang hatten die Kontrollbehörden aber grundsätzlich noch ein scharfes Auge auf die Machenschaften des Unternehmens, wurden bestimmte Vorstöße auch von Amts wegen gestoppt. Diese Überwachungsmöglichkeiten sind in Zukunft eingeschränkt.

Es gehe um die »Werbung für den Investitionsstandort Indien im globalen Wettbewerb«, heißt es seitens der Regierung. Insbesondere Anand Sharma, Minister mit Doppelzuständigkeit für Handel und Industrie in der von der Kongreßpartei (INC) angeführten Zentralregierung, zeichnet für die Beseitigung der letzten noch verbliebenen Hürden verantwortlich. 1991 hatte die Liberalisierung eingesetzt. Damals vollzog die INC-Regierung die Abkehr vom zuvor jahrzehntelang weitgehend erfolgreich laufenden »gemischten« Wirtschaftssystem mit starken staatlichen und genossenschaftlichen Komponenten. Statt dessen wird seitdem auf Teilhabe an der globalisierten Marktwirtschaft gesetzt.

Ausgerechnet die Mitte-Links-Koalitionen unter Kongreß-Führung haben seit 2004 diesen neoliberalen Kurs gesteuert. Wurde bislang noch zwischen »investierenden Unternehmen«, »operierenden Unternehmen« sowie »investierenden und operierenden Unternehmen« unterschieden (die verschiedenen Regularien unterlagen), gibt es jetzt auch nur noch zwei Kategorien: Ausländische Firmen und solche, die indischen Staatsbürgern gehören. Innerhalb von Wirtschaftsbereichen, wo bereits Joint-ventures oder technische Kooperationen existieren, soll die bislang vorgeschriebene Genehmigung neuer Investitionen künftig entfallen.

Es ist ein schleichender Ausverkauf des 1,2-Milliarden-Einwohner-Landes, der schon in vielen Branchen zu besichtigen ist. Erst wenige Wochen ist es her, daß in der Hauptstadt Delhi gegen Lockerungen im Einzelhandel demonstriert wurde. Die Menschen gingen auf die Straße, weil die Sorge groß ist, daß ausländische Giganten wie Wal-Mart und Co. bei einem Markteintritt Millionen Minifirmen und Einzelhändlern die wirtschaftliche Existenz rauben könnten. Noch sind Supermärkte eher selten, in etlichen Metropolen und sogar in Städten mittlerer Größe hat ihre Gesamtzahl aber inzwischen stark zugenommen. Zwar sind es zumeist einheimische Ketten, die sie betreiben, das könnte sich aber ändern.

Viele Übernahmen

Ein Beispiel ist die Pharmabranche. Dort hat es in den letzten gut zwei Jahren gravierende Übernahmen gegeben, sei es durch den französischen Mischkonzern Sanofi oder die Konkurrenz aus Ostasien wie Daiichi Sankyo. 38 von 455 in der Branchenübersicht »Health Information and Consulting Services India« gelisteten Unternehmen gehören mittlerweile ausländischen Konzernen – eine Quote von 8,4 Prozent und damit im Vergleich noch nicht sonderlich viel. Gemessen am Gesamtvolumen des indischen Pharmamarktes aber kontrollieren Westeuropäer, US-Amerikaner sowie Japaner bzw. Südkoreaner schon 19Prozent.

Um Kritiker zu beruhigen, wird gern darauf verwiesen, daß durch starken Wettbewerb die Preise für grundlegende Medikamente im Land nie so gering waren wie jetzt. Das mag stimmen, ist aber nur die halbe Wahrheit. »Multinationale Konzerne sind in der Lage, Preise zu diktieren, wenn sie erst einmal annähernd 50 Prozent des Marktes« kontrollieren, wurde Gajanan Wakankar, Vorstandschef von IDMA, im Januar vom führenden Wochenmagazin India Today zitiert. IDMA ist die Dachvereinigung der einheimischen Produzenten von Generika, während der Branchenverband OPPI (Organisation of Pharmaceutical Producers of India) vorwiegend die Interessen ausländischer Firmen und ihrer indischen Tochterunternehmen vertritt. Daß die Preise nicht steigen, liegt zudem auch daran, daß eine staatliche Behörde diese für momentan 74 »Kern-Medikamente« reguliert. Investmentbefürworter behaupten dagegen, daß auf diese Weise neue Technologien und Forschungsergebnisse nicht ins Land zu holen seien. Warnende Stimmen aus der Branche selbst sind inzwischen kaum noch zu vernehmen.

* Aus: junge Welt, 4. April 2011


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