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Feuerball über Mumbai-Werft

Indisches U-Boot explodiert – doch der Rüstungswettlauf in der Region geht weiter

Von René Heilig *

Das indische U-Boot INS »Sindhurakshak« ist am Mittwoch nach einer Explosion im Hafen von Mumbai gesunken. Laut Verteidigungsministerium gab es mindestens 18 Tote.

»Ich bin traurig darüber, dass Marinesoldaten ihr Leben im Dienst für das Land verloren haben«, erklärte Indiens Verteidigungsminister Arackaparambil Kurien Antony am Mittwochmorgen. Das Mitgefühl ist glaubhaft. Ebenso wie der Ärger darüber, dass der Unfall (oder war es Sabotage?) sich ausgerechnet jetzt ereignet. Vor wenigen Tagen hat man den Reaktor von Indiens erstem selbst gebauten Atom-U-Boot INS »Arihant« hochgefahren. Stolz rüstete man zur Erprobungsfahrt. Bereits seit April 2012 ist das Atom-U-Boot INS »Chakra« (Schtschuka-B – NATO-Code Akula II) im Einsatz. Man hatte es von Russland geleast, um Erfahrungen beim Betrieb nuklearer Unterwasserschiffe zu gewinnen. Gemunkelt wird über einen weiteren Leasingvertrag.

Die Explosion der INS »Sindhurakshak« passt so gar nicht ins Bild von der modernen, vor Kraft strotzenden Nation. Das Boot (Projekt 887EKM – NATO-Code Kilo) ist mit konventionellem Antrieb ausgerüstet. Die für den russischen Schiffbau neue Formgestaltung macht den Typ gefährlich, weil geräuscharm. Die »Sindhurakshak« war bis 1997 in St. Petersburg gebaut worden. Im Juni 2010 schloss das indische Verteidigungsministerium einen Modernisierungsvertrag. Im nordrussischen Sewerodwinsk erhielten das Boot sowie insgesamt fünf indische dieselelektrische U-Boote moderne Seezielflugkörper des Typs Klub-S sowie neue hydroakustische Kommunikations- und Radarsysteme. Ende 2012 absolvierte man Testfahrten im Weißen Meer, im Januar 2013 ging es heim nach Mumbai. Nun sollte der Kahn in den regulären Patrouillendienst starten. Statt dessen kommt er auf die Liste der Totalverluste.

Das ist bitter. Denn Indien will seine Streitkräfte modernisieren. Vor allem die Marine. Sie stand immer im Schatten der anderen Teilstreitkräfte. Doch nun werden der Indische Ozean und der Pazifik immer mehr auch zum indischen Interessengebiet. Ein neuer Flugzeugträger und neue Fregatten sind in Dienst gestellt, man hat – nach den USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China – als sechste Macht das Nuklearzeitalter unter Wasser begonnen. Zugleich sucht man nach weiteren konventionellen U-Booten.

Deutschland ist da gut im Rennen. Nicht nur, weil Indien bereits deutsche U-Boote von der Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) im Bestand hat. Die ersten beiden wurden in Kiel gebaut, der Rest bei der Mazagon Dock Limited Mumbai. An solchen Gemeinschaftsprojekten hat Indien größtes Interesse, weil sie auch dem Technologietransfer dienen. Thyssen Krupp Marine Systems als Nachfolger der HDW könnte also den Großauftrag an Land ziehen. Es geht um sechs Boote der 216er Klasse und ein Volumen von rund sieben Milliarden Euro. Interessant für die Inder ist vor allem der außenluftunabhängige Antrieb durch Brennstoffzellen, bei dem die Deutschen führend sind. Noch in diesem Jahr soll die Entscheidung fallen. Die Verhandlungen zwischen Deutschland und Pakistan über U-Boot-Lieferungen scheinen dagegen versandet.

Indiens Marinemodernisierung ist Teil eines gigantischen Aufrüstungsprogramms, von dem die gesamte Region ergriffen ist. Vor allem mit Dauerkonkurrent China ringt man um die asiatische Vorherrschaft. Peking hat in seinen drei Flotten unter anderem vier kernkraftgetriebene Raketen-U-Boote und fünf Mehrzweck-Atom-U-Boote aus eigener Fertigung im Flottenbestand. Drei weitere kernkraftgetriebene Raketen-U-Boote und zwei Mehrzweck-U-Boote werden gerade getestet. Dazu verhandelt man mit Russland über weitere U-Boot-Lieferungen. Es geht um Boote der Kilo-Klasse.

Ergriffen vom Rüstungsirrsinn sind auch kleine Marinen. So bekommt das arme Vietnam für zwei Milliarden US-Dollar gleichfalls U-Booten der Kilo-Klasse. Sechs sollen kommen, die »Hanoi« wird bereits getestet. Und Moskau selbst will sich in der Region wieder stärker engagieren. In der 2002 geschlossenen vietnamesischen Basis Cam Ranh erwacht derzeit neues russisches Leben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 15. August 2013


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