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Indien rüstet auf

Großauftrag für US-Flugzeugbauer Boeing ist der Startschuß für das größte Waffenimportprogramm der Staatsgeschichte

Von Dago Langhans *

Im Rahmen der neuen »strategischen Partnerschaft« zwischen den USA und Indien wittern US-Rüstungsproduzenten Morgenluft. Die Zustimmung der US-Regierung vorausgesetzt, ist jetzt das bisher größte Waffengeschäft zwischen den beiden Staaten auf den Weg gebracht worden. Mit der am Montag vereinbarten Lieferung von acht Seefernaufklärungsflugzeugen des Typs P-8 Poseidon im Wert von 2,1 Milliarden US-Dollar stechen die Rüstungsmanager aus der Boeing-Konzernzentrale in Chicago den Erzrivalen EADS aus. Die europäischen Manager hatten vergeblich eine Militärversion des Airbus A319 angeboten, die ebenfalls Aufgaben der Marineaufklärung und vor allem der U-Boot-Jagd übernehmen sollte.

Die Boeing-Flugzeuge sollen schrittweise die Flotte der veralteten Turbopropflugzeuge TU-142 aus russischer Produktion ersetzen. Der Liefervertrag mit Indien beinhaltet dementsprechend eine Option zur Nachbestellung weiterer acht U-Boot-Jäger, die eine militärische Variante des zivilen Verkaufsschlagers vom Typ Boeing 737 darstellen. Der Anstoß zur Entwicklung des neuen Modells stammt aus dem Anforderungskatalog der US-Marine. Dort will man mit neuen Flugzeugen mit größerer Reichweite, längeren Einsatzzeiten, besserer Bewaffnung und vor allem einer besseren Einbindung in moderne elektronisch vernetzte Seekriegsführung die veralteten Turbopropflieger P-3 Orion von Lockheed Martin ablösen. Die P-8 Poseidon läßt sich mit bis zu 120 Sonarbojen, Torpedos und Antischiffsraketen des Typs Harpoon ausstatten. Für Militäranalysten war bereits im Herbst letzten Jahres deutlich, daß sich die indische Seite für den Kauf des Seefernaufklärers P-8 Poseidon entscheidet. Bei seinem Besuch in den USA hatte der indische Verteidigungsminister A.K. Antony im September 2008 Harpoon-Raketen inklusive Zubehör im Wert von 120 Millionen Dollar bei Boeing geordert. Kompatibel mit den bisherigen Trägersystemen aus französischer, indischer oder russischer Produktion sind diese Lenkwaffen nicht.

Auch wenn die Boeing-Neuentwicklung bislang noch keinen Jungfernflug hinter sich hat, im laufenden Jahr noch umfangreiche Bodentests abgeschlossen werden müssen und die ersten Maschinen erst ab 2013 an die US-Marine und die indischen Auftraggeber ausgeliefert werden sollen, haben die US-Rüstungsbauer ein wichtiges Etappenziel erreicht. Deren ehrgeiziger Plan besteht darin, Waffensysteme im Gesamtwert von 20 Milliarden US-Dollar in Indien abzusetzen.

Die indische Regierung betreibt derzeit ein gewaltiges Hochrüstungsprogramm, für das innerhalb der nächsten fünf Jahre 40 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden. Bereits jetzt ist Indien zu einem der weltweit größten Waffenimporteure aufgestiegen und der gerade vereinbarte Deal schiebt den US-Waffenproduzenten Boeing auf einen der vorderen Ränge in dem bislang von anderen Ländern dominierten Markt. Bereits im vergangenen Jahr hat der Konkurrent Lockheed mit dem Verkauf von sechs Transportflugzeugen C-130J Super-Herkules einen Umsatz von einer knappen Milliarde US-Dollar gemacht. Ebenfalls 2008 hatten die Inder erstmalig ein früheres US-Transportschiff, die USS Trenton, inklusive sechs dazugehörigen Helikoptern gekauft.

Gegenwärtig belegen die USA als Waffenlieferant hinter Rußland, Frankreich und Israel noch einen hinteren Platz. Aktuelle Schätzungen beziffern den jährlichen Waffenexport nach Indien aus Rußland auf 1,5 Milliarden US-Dollar. Israelische Rüstungsfirmen wickeln jährliche Lieferungen im Wert von einer Milliarde US-Dollar ab und dem französischen Konzern Dassault gelang es 2008 einen Modernisierungsvertrag für die bereits 1985 gekauften 51 Mirage 2000 Kampfflugzeuge in Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar abzuschließen.

Der Wettbewerb um den lukrativen indischen Rüstungsmarkt jedoch steht noch in einer Anfangsphase. Seit einem guten Jahr hat die indische Regierung das bislang größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des Landes ausgeschrieben. Um die beabsichtigte Beschaffung von 126 Kampfflugzeugen modernster Bauart für geschätzte zwölf Milliarden US-Dollar konkurrieren die Flugzeughersteller EADS mit dem »Eurofighter«, ferner Boeing mit dem Doppelturbinenflugzeug F-18, Lockheed mit der F-16 Falcon, die russische Rosoboronexport mit der MiG 35, der französische Dassault-Konzern mit der Rafale sowie SAAB/BAE mit der JAS 39 Gripen.

Die Finanzierung dieser Käufe erfolgt in der Regel teilweise über Kompensationsleistungen. Bereits beim aktuellen Deal um die U-Boot-Jäger aus dem Hause Boeing wurden Gegenleistungen in Höhe von 30 Prozent des Vertragsvolumens vereinbart, von denen offenbar als wichtigster Zulieferer der indische Rüstungskonzern Hindustan Aeronautics Limited profitieren wird. Auch aus der EADS-Zentrale wurde bereits signalisiert, daß der Einkauf des »Eurofighter« mit erweitertem Technologieexport und dem Ausbau von Produktionskapazitäten in Indien verknüpft werden würde. Der militärisch-industrielle Komplex bleibt in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise offensichtlich eine Art Fels in der Brandung.

* Aus: junge Welt, 10. Januar 2009


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