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Schwelender Konflikt in Assam

Spannungen zwischen einheimischen Bodos und bengalischen Muslimen

Von Hilmar König *

Am Dienstag reiste ein Team von Experten der staatlichen Plankommission Indiens in den nordöstlichen Unionsstaat Assam, um die Lage in den Notlagern zu sondieren. Immer noch müssen über 200000 Flüchtlinge in den Camps mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln versorgt, gesundheitlich betreut und ihre Rückkehr in ihre Heimatgebiete vorbereitet werden. Ende Juli waren Unruhen zwischen überwiegend hinduistischen einheimischen Bodo-Gemeinschaften und aus dem benachbarten Bundesstaat Westbengalen und aus Bangladesch eingewanderten Muslimen in drei Distrikten Assams ausgebrochen. Dabei kamen über 70 Menschen ums Leben. 400000 flüchteten oder wurden vertrieben.

Die blutigen Zusammenstöße fanden zudem ein bis heute anhaltendes Echo in verschiedenen Landesteilen. Erst am Sonntag waren elf aus dem Nordosten stammende Personen in der Nähe des Bahnhofs Jalpaiguri aus einem fahrenden Zug geworfen worden. Zwei starben, neun wurden verletzt. Sie waren aus anderen Gegenden Indiens kommend auf der Heimreise. Die indische Staatsbahn setzte zahlreiche Sonderzüge ein, die fast 50000 in Mumbai, Pune, Hyderabad, Mysur und Bangalore lebende, arbeitende und studierende Nordostler zurück in die Heimat brachten. Auch zu Wochenbeginn trafen zwei Sonderzüge aus Banglore mit über 2000 Passagieren in Guwahati, der größten Stadt Assams, ein. Per Internet war ihnen in den letzten Wochen Gewalt angedroht worden.

Der Anlaß für die blutigen Zusammenstöße im Juli und Anfang August blieb bis heute unklar. Spannungen zwischen den einheimischen Bodos, die etwas über fünf Prozent der Bevölkerung Assams bilden und zu 90 Prozent Hindus sind, und bengalischen Muslimen bestehen seit Jahrzehnten. Nach dem jüngsten Zensus des Jahres 2011 beträgt der muslimische Bevölkerungsanteil in Assam 31,3 Prozent. Allein in Guwahati gibt es rund 300 Moscheen. In elf von 27 Distrikten stellen Muslime die Mehrheit.

Die Bodos befürchten nun, in den von ihnen besiedelten Distrikten zur Minderheit zu werden. Seit Ende der 1980er Jahre kämpften sie um Selbstbestimmung und verfügen seit 2003 über ein autonomes Verwaltungsgremium, den Bodoland Territorial Council. Er erfaßt vier Distrikte. Außerdem sind noch einige militante Gruppen aktiv. Die Bodos beklagen einen Mangel an Rechten und eine Vernachlässigung ihrer Gebiete bei Entwicklungsvorhaben. Es geht zudem um Besitz an Boden. Politische Interessen und Machtambitionen in beiden Lagern schüren die Spannungen. Eine Einwanderung von ostbengalischen Muslimen, die Indien großzügig aus humanitären Gründen tolerierte, begann 1971/72 verstärkt vor und nach der Staatenbildung Bangladeschs (früher Ostpakistan). Die Bodos sprechen auch heute noch von einem Flüchtlingsstrom aus dem Nachbarland, während Assams Regierung eher eine spärliche Zuwanderung über die poröse Staatsgrenze hinweg registriert.

Einen neuen Akzent erhielt das Problem am vorigen Wochenende mit massenhaft im Internet erscheinenden Warnungen und Drohungen, Muslime in verschiedenen Gegenden Indiens würden sich mit Gewalt an Nordostlern für die Toten in Assam revanchieren wollen. Das ließ die Heimkehrwelle nach Assam weiter anschwellen. Das indische Innenministerium behauptete am Samstag, die Mehrzahl dieser Mails sowie manipulierter »Beweisfotos« stammten aus Pakistan. Indiens Innenminister Sushil Kumar Shinde beschwerte sich daraufhin bei seinem pakistanischen Amtskollegen Rehman Malik. In Islamabad wies man die Vorwürfe als völlig aus der Luft gegriffen zurück. Wann immer Indien innere Probleme habe, wolle es den Pakistanern den Schwarzen Peter zuschieben. Solche Kommentare würden nur den ohnehin bestehenden Mangel an Vertrauen zwischen Neu-Delhi und Islamabad vergrößern. Assams Chefminister Tarun Gogoi vermutete sowieso von Anfang an »ausländische Hände« hinter den Gewaltausbrüchen, womit er das ernste Problem offensichtlich bagatellisiert.

Am Montag feierten auch Assams Muslime das Id-Fest, das Ende des Fastenmonats Ramadan. »Wir haben in speziellen Andachten für dauerhaften Frieden in Assam gebetet. Die wahre Bedeutung des Islam ist Frieden«, erklärte Anowar Hussain, der Imam der Burha-Jame-Moschee in Guwahati, vor Journalisten. Auch der Chefminister hatte die Hoffnung geäußert, daß Id dem Bundesstaat Frieden und Eintracht bringen möge. Dafür hätten sich alle Bürger gemeinsam einzusetzen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. August 2012


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