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"Feuer"-Raketen über dem Golf von Bengalen

Indien richtet mit Agni-Test "strategische Botschaft" an die Region

Von Hilmar König, Delhi *

Mit dem am Sonntag (7. Feb.) erfolgreich absolvierten Testflug der Mittelstreckenrakete »Agni-III« hat Indien nach Einschätzung von Militärexperten eine »starke strategische Botschaft« an die gesamte Region des Indischen Ozeans gerichtet.

Nicht nur Indiens Raketentechniker, sondern auch die Militärs und die Medien schätzten Start und Flug der 17 m langen Zwei-Stufen-Boden-Boden-Rakete mit einer Nutzlast von 1,5 t überschwänglich als »sensationelle Erfahrung«, als »Meilenstein bei der Stärkung der Landesverteidigung« und als »Beweis der Reife des indischen nuklearen Abschreckungsprogramms« ein. Avinash Chander, der Direktor der Mission »Agni-III«, sprach von einem »Bilderbuchflug, bei dem alle geplanten Manöver akkurat ausgeführt wurden«.

Die von Festbrennstoff getriebene Rakete war von Wheeler Island vor der Küste des ostindischen Unionsstaates Orissa gestartet, über eine Distanz von 3500 km geflogen und hatte am Ende punktgenau ihr Ziel im Golf von Bengalen getroffen. Dabei arbeitete auch der Zündmechanismus für eine Bombe exakt. Er aktivierte chemische Explosivstoffe, kann aber - wenn der Flugkörper mit einem Atomsprengkopf bestückt wird - auch einen Nuklearschlag auslösen.

Es handelte sich um den dritten erfolgreichen Flug in Folge einer »Agni« - das Sanskritwort bedeutet Feuer. Nur der erste Start im Jahre 2006 misslang. Experten rechnen damit, dass nun die Überführung der Rakete in die Streitkräfte bevorsteht. Außerdem beflügelt der makellose Flug von »Agni-III« die Raketenbauer in ihrer Arbeit an weiteren Projekten: »Dieser Start ist ein Sprungbrett der Organisation für Forschung und Entwicklung im Verteidigungssektor, die nächste ballistische Mittelstreckenrakete Agni-V in Angriff zu nehmen.« Das erklärte Vijay Saraswat, der wissenschaftliche Berater des Verteidigungsministers.

Während »Agni-III« mit weit über 3000 km Reichweite die chinesische Wirtschaftsmetropole Shanghai erreichen könnte, lägen noch viel weiter entfernte Gebiete Chinas in der 5000-km- Reichweite von »Agni-V«. Darauf verwies die Zeitung »The Times of India«. Sie stellte den Agni- Erfolg in einen größeren Zusammenhang und sieht sich damit gewiss nicht allein auf weiter Flur, sondern in Gesellschaft etlicher geostrategischer und politischer Analytiker des Landes. Nach Auffassung des Blattes signalisiert Indien mit »Agni-III« seine Bereitschaft, eine größere Rolle als Sicherheitselement in der Region des Indischen Ozeans zu spielen. Delhi habe eigene »legitime Sicherheitsbesorgnisse«, besonders weil China seine Marinebewegungen im Indik intensiviert habe und seine Streitkräfte rapide modernisiere.

Die Zeitung erwähnt auch, ohne einen direkten Bezug zur Militärkooperation zwischen Delhi und Washington herzustellen, dass die USA die VR China militärisch in Schach halten möchten. Vor diesem Hintergrund, so der Autor, kontere Indien den Nachbarn China mit einem massiveren Aufbau der Militärstrukturen an der 4057 km langen Linie der Aktuellen Kontrolle - Indiens offizielle Bezeichnung für die umstrittene Grenze zwischen beiden Staaten - mit zwei neuen Gebirgsjäger- Divisionen mit 35 000 Soldaten sowie mit der Stationierung von Suchoi-Abfangjägern im Nordosten.

Das wie auch »Agni-III« und die noch nicht getestete »Agni-V« sei Teil der indischen »Abschreckungshaltung«. Mehr »strategische Aufmerksamkeit« komme auch den 572 Inseln der Andamanen und Nikobaren im Golf von Bengalen zu, die näher an Indonesien und Thailand liegen als am indischen Festland. Dort könnten in der Perspektive durchaus Stützpunkte für hochmoderne »Suchoi-30 MKI« entstehen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2010


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