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Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.
Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt
Januar 2006
Sonntag, 1. Januar, bis Sonntag, 15. Januar
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Deutschland strebt im Rahmen der geplanten Reform der Vereinten Nationen weiterhin einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. Vizeregierungssprecher Thomas Steg sagte am 6. Jan. in Berlin, die Bundesrepublik sei weiterhin bereit, "zusätzliche internationale Verantwortung zu übernehmen". Zuvor hatten Deutschland, Brasilien und Indien bei den Vereinten Nationen den gemeinsamen Resolutionsentwurf aus dem Vorjahr neu eingebracht, der auch Vorschläge zur Erweiterung des Sicherheitsrats enthält. Ergänzt wurde dies laut Steg durch eine Note, wonach die Antragsteller nicht auf eine rasche Abstimmung dringen, sondern den Diskussionsprozess wieder in Gang bringen wollen. Diese Note sei auch mit Japan abgestimmt, das anders als 2005 den Resolutionsentwurf diesmal formal nicht mit eingebracht hat.
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In Pakistan ist am 7. Jan. ein neu eingerichteter Checkpoint nahe der afghanischen Grenze angegriffen worden. Mit Raketen und Sturmgewehren bewaffnete Extremisten töteten dabei alle acht Sicherheitskräfte, wie die Streitkräfte mitteilten. Der Kontrollposten stand nahe dem Dorf Miran Shah in der Provinz Nord Waziristan. Dort sind tausende Soldaten stationiert, um die Anhänger der Al Kaida und der Taliban zu bekämpfen.
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Pakistan protestierte bei den US-Streitkräften in Afghanistan gegen den Beschuss eines pakistanischen Dorfs in der Nähe der afghanischen Grenze. Außenamtssprecherin Tasnim Aslan sagte am 9. Jan. in Islamabad, der Beschuss aus Afghanistan am Samstag habe acht Menschen das Leben gekostet. Ob tatsächlich US-Hubschrauber in Saidki gelandet seien, wie von Dorfältesten angegeben, werde noch untersucht. Pakistan habe aber bei den Koalitionstruppen Protest eingelegt, weil diese für die Sicherheit auf beiden Seiten der Grenze verantwortlich seien.
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Die gezielte Abtreibung von Mädchen hat in Indien in zwei Jahrzehnten vermutlich zum Fehlen von rund zehn Millionen Frauen geführt. Dies geht aus einer indisch-kanadischen Studie hervor, die in der Online-Ausgabe der britischen Wissenschaftszeitschrift "The Lancet" veröffentlicht wurde. Die Forscher hatten dazu knapp 134.000 Geburten in rund 1,1 Millionen indischen Haushalten im Jahr 1997 untersucht. In Familien, in denen das erste Kind ein Mädchen war, kamen demnach beim zweiten Kind auf 1000 Jungen nur 759 Mädchen. Waren die ersten beiden Kinder Mädchen, so verringerte sich die Relation beim dritten Kind sogar auf weniger als 720 Mädchen bei 1000 Jungen. Der Trend zur Abtreibung von Mädchen in Indien hat sich nach Angaben der Forscher vor allem durch die Fortschritte bei der vorgeburtlichen Diagnostik verstärkt. Seit der Verbreitung der Ultraschall-Untersuchung in Indien dürften den Berechnungen der Forscher zufolge in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund zehn Millionen Mädchen allein wegen ihres Geschlechtes abgetrieben worden sein. (AFP, 9. Jan.)
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Der japanische Außenminister Taro Aso hat sich vom Bemühen der G4-Gruppe um eine Reform des UN-Sicherheitsrats distanziert. Seine Regierung prüfe derzeit "eine Vielzahl von Alternativen", die an die Stelle der G4-Gruppe aus Japan, Deutschland, Brasilien und Indien treten könnten, sagte Aso am 10. Jan. in Tokio. "Wir können nicht erwarten, dass der Plan der G4 angenommen wird." Japan werde zwar auch weiterhin mit den drei Partnerländern "zusammenarbeiten", führe aber auch Gespräche mit "den USA und anderen Staaten". Dem von Deutschland, Brasilien und Indien bei der UNO eingebrachten überarbeiteten Reformentwurf maß Aso keine Erfolgsaussichten bei. Der neue Entwurf unterscheide sich kaum von dem alten, der bei der UNO keine Mehrheit gefunden hatte.
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Pakistanische Sicherheitskräfte haben am 11. Jan. zwölf mutmaßliche islamische Extremisten getötet, wie die Polizei mitteilte. Zu dem Feuergefecht kam es nahe den Gasfeldern in Pir Koh im Südwesten des Landes. Kurz zuvor waren drei Soldaten getötet worden, als ihr Fahrzeug auf eine Mine fuhr. Einigen Rebellen sei die Flucht gelungen, teilte ein Polizeisprecher mit.
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Bei einem Raketenangriff im Grenzgebiet zu Afghanistan sind sieben pakistanische Soldaten ums Leben gekommen, wie die Streitkräfte am 10. Jan. mitteilten. Zwei weitere Soldaten seien verletzt worden. Die unbekannten Angreifer begannen den Angaben zufolge in der Nacht mit dem Beschuss des Militärposten auf einem Berg in Sarbandki in der Provinz Nordwaziristan. Eine Rakete habe den Posten getroffen, weitere landeten in der Nähe. Der Beschuss habe bis zum Morgengrauen angedauert, hieß es. Pakistan hat an der Grenze zu Afghanistan rund 70.000 Soldaten stationiert, um gegen mutmaßliche Al-Kaida-Kämpfer und Taliban vorzugehen. Erst vor wenigen Tagen waren acht Soldaten getötet worden, als ihre Einheit in einen Hinterhalt geriet.
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Bei einem Angriff auf ein Wohnhaus in einer Stammesregion in Pakistan sind am 13. Jan. nach Angaben von Augenzeugen mindestens 14 Menschen (später war von 18 Toten die Rede) ums Leben gekommen. Hubschrauber und Flugzeuge hätten das Haus in der Stadt Mamoon in der nordwestlichen Region Bajur mit Bomben oder Raketen beschossen, berichteten Anwohner der Nachrichtenagentur AFP. Die pakistanische Armee bestätigte einen Angriff in der Region, ohne Angaben zu den Opfern zu machen. Über die Urheber des Angriffs wurde nichts mitgeteilt.
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Mehrere tausend Stammesangehörige haben gegen den Luftangriff der USA in Pakistan protestiert, bei dem am 13. Jan. 18 Menschen getötet worden waren. Schätzungsweise 5.000 Menschen versammelten sich am 14. Jan. in einem Stadion bei Khar in der Region Bajur, wie der Parlamentsabgeordnete Haroon Rasheed von der fundamentalistischen Partei Jamaat-e-Islami der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die Demonstranten hätten den USA den "Heiligen Krieg" erklärt. Rasheed selbst sagte, es sei "eine Schande, dass unschuldige Menschen in Pakistan durch ein fremdes Land getötet werden, und dass dieses Land gegenüber dem Staat Pakistan vollkommene Straffreiheit genießt".
Die pakistanische Regierung hat bei den USA scharfen Protest gegen den Luftangriff auf ihrem Territorium eingelegt. Außenminister Riaz Khan habe US-Botschafter Ryan Crocker einbestellt und ihm eine Protestnote überreicht, sagte Ministeriumssprecherin Tasnim Aslam am 14. Jan. der Nachrichtenagentur AFP. Der pakistanische Informationsminister Sheikh Rashid verurteilte den US-Angriff mit mindestens 18 Toten als "hochgradig verdammenswert". Er bedauere zutiefst, dass bei dem Zwischenfall so viele Zivilisten ums Leben gekommen seien.
Die Behörden in Pakistan zweifelten Medienberichte an, wonach bei dem Drohnen-Angriff nahe der Grenze zu Afghanistan auch Bin-Laden-Stellvertreter Aiman el Sawahiri getötet worden sein soll. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass sich Sawahiri in dem angegriffenen Dorf Damadola in der Region Bajur aufgehalten habe, sagte ein pakistanischer Geheimdienstvertreter. Ein Regierungsbeamter bekräftigte, es sei unwahrscheinlich, dass der Stellvertreter von El-Kaida-Chef Osama bin Laden in dem Ort gewesen sei. Die US-Fernsehsender ABC und CNN hatten unter Berufung auf pakistanische Sicherheitskreise berichtet, unter den Toten seien auch fünf ranghohe Mitglieder des Terrornetzwerks El Kaida. Wie AFP aus US-Geheimdienstkreisen erfuhr, lagen der CIA Hinweise vor, dass ein ranghohes El-Kaida-Mitglied bei dem Angriff einer Predator-Drohne getötet worden sein könnte.
Das US-Verteidigungsministerium in Washington widersprach den Berichten über eine US-geführte Attacke. Es ist allerdings bekannt, dass die CIA in der Region Jagd auf El-Kaida-Mitglieder und Talibankämpfer macht. Die USA haben auf Sawahiri ein Kopfgeld in Höhe von 25 Millionen Dollar (20,8 Millionen Euro) ausgesetzt. Washington sieht in dem Ägypter den Chefideologen und -strategen von El Kaida.
Montag, 16. Januar, bis Sonntag, 22. Januar
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Mehr als zwei Monate nach den Bombenanschlägen in der indischen Hauptstadt Neu Delhi mit 66 Toten haben Polizei und Armee nach eigenen Angaben den Drahtzieher der Attentate erschossen. Abdullah Bhai sei bei einem Gefecht in der Kaschmir-Region im Norden des Landes getötet worden, sagte ein Polizeisprecher am 16. Jan. Der auch als Abu Husaifa bekannte Anhänger der Terrorgruppe Lakshar-e-Taiba sei Cheforganisator der Anschläge gewesen. Ein Mitverschwörer sei bei dem Gefecht verletzt worden, habe aber entkommen können.
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Die pakistanische Regierung hat ihre Kritik an dem US-Luftangriff vom 13. Jan. auf ein Dorf im Nordwesten des Landes bekräftigt, bei dem 18 Menschen getötet wurden. Islamabad könne solche ausländischen Militäreinsätze nicht akzeptieren, sagte Regierungschef Shaukat Aziz am 17. Jan. bei einer Pressekonferenz mit dem früheren US-Präsidenten George Bush. Bei dem "unglücklichen" Vorfall, den die Regierung bedauere und verurteile, seien zahlreiche unschuldige Menschen getötet worden. Er wolle den Angriff bei seinem USA-Besuch in dieser Woche zur Sprache bringen, kündigte Aziz an. Pakistan bleibe aber dem Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet und die Beziehungen zu den USA seien weiter wichtig.
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Die verfeindeten Nachbarländer Indien und Pakistan haben neue Friedensgespräche geführt: Indiens Außenstaatssekretär Shyam Saran empfing am 17. Jan. seinen pakistanischen Kollegen Riaz Mohammed Khan in Neu Delhi. Beide zogen eine positive Zwischenbilanz. Der Friedensprozess habe gegenseitiges Vertrauen geschaffen und "die Beziehungen in allen Bereichen verbessert", sagte ein indischer Außenamtssprecher. Größere Fortschritte im jahrzehntealten Kaschmir-Konflikt werden bei dem zweitägigen Treffen nicht erwartet.
Bei der dritten Gesprächsrunde seit Januar 2004 ging es vor allem um engere Handelsverbindungen und einen stärkeren kulturellen Austausch. Beide Seiten hätten die Ergebnisse der vorausgegangenen Runde positiv beurteilt, sagte der indische Außenamtssprecher. Das Misstrauen sei geringer geworden. Khan sei mit dem bisher Erreichten" zufrieden", sagte seine Sprecherin. Jetzt müsste es um die "schwierigeren Fragen" gehen.
Die Unterhändler hätten konkrete Vorschläge unter anderem zum Kaschmir-Konflikt unterbreitet, sagt der indische Außenamtssprecher. Indien plädiere dafür, den Ausbau der Verteidigungslinie auf beiden Seiten der Kaschmir-Grenze einzufrieren. Außerdem sollten sich die Oberkommandeure in der Region regelmäßig treffen.
Pakistan habe Vorschläge gemacht, wie das Risiko einer nuklearen Auseinandersetzung verringert werden könne. Beide Seiten sollen sich künftig auch über Tests von Cruise-Missile-Marschflugkörpern gegenseitig informieren, wie Khans Sprecherin sagte.
Zudem ging es um den Ausbau von Verkehrsverbindungen. Auf Vorschlag Indiens soll eine bereits bestehende Eisenbahnverbindung zwischen dem pakistanischen Khokhrapar und dem indischen Munnabao bis zur indischen Pilgerortschaft Ajmer verlängert werden. Zusätzliche Flugverbindungen und mehr Flüge seien ebenfalls im Gespräch.
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Bei dem US-Luftangriff auf ein pakistanisches Dorf sind in der vergangenen Woche nach Geheimdienstinformationen mehrere führende El-Kaida-Mitglieder getötet worden. Unter den vermutlich vier getöteten Extremisten sei der Schwiegersohn von El-Kaida-Vize Aiman el Sawahiri, sagte ein hochrangiger pakistanischer Geheimdienstmitarbeiter am 19. Jan. Auch der Bombenspezialist Midhat Mursi soll getötet worden sein. Pakistans Informationsminister Scheikh Rashid sagte, die Regierung überprüfe derzeit noch die Identität der Toten. (AFP, 19.01.2006)
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In Pakistan haben am 20. Jan. erneut tausende Menschen gegen den US-Angriff auf ein Dorf vor einer Woche demonstriert. Zweitausend Menschen zogen durch die Stadt Wana in der Region Süd-Wasiristan und riefen "Tod den USA", "Allah ist groß" und "Hört auf, unschuldige Moslems zu töten". Bei dem US-Luftangriff auf ein Dorf nordwestlich von Wana waren am vergangenen Freitag auch 18 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, ums Leben gekommen.
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Rund eine Woche nach dem amerikanischen Luftangriff auf ein pakistanisches Dorf gibt es weiter keine gesicherten Erkenntnisse über Al-Kaida-Extremisten unter den Opfern. Der pakistanische Ministerpräsident Shaukat Aziz erklärte am 20. Jan. bei einem Besuch der Vereinten Nationen in New York, es lägen keine handfesten Beweise dafür vor, dass unter den Toten auch ranghohe Funktionäre des Terrornetzwerks gewesen seien. Aziz sagte, Ermittler vor Ort hätten ihm mitgeteilt, sie könnten nach wie vor keine klaren Aussagen machen, ob sich zum Zeitpunkt des Luftangriffs eine bestimmte Gruppe oder eine bestimmte Person in dem Dorf Damadola aufgehalten habe.
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Nach dem amerikanischen Luftangriff auf ein pakistanisches Dorf hat Pakistan einem Fernsehbericht zufolge den USA mit Konsequenzen bei der Zusammenarbeit gegen den Terror gedroht. Wiederholte Aktionen dieser Art könnten die Kooperation belasten, sagte Präsident Pervez Musharraf laut dem Bericht des Senders GEO vom 22. Jan. Bei einem Treffen mit US-Staatssekretär Nicholas Burns habe Musharraf betont, Pakistan könne seine Grenzen selbst verteidigen. Aus dem pakistanischen Außenministerium hieß es am Wochenende (21./22. Jan.) lediglich, Musharraf habe Burns gemahnt, ein solcher Angriff dürfe sich nicht wiederholen. Zugleich habe er versichert, den Kampf gegen den Terror weiter zu unterstützen. Burns erklärte laut GEO, die USA hätten vollen Respekt für die pakistanische Regierung.
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In Pakistan ist ein Hubschrauber des Roten Kreuzes mit sieben Menschen an Bord verschwunden. Der für Hilfslieferungen in das Erdbebengebiet angemietete Helikopter sei nach Beendigung seiner Mission am 20. Jan. von der Stadt Peshawar in Richtung Turkmenien gestartet, sagte ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes am 22. Jan. der Nachrichtenagentur AFP. Der Hubschrauber sollte auf seinem Heimweg auch Afghanistan überfliegen. Der Pilot habe der Luftfahrtkontrolle in Peshawar noch Meldung gemacht, als er das pakistanische Territorium verließ. Seitdem gebe es keine Nachricht. "Wir sind sehr besorgt", sagte der Sprecher.
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