Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters,
Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.
Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt
Juli 2004
1. bis 11. Juli
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Knapp eine Woche nach der Aufnahme der ersten umfassenden indisch-pakistanischen Verhandlungen zur Lösung des Kaschmir-Konflikts sind im indischen Teil des Himalaya-Gebiets bei Angriffen und Anschlägen acht Menschen getötet und 44 verletzt worden. Die indische Polizei vermutete eine Racheaktion für eine Razzia gegen muslimische Rebellen als mögliches Motiv für einen Bombenanschlag in der Hauptstadt Srinagar und einen Handgranatenangriff auf paramilitärische Soldaten in einem nördlich gelegenen Ort.
Auf einer von vielen Touristen besuchten Prachtstraße in Srinagar wurde am 3. Juli ein im Handkarren eines Obstverkäufers versteckter Sprengsatz mit einem Zeitzünder in die Luft gejagt. Zwei Menschen wurden nach Polizeiangaben getötet und 21 verletzt.
Stunden später wurde in der 55 Kilometer nördlich von Srinagar gelegenen Stadt Anantnag eine Handgranate auf eine Gruppe paramilitärischer Soldaten geworfen. Drei Soldaten und 20 Zivilpersonen wurden verletzt, zehn davon lebensgefährlich. In einem entlegenen Gebirgsdorf 75 Kilometer nördlich von Srinagar wurden nach Angaben aus Militärkreisen drei Soldaten und drei Rebellen getötet.
Über das Motiv der Anschläge gab es zunächst nur Vermutungen. Einerseits verlautete aus ranghohen Polizeikreisen, es könnte sich um eine Racheaktion für einen Schlag gegen die militante Gruppe Lashkar-e-Tayyaba handeln. Am 29. Juni Dienstag waren 20 mutmaßliche Mitglieder der Gruppe verhaftet worden, die nach Angaben der Polizei einen Anschlag auf die Börse planten. Zwei wurden bei der Aktion erschossen, als sie zu fliehen versuchten. Andererseits hieß es, separatistische muslimische Rebellen hätten zuletzt Anschläge auf Ziele intensiviert, die für den Tourismus wichtig sind. Das Land im Himalaya sieht zur Zeit die meisten Touristen seit Beginn der Rebellion militanter Muslime vor 15 Jahren. Lashkar-e-Tayyaba hat aber erklärt, sie verübe keine Anschläge auf Touristen.
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Indien hat am 4. Juli eine atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete getestet. Die Boden-Boden-Rakete habe eine Reichweite von rund 700 km und sei eine Variante der Agni-Mittelstreckenrakete, sagte ein Militärsprecher.
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Wegen einer Drohung sind die diplomatischen Vertretungen Großbritanniens und der USA in Pakistan am 5. Juli geschlossen worden. Es habe eine "spezifische, glaubwürdige Sicherheitsbedrohung" vorgelegen, die zur sofortigen Schließung der britischen Vertretung geführt habe, sagte ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums in Islamabad. Die wegen des US-Nationalfeiertages geschlossene US-Botschaft werde auch am 6. Juli nicht geöffnet. Zudem sei ein Festakt zum Unabhängigkeitstag abgesagt worden.
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Wenige Tage nach der Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen Indien und Pakistan über die Kaschmir-Region sind bei Gewalttätigkeiten in dem umstrittenen Grenzgebiet mindestens 17 Menschen ums Leben gekommen. Indische Truppen töteten insgesamt fünf Rebellen, als sie von der pakistanisch kontrollierten Zone in den indischen Teil Kaschmirs vordringen wollten, wie die Polizei am 6. Juli mitteilte. Bei einem Gefecht im Bezirk Kupwara starben drei Rebellen und ein indischer Soldat. In mehreren anderen Schusswechseln und Gefechten wurden acht weitere Menschen getötet. Seit dem 2. Juli starben bei Gewalttaten in der Kaschmir-Region insgesamt über 60 Menschen.
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Tausende von Studenten haben am 9. Juli im indischen Teil Kaschmirs gegen die Polizeigewalt demonstriert. Auslöser der Proteste war ein Vorfall der letzten Woche: Eine 17-jährige Schülerin soll in der Provinzhauptstadt Srinagar von der lokalen Polizei gefoltert worden sein. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas gegen die Demonstranten ein. Es gab nach Angaben einer lokalen Nachrichtenagentur fast 40 verletzte Demonstranten. Die Polizei sagte, sie hätte 50 Demonstranten festgenommen.
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Bei einem Anschlag im indischen Unionsstaat Jammu-Kaschmir sind am 10. Juli mindestens 30 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. Nach Angaben der Polizei zielten mutmaßliche muslimische Rebellen mit einem Granatangriff auf eine Polizeipatrouille in der Ortschaft Anantnang, verfehlten aber ihr Ziel. Die Granate sei dann mitten auf einer belebten Straße explodiert.
12. bis 18. Juli
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Bei schweren Überschwemmungen nach Monsun-Regenfällen in Indien sind mehr als hundert Menschen getötet worden. Allein im Bundesstaat Assam seien seit Beginn des Monsuns vor rund einem Monat 67 Menschen getötet worden, rund 3,7 Millionen Menschen seien auf der Flucht, teilten die Behörden mit. Der Fluss Brahmaputra habe schätzungsweise 3200 Dörfer überschwemmt. Der Regierungschef des Bundesstaates sprach am 13. Juli von "den schlimmsten Überschwemmungen in der jüngsten Geschichte". Von den 24 Bezirken von Assam stehen 22 unter Wasser.
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Auf der ersten Station seiner zehntägigen Asien-Reise trifft Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) am 14. Juli zu Gesprächen mit seinem indischen Kollegen Natwar Singh zusammen. Die Reise führt Fischer in den folgenden Tagen weiter nach China, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan. Der Außenminister wird von einer Abordnung des Bundestages und einer Delegation von Wirtschaftsvertretern begleitet. In Indien und Pakistan wird unter anderem die Bekämpfung des Terrorismus Thema der Gespräche sein. In China, wo ein Treffen mit Ministerpräsident Wen Jiabao auf dem Programm steht, will der Minister auch über einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat sprechen.
Deutschland und Indien wollen sich bei ihrem Bestreben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat gegenseitig unterstützen. Beide Länder hofften, diesen Status im Zuge einer Reform des UN-Gremiums zu erhalten, sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) am 14. Juli bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem indischen Kollegen Natwar Singh in Neu Delhi. Ein "effizientes multiterales System" werde dringend benötigt. Singh ergänzte, Deutschland und Indien wollten bei der Reformierung der UNO zusammenarbeiten.
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Eine Gruppe indischer Rebellen ist nach Polizeiangaben bei einem Treffen in Bangladesch getötet worden. Mitglieder mehrerer Separatistenorganisationen aus Nordostindien hätten sich am Abend des 17. Juli offenbar in einem Hotel in Dhaka getroffen und seien dabei von bewaffneten Angreifern überfallen worden, berichtete der Polizeichef des indischen Unionsstaats Tripura, G.M. Srivastava. Bis zu 25 der mutmaßlichen Separatisten seien getötet worden. Bei den meisten Opfern soll es sich um Mitglieder der Vereinten Befreiungsfront von Asom (ULFA) gehandelt haben. Die Polizei in Dhaka bestätigte die Angaben zunächst nicht. Die indischen Sicherheitskräfte gehen davon aus, dass mehrere Separatistengruppen im Nordosten des Landes Dutzende Stützpunkte im Nachbarland Bangladesch unterhalten. Bangladesch hat dies wiederholt zurückgewiesen.
19. bis 31.Juli
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Bundesaußenminister Joschka Fischer ist nach zweitägigen politischen Gesprächen in Sri Lanka am 19. Juli nach Indien weitergereist. Fischer hatte zu Beginn seiner zehntägigen Asienreise bereits Station in der Hauptstadt Neu Delhi gemacht und besuchte nun die Hauptstadt des Unionsstaats Tamil Nadu, Chennai. Im ehemaligen Madras wollte sich der Grünen-Politiker unter anderem mit dem Ministerpräsidenten des Staates treffen sowie ein Wasserversorgungsprojekt besuchen. Fischer, der am 23. Juli nach Berlin zurückkehrt, besuchte auch China und Bangladesch. Zum Abschluss seiner Reise steht noch eine Visite in Pakistan auf dem Programm. Bei den Gesprächen in der Hauptstadt Sri Lankas, Colombo, stand der Friedensprozess auf der Insel im Indischen Ozean im Mittelpunkt. Fischer sicherte Präsidentin Chandrika Kumaratunga politische Unterstützung bei der Suche nach einer Friedensvereinbarung mit den tamilischen Separatisten zu. Außerdem sprach er sich für den Ausbau des Handels mit Deutschland aus.
Die von Fischer gewünschte Unterstützung für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat hat Fischer weder in China noch in Sri Lanka erhalten.
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Bei einem Anschlag im indischen Teil Kaschmirs sind am 19. Juli fünf Menschen getötet worden. Die Bombe verletzte mindestens 50 weitere Menschen, zehn davon schwer, wie die Polizei mitteilte. Der Anschlag galt offenbar dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Kaschmir, Mangat Ram Sharma. Er entkam unverletzt. Sharma überlebte damit bereits den zweiten Mordanschlag innerhalb einer Woche. Der Sprengsatz detonierte in der Ortschaft Kapran im Unionsstaat Jammu-Kaschmir nahe dem Podium bei einer öffentlichen Veranstaltung.
Nach Angaben der Polizei wurden bei weiteren Gewalttaten in der Himalaya-Region sechs Menschen getötet.
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Tausende Einwohner des indischen Unionsstaats Jammu-Kaschmir haben am 20. Juli nach Polizeiangaben gegen die Gefangennahme zweier junger Männer aus ihrem Ort protestiert. Die Familien warfen den Behörden vor, nach der Festnahme vor mehr als drei Wochen keine Informationen über den Verbleib der beiden bekommen zu haben. Die Polizei löste die Proteste in Bijbehara, rund 250 Kilometer nördlich von Jammu, mit Tränengas auf. Mindestens sechs Demonstranten seien verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher.
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Bei einem Überfall in Jammu-Kaschmir wurden in der Nacht zum 20. Juli ein früherer Polizeibeamter und vier Mitglieder seiner Familie erschossen, wie die Polizei berichtete. Die Behörden machten für die Bluttat Separatisten verantwortlich.
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Außenminister Joschka Fischer will den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zum Schwerpunkt seiner bevorstehenden Gespräche in Pakistan machen. Fischer traf am 21. Juli auf seiner Asienreise in Islamabad ein. Zuvor hatte er vor Wirtschaftsvertretern im indischen Bombay das deutsche Interesse an einer Wiederannäherung beider Atommächte unterstrichen.
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Der pakistanische Staatspräsident Pervez Musharraf hat sich bei einem Besuch von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) in Pakistan "besorgt" über die Möglichkeit eines ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat für den Erzrivalen Indien gezeigt. Wie ein deutscher Diplomat am 22. Juli in Islamabad sagte, äußerte Musharraf dies bei einem Gespräch mit Fischer, der vergangene Woche Indien die deutsche Unterstützung für seinen Wunsch nach einem ständigen Sitz zugesagt hatte. Fischer betonte auf einer Pressekonferenz mit seinem pakistanischen Kollegen Khurshid Mahmud Kasuri, die deutsche Haltung richte sich nicht gegen eine "Drittpartei".
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Bundesaußenminister Joschka Fischer hat Indien und Pakistan die Unterstützung Deutschlands bei der Lösung des Kaschmir-Konflikts zugesichert. Nach Gesprächen mit pakistanischen Regierungsvertretern sagte Fischer am 22. Juli in Islamabad, es liege im Interesse Deutschlands, dass dieser seit Jahrzehnten andauernde Konflikt beigelegt werde. Fischer sprach mit Präsident Pervez Musharraf, mit Ministerpräsident Chaudhry Shujaat Hussain sowie mit Außenminister Khursheed Kasuri. Kasuri sagte, Fischer komme zu einer günstigen Zeit, da die Zeichen zwischen Pakistan und Indien auf Entspannung stünden. Pakistan will den Angaben zufolge seine vertrauensbildenden Maßnahmen fortsetzen. Kasuri hatte sich am Mittwoch mit seinem indischen Kollegen in Islamabad getroffen. Die beiden Politiker verständigten sich auf eine Fortsetzung der Kaschmir-Gespräche Anfang September in Indien. (Hier geht es zu einem Interview mit Fischer in "The Hindu".)
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Die beiden verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan haben ihre neuen Friedensbemühungen am 23. Juli mit einem weiteren Treffen vorangetrieben. Indiens Außenminister Natwar Singh sagte nach einem Gespräch mit Pakistans Präsident Pervez Musharraf in Rawalpindi nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, er kehre nun mit "noch größerer Entschlossenheit" zurück, gemeinsam mit Pakistan "an der Normalisierung unserer Beziehungen und einer Beendigung unserer Streitigkeiten zu arbeiten". Musharraf bekräftigte nach Angaben des pakistanischen Außenamts, seine Regierung wolle sich dafür einsetzen, die Gespräche mit Indien "zu einem Erfolg zu machen".
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Bei einem Massaker in einem Dorf im ostindischen Bundesstaat Bihar sind am 24. Juli mindestens neun Menschen in ihren Häusern getötet worden, darunter zwei Kinder. Wie die Polizei in der Provinzhauptstadt Patna mitteilte, eröffneten Unbekannte im 170 Kilometer nordöstlich von Patna liegenden Bezirk Siwan das Feuer auf Dorfbewohner, die niedrigeren Kasten angehörten. Der Grund für das Massaker sei noch unklar; möglicherweise handle es sich um politische Rivalitäten. Im Bundesstaat Bihar kommt es häufig zu politisch motivierter Gewalt und Morden zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kasten.
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Am 30. Juli wurde bekannt, dass in Pakistan einer der meistgesuchten mutmaßlichen Al-Kaida-Terroristen gefangen genommen wurde. Es handelt sich um den Tansanier Achmed Khalfan Ghailani. Er wird verdächtigt, maßgeblich an den Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania beteiligt gewesen zu sein, bei denen 1998 mehr als 220 Menschen getötet und über 5.000 verletzt worden waren. Pakistanische Sicherheitskräfte verhafteten Ghailani und 13 weitere Verdächtige (daneben auch seine usbekische Frau und mehrere Kinder) bereits am 25. Juli nach einem achtstündigen Feuergefecht, an dem 450 Polizisten beteiligt waren.
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Am 30.Juli wurde auf den designierten pakistanischen Ministerpräsidenten Shaukat Aziz ein Attentat verübt. Dabei wurden neun Menschen getötet, Aziz blieb unverletzt. Die pakistanischen Behörden vermuten Al-Kaida-Terroristen hinter dem Anschlag.
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