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"Das Volk ist nicht aufzuhalten"

Präsident von Honduras vergleicht sein Land mit dem besetzten Irak und Afghanistan. Ein Gespräch mit Manuel Zelaya

Manuel Zelaya ist rechtmäßiger Präsident von Honduras.



Herr Präsident, die Botschaft Brasiliens, in der Sie sich aufhalten, ist weiterhin von Militär und Polizei umstellt und wird von Scharfschützen bedroht. Sie selbst sind also ein Gefangener ...

Nach dem Staatsstreich vom 28. Juni haben die Putschisten die Verfassung und die Menschenrechte verletzt und außerdem jede Vertrauensgrundlage in Honduras zerstört. Mit jeder ihrer Handlungen haben sie sich gegen das Anliegen der Bevölkerung gerichtet, rechtmäßige Wahlen in Frieden und unter demokratischen Verhältnissen durchzuführen. Sie wollen hier solche Wahlen durchführen, wie es sie in Afghanistan oder im Irak gegeben hat; die Menschen sollen vor den Gewehrläufen abstimmen. Das bedeutet, solche Wahlen wären eine betrügerische Befragung des Volkes, denn in einer Demokratie dürfen nicht Angst und Schrecken herrschen. Wenn es keine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung gibt, kann das Volk kein Leben in Ruhe und Frieden erreichen.

Die Unterdrückung der Gegner des Staatsstreiches hat bislang mehr als 20 Menschenleben gefordert, über 500 Menschen wurden verletzt und 3000 verhaftet. Das Regime hat den Ausnahmezustand verhängt und die Grundrechte aufgehoben. Trotzdem will Diktator Micheletti die Wahlen am 29. November durchführen. Was sagen Sie dazu?

Damit es freie Wahlen in einem Land geben kann, braucht es einen ehrlichen und freien Wettbewerb und eine gleichberechtigte Beteiligung aller, die bei diesen Wahlen antreten. Aber wenn die Wahlen unter einer Tyrannei, unter einer unterdrückerischen, totalitären Regierung durchgeführt werden, haben sie keinerlei Gültigkeit und werden vom Volk nicht anerkannt werden.

Ein Staatsstreich ist etwas, das alle demokratischen Prozesse zunichte macht. Dann zu Wahlen aufzurufen kann nur dazu dienen, den Putsch zu legitimieren. Wahlen unter Kontrolle der Putschisten würden bedeuten, den Bock zum Gärtner zu machen, denn sie selbst würden durch ihre Macht eine Bedrohung für andere Honduraner darstellen, die bei diesen Wahlen gewählt werden und jederzeit wieder gestürzt werden könnten.

Was passiert, wenn es nicht gelingen sollte, dieses »honduranische Experiment« zu stoppen? Sehen Sie die Gefahr, daß künftig auch andere Kreise mit Unterstützung der internationalen Rechten versuchen werden, fortschrittliche Regierungen in Lateinamerika zu stürzen, um eine Beteiligung der Bevölkerung zu verhindern?

Das Volk ist nicht aufzuhalten. Das Volk ist Teil der Dialektik gesellschaftlicher Entwicklung. Der Prozeß wird weitergehen, aber ganz offensichtlich in Abhängigkeit davon, wer die Regierung führt.

Unter einem totalitären Regime zu Wahlen aufzurufen, würde eine Bedrohung der künftigen Präsidenten bedeuten, die jederzeit wieder gestürzt werden könnten. Die Repression und die Staatsstreiche dienen dazu, die gesellschaftlichen Prozesse zu bremsen und zu unterdrücken, sie sollen ihnen durch eine Mauer oder was weiß ich den Weg versperren. Dieser Diktatorenlehrling fordert die ganze internationale Gemeinschaft, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die UNO heraus. Solche Wahlen würden die Völkergemeinschaft und die Gesetze eines Rechtsstaates lächerlich machen.

Den internationalen Organisationen ist es offenbar nicht gelungen, Wege zu finden, um die seit dem Putsch in Honduras errichtete Diktatur zu beseitigen.

Ich glaube, es ist beschämend für die OAS und die Vereinten Nationen, daß sie das demokratische System nicht wiederherstellen können, sondern zu Zuschauern in einer Welt geworden sind, in der die Gewalt den Willen der Völker unterdrücken kann. Diese Gewalt ersetzt den Souverän, das Volk, durch die militärischen oder ökonomischen Spitzen, damit sie Präsidenten einsetzen und absetzen, wie es ihnen gefällt. Sie lassen einen Riß in der Demokratie auf dem amerikanischen Kontinent zu, denn in Honduras wurde das System des Respekts vor der Wahl des Volkes beseitigt, um die Herrschaft einer militärischen Elite zu errichten.

Interview: Manola Romalo

* Aus: junge Welt, 16. Oktober 2009

Chronologie: 111 Tage

28. Juni: Ein Kommando stürmt die Residenz des Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, und verschleppt diesen nach Costa Rica. Durch den Putsch wird die Durchführung einer Volksbefragung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung verhindert. Das Parlament ernennt Roberto Micheletti zum »Übergangspräsidenten«. Gegner des Putsches wurden an der Teilnahme an der Sitzung gehindert. Trotz Ausgangssperre gehen Zehntausende gegen die neuen Machthaber auf die Straße.

29. Juni: Die Bolivarische Allianz ALBA, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die UNO verurteilen den Putsch und fordern die sofortige Wiedereinsetzung Zelayas in sein Amt.

5. Juli: Zelaya versucht, mit dem Flugzeug nach Honduras zurückzukehren. Militär und Polizei blockieren jedoch die Landebahnen des Flughafens Toncontín und gehen gewaltsam gegen eine halbe Million Menschen vor, die den Präsidenten begrüßen wollen. Dabei wird mindestens ein Mensch getötet.

9.–19. Juli: Unter Vermittlung des costaricanischen Präsidenten Óscar Arias verhandeln Vertreter Zelayas und der Putschisten in San José. Die Gespräche scheitern an der Haltung des Regimes.

24. Juli: An der Grenze zwischen Nicaragua und Honduras versucht Zelaya erneut, in sein Land einzureisen. Nach wenigen Schritten muß er sich jedoch in das Nachbarland zurückziehen. Dort errichten seine Anhänger mehrere Wochen lang ein Lager, um ihren Präsidenten nach Honduras zu begleiten. Auf honduranischer Seite verhindern Tausende Soldaten, daß sich Demonstranten der Grenze nähern können.

21. September: Überraschend kehrt Zelaya nach Honduras zurück und findet Zuflucht in der Botschaft Brasiliens in Tegucigalpa. Die geschockten Putschisten reagieren mit der Verhängung des Ausnahmezustandes und riegeln das Botschaftsgebäude ab.

27. September: Soldaten stürmen die Anlagen von Radio Globo und dem Fernsehsenders Canal 36, die sich beide gegen die Putschisten gestellt hatten.

7. Oktober: In Anwesenheit einer internationalen Ministerdelegation beginnen Verhandlungen zwischen Vertretern Zelayas und der Putschisten. (scha)




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