Honduras-Putsch vereitelte neuen Sozialpakt
Xiomara Castro de Zelaya über Hintergründe des Staatsstreichs
Xiomara Castro de Zelaya ist die Ehefrau des gewählten
Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya. »Mel« Zelaya wurde am 28. Juni
von einem Kommando des Militärs außer Landes gebracht und weilt derzeit
im Exil in Nicaragua. Von dort kämpft er für seine Rückkehr. Im
ND-Interview äußert sich seine Frau zu Hintergründen und Vorgeschichte
des Putsches. Das Gespräch in Tegucigalpa führte für das "Neue
Deutschland (ND) Harald Neuber.
ND: Frau Castro de Zelaya, Die Putsch-Verantwortlichen sagen, Ihr Mann
habe gegen das Grundgesetz
verstoßen, weil er sich auf dem Wege der Einberufung einer
verfassunggebenden Versammlung
eine Wiederwahl sichern wollte.
Castzro de Zelaya: Das ist Teil der Desinformation. Ich kann ihnen die
Frage für die nicht bindende Volksumfrage
vorlegen, die am 28. Juni stattfinden sollte. »Sind Sie damit
einverstanden«, hieß es da, »dass bei
den allgemeinen Wahlen im November 2009 eine vierte Urne aufgestellt
wird, um über die
Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zu entscheiden?« Die
verfassunggebende
Versammlung hätte also erst lange nach den kommenden Wahlen
stattgefunden. Wie also wäre
seine Wiederwahl möglich gewesen?
Weshalb wird es dennoch behauptet?
Es wird von denjenigen Medien behauptet, die den Putsch unterstützen.
Welchen Grund haben sie dazu?
Seine Politik! Schon Mitte der 90er Jahre hat sich mein Mann, damals als
Direktor des Sozialen
Investitionsfonds Honduras (FHIS), für mehr Bürgerbeteiligung
eingesetzt. Unter seiner
Präsidentschaft wurde der kostenlose Zugang zum staatlichen Schulwesen
gewährleistet; 1,3
Millionen Kinder bekamen in den Schulen täglich eine warme Mahlzeit;
Kleinbauern mit weniger als
zwei Manzanas (200 mal 200 Meter) Land wurden vom Staat gefördert, indem
ihnen etwa Saatgut
zur Verfügung gestellt wurde. Das kubanische Alphabetisierungsprogramm
»Yo si puedo« (Ja, ich
kann) wurde eingeführt.
Das hört sich nicht sehr kritikwürdig an.
Die Probleme begannen, als die Sozial- und Staatsreformen die
Privilegien der Elite bedrohten. Zwei
Monate vor dem Amtsantritt des Präsidenten waren die Treibstoffpreise
über Nacht angehoben
worden. Der Beitritt zu dem von Venezuela gegründeten energiepolitischen
Bündnis Petrocaribe bot
eine Lösung für die Versorgungsengpässe – durch die Lieferung
venezolanischen Öls zu
Vorzugsbedingungen. Wir mussten nur 30 Prozent binnen 90 Tagen bezahlen.
Die übrigen 70
Prozent können binnen 25 Jahren mit nur einem Prozent Zinsen beglichen
werden. Nicht nur dieses
Abkommen bedrohte die Profite von Spekulanten. Als mein Mann das
Präsidentenamt antrat, ließ er
die Medikamentenversorgung untersuchen. Diesen Bereich hatte aber bis
dahin der Millionär und
Medienmogul Jorge Canahuati Larach kontrolliert. Zudem wurde zu Beginn
der Amtszeit meines
Mannes der Schutz der Wälder verstärkt, was die Holzindustrie um ihre
Profite bangen ließ. Und
schließlich legte der Präsident Mitte Mai dieses Jahres sein Veto gegen
einen Gesetzesvorschlag
der Rechten ein, der die »Pille danach« verbieten sollte. Das brachte
die katholische Kirche und
besonders die ultrarechte Organisation »Opus Dei« gegen ihn auf. Es gab
vor dem Putsch also eine
breite Interessenkoalition.
Konnte sich Ihr Ehemann dagegen nicht wehren?
Das Problem war vor allem die Kontrolle der Medien durch die
Oberschicht. Er hat zwar einen
Fernsehsender und eine Zeitung gegründet, um zumindest zwei Medien zur
Verfügung zu haben.
Aber die Gegenpropaganda war massiv. Etwa gegen die Anhebung des
Mindestlohnes von
umgerechnet 200 auf 300 US-Dollar. Ziel war, dass die Menschen den
Grundwarenkorb bezahlen
können.
Nun gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen Ihrem Mann und
anderen, linksgerichteten
Staatschefs in Lateinamerika: Manuel Zelaya gehört der Liberalen Partei
Honduras (PLH), einer
Gruppierung der Oberschicht, an. War das ein Grund für die Eskalation?
Innerhalb der PLH tobte seit zwei Jahren ein erbitterter Machtkampf der
Eliten. Nach geltendem
Gesetz konnten weder der bisherige Vizepräsident Elvin Santos noch der
letzte Parlamentspräsident
und jetzige Machthaber Roberto Micheletti für das Präsidentenamt
kandidieren. Das Gesetz besagt,
dass sich niemand um die Präsidentschaft bewerben darf, der sechs Monate
vor der Wahl ein
politisches Amt ausgeübt hat. Deswegen ging Santos einen Deal mit
Micheletti ein. Er versicherte
sich dessen Unterstützung und trat von seinem Amt als Vizepräsident
zurück, um sich später für das
höchste Staatsamt bewerben zu können. Das war ein Abkommen unter
Oligarchen, das parteiintern
auf massive Kritik stieß. Zudem war Santos auch Vorsitzender der PLH. Um
seine Karrierepläne
realisieren zu können, übergab er den Parteivorsitz gegen den Willen der
Mehrheit der Mitglieder an
Micheletti. Das war ein unglaublicher Skandal und ein erster Putsch
gegen den Präsidenten. Bei
dem Parteikongress Ende vergangenen Jahres kam es zu tumultartigen Szenen.
Bedrohte die beabsichtigte Bildung einer verfassunggebenden Versammlung
die Machtübergabe
innerhalb der Elite?
Die gesamte Amtsführung des Präsidenten bedrohte ihre Pläne. Vor allem
aber bereitete ihnen
natürlich das Vorhaben einer Verfassungsreform Kopfschmerzen. Wäre das
Projekt durchgesetzt
worden, hätten die sozialen Organisationen erheblich an Gewicht im Staat
gewonnen. Das konnte
die alte Oligarchie nicht erlauben.
Traf Ihr Mann mit dem Vorschlag auf den Widerstand der gesamten Partei?
Nein, besonders an der Basis und auf lokaler Ebene wird er unterstützt.
Dieser Konflikt zeigt sich
nun auch nach dem Staatsstreich: Befürworter der Vierten Urne, unter
ihnen etliche Bürgermeister,
wurden nach dem Putsch aus ihren Ämtern entfernt.
* Aus: Neues Deutschland, 13. August 2009
Zurück zur Honduras-Seite
Zurück zur Homepage