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Verhärtete Fronten in Honduras

Demokratiebewegung geht längst über die Forderung nach Rückkehr Manuel Zelayas hinaus

Von Harald Neuber, Tegucigalpa *

Es herrscht der übliche Betrieb bei der Staatsanwaltschaft von Tegucigalpa. Justiziare stehen in der Lobby des schon etwas baufälligen Hochhauses im Westen der honduranischen Hauptstadt. Gelangweilt kontrollieren zwei Wachleute die wenigen Besucher. Im Warteraum harren einige Bürger der Gelegenheit, in den Büros der oberen Etagen ihre Anliegen vorzutragen.

Plötzlich kommt Unruhe auf. Mehrere Lastwagen mit militarisierten Polizisten fahren vor. Die Uniformierten springen von den Ladeflächen und schirmen das Gebäude im Halbkreis ab. Schnell wird der Grund des Einsatzes bekannt: Gruppen der »Widerstandsfront gegen den Staatsstreich in Honduras« sind im Anmarsch. Eilig werden Autos weggeparkt. Einige Neugierige sammeln sich in der Lobby, um das Geschehen zu beobachten.

Täglich regt sich der Protest

Die Widerstandsfront, die auch an diesem Tag wieder hunderte Aktivisten sozialer Gruppen mobilisiert hat, wurde unmittelbar nach dem Staatsstreich gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni ins Leben gerufen. Jeden Tag organisiert sie in Tegucigalpa Proteste gegen das seither herrschende Putschistenregime unter Führung des ehemaligen Präsidenten des Nationalkongresses, Roberto Micheletti.

In der sechsten Woche nach dem Umsturz verlaufen diese Aktionen nach einem festen Schema: Morgens sammeln sich die Demonstranten vor der Pädagogischen Universität oder am Morazán-Boulevard im Westen der Hauptstadt. Erst dann wird die Demonstrationsroute des Tages bekannt gegeben. »Eine Sicherheitsmaßnahme«, erläutert Maria del Carmen Castro von der Frauenorganisation CESADE, »in den vergangenen Wochen hat die Polizei mehrfach versucht, die Protestrouten zu blockieren, und ist gewaltsam gegen uns vorgegangen. Dabei hat es auch Verletzte gegeben.«

Die rund 100 sozialen Organisationen, regierungsunabhängigen Gruppen und politischen Parteien der Widerstandsfront haben sich auf diese Situation eingestellt. Per Kurznachricht auf Mobiltelefonen, von denen es im 7,5-Millionen-Staat Honduras mehr gibt als Einwohner, werden Informationen über die Aktionen des Tages verbreitet. Die Methode hat sich auch als Warnsystem bewährt: »Polizei dringt in Universität ein. Waffeneinsatz. Präsidentin geschlagen«, hieß es in einer dieser Nachrichten in der vergangenen Woche. Wenig später flimmerten die Bilder der ersten schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Studenten über den Bildschirm.

Medien in Magnatenhand

Informiert wird die Bevölkerung in Honduras dennoch nicht. »Zehn Familien kontrollieren nicht nur die Wirtschaft von Honduras, sondern auch die Medien«, heißt es in einem Flugblatt der Politischen Organisation Los Necios, die Teil der Widerstandsfront ist. Der Medienmagnat Rafael Ferrari allein kontrolliert demnach die Mediengruppe Televicentro, die Fernsehkanäle 3, 4, 5 und 7, MegaTV und den Sender TEN. Diese und andere Propagandainstrumente der Oberschicht verschweigen nicht nur den Widerstand gegen das Putschistenregime. Sie führen eine regelrechte Kampagne gegen die Protestbewegung, die für eine Rückkehr zu Demokratie und verfassungsmäßiger Ordnung eintritt.

Weil drei am Putsch beteiligte Millionäre - Jorge Canahuati Larach, Carlos Flores Facussé und Rodrigo Wong Arévalo - die zehn führenden Zeitungen und Zeitschriften besitzen, ist auch von dieser Seite keine Information zu erwarten. Jeden Tag räumen die Blätter den Putschisten breiten Raum ein, um den Staatsstreich vom 28. Juni als »verfassungsmäßige Ablösung des Präsidenten« zu verteidigen - gegen die Meinung aller relevanten internationalen Organisationen.

Wie halsstarrig die Putschisten und ihre Unterstützer sind, erlebte die Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Monika Knoche, in der vergangenen Woche. Die Sozialistin hielt sich fünf Tage lang in Honduras auf, um die Lage zu untersuchen. Zwar kam sie dabei bewusst nicht mit Mitgliedern des Putschistenregimes zusammen. Doch sie nahm Interviews mit Unterstützern der neuen Machthaber wahr. Arrangiert hatte diese Treffen der Geschäftsträger der deutschen Botschaft, Michael Zinn. So sprach Monika Knoche beispielsweise mit Marco Antonio Andino, Fraktionschef der Liberalen im Nationalkongress.

Um zu dem Treffen zu gelangen, mussten die deutschen Vertreter schwer bewaffnete Soldatenposten passieren, die das von Putschisten dominierte Parlament schützen. In der Tiefgarage haben die Militärs ein Lager eingerichtet - Feldbetten inklusive. Dass nicht nur sie sich auf einen längeren Einsatz eingerichtet haben, sondern auch die Vertreter des Regimes, machte Andino im Gespräch umgehend deutlich. Am 28. Juni habe zweifelsohne ein Staatsstreich stattgefunden, hatte Monika Knoche erklärt. »Wir sind da anderer Meinung«, entgegnete Andino, und fügte an: »Sie können noch so viele Sanktionen gegen uns erheben - wir werden hier bleiben.«

Ein Gespenst geht um ...

Ähnlich verlief die Unterredung mit dem Vorsitzenden der evangelischen Kirche von Honduras, Oswaldo Canales. Der Geistliche steht nach eigenen Angaben rund 240 Organisationen vor und repräsentiert 39 Prozent der honduranischen Bevölkerung. Wie in anderen Staaten der Region hat die evangelische Kirche auch in Honduras starken Zulauf. »Wir haben sogar zwei Abgeordnete im Nationalkongress«, sagte der Kirchenvertreter nicht ohne Stolz. Ob er sich zur politischen Lage positioniere, fragte Knoche. »Nein, das ist nicht unsere Aufgabe als Kirche«, antwortete Canales, um wenig später entgegen internationaler Auffassung zu behaupten, in Honduras habe kein Putsch stattgefunden. »Außerdem wurde Zelaya von Kommunisten unterstützt.« Aus Venezuela seien »unzählige Spione« eingeschleust worden, »um das Land zu unterwandern«.

Die Paranoia des Kirchenvertreters ist kein Einzelfall. Auch der katholische Klerus hat sich unmissverständlich auf die Seite des Micheletti-Regimes gestellt. Kardinal Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga spricht von der »Gefahr des Chavismus« und der »Verteidigung der Freiheit«. In der morgendlichen Fernsehtalkshow »Frente a Frente« schlossen sich mehrere führende Militärs dieser Meinung unlängst an. Mit dem Putsch Ende Juni sei in Honduras ein »als Demokratie verkleideter Sozialismus« aufgehalten worden, sagte General Miguel Ángel García Padget. Eine kühne Behauptung, denn der Liberale Zelaya war lediglich dem alternativen Staatenbündnis ALBA und dem energiepolitischen Verband Petrocaribe beigetreten. Auch hatte er in den dreieinhalb Jahren seiner Amtszeit eine Reihe sozialer Maßnahmen durchgesetzt: den freien Zugang zu Bildung etwa, oder die Anhebung des Mindestgehalts von umgerechnet rund 200 auf rund 300 US-Dollar. Parallelen, die Sorgen erregen

»Wir verfolgen diese politische Frontstellung mit großer Sorge«, sagt Bertha Oliva, Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH. Oliva sitzt im Innenhof eines alten Gebäudes unweit der Kathedrale im historischen Zentrum Tegucigalpas. Die Organisation COFADEH wurde ursprünglich gegründet, um dem Schicksal hunderter Aktivisten, Politiker und Bürger nachzugehen, die im Rahmen einer mehrjährigen antikommunistischen Terrorkampagne in den 80er Jahren verschleppt und ermordet worden waren. »Einige der Stellungnahmen, die wir seit dem 28. Juni hören, ähneln in erschreckender Weise der damaligen Propaganda«, sagt Bertha Oliva.

Die Parallelen gehen über den politischen Diskurs hinaus. Putschistenführer Micheletti hat den ehemaligen Elitemilitär Billy Joya als »politischen Berater« engagiert. Joya lebte in den vergangenen Jahren im kanadischen Exil, weil in Honduras gegen ihn wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wurde. Unter dem Micheletti-Regime hat er nichts mehr zu befürchten. Mehr noch: Der mutmaßliche Verbrecher gab in den letzten Wochen Fernsehinterviews, in denen er die »kommunistische Bedrohung« aus Venezuela beklagte. »Für uns ist das unerträglich«, sagt Oliva: »Und es macht uns große Angst.«

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009


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