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Kein Ausweg aus der Krise

Putschisten in Honduras wollen Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt mit aller Macht verhindern

Von Harald Neuber, Tegucigalpa *

Während der vor über einem Monat gestürzte honduranische Präsident Manuel Zelaya in Lateinamerika einen »diplomatischen Kreuzzug« gestartet hat, um seine Rückkehr an die Macht zu beschleunigen, suchen die Putschisten Wege aus der Isolation. Eine Konfliktlösung zeichnet sich nicht ab.

Manuel Zelaya ist in Lateinamerika alles andere als ein Paria. Bei seinem am Dienstag (4. August) gestarteten »diplomatischen Kreuzzug« traf er in Mexiko-Stadt mit dem mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón zusammen. »Ich glaube, dass die Meinung Mexikos in ganz Lateinamerika ein großes Gewicht hat«, sagte Zelaya bei der Ankunft. Nächste Station der Reise ist Brasilien, wo mit Lula ein noch einflussreicherer Präsident residiert, der sich ebenfalls eindeutig zugunsten von Zelayas Rückkehrrecht positioniert hat.

In Honduras hat sich derweil am Montagnachmittag (3. August) die Mehrheit im Nationalkongress des mittelamerikanischen Landes für eine Amnestie für den gewählten Präsidenten Manuel Zelaya ausgesprochen. Die Entscheidung soll dem am 28. Juni durch einen Militärputsch gestürzten Politiker den Weg zurück nach Honduras ebnen.

Doch was zählt das Amnestieangebot? Fast parallel zu der Entscheidung im Parlament bekräftigte Machthaber Roberto Micheletti, es werde keine Rückkehr Zelayas in das Präsidentenamt geben. Anhänger Zelayas, die auch über einen Monat nach dem Putsch täglich im ganzen Land auf die Straße gehen, lehnen auch das Amnestieangebot ab. Mariano Madiaga etwa. Der Mittfünfziger steht am Dienstagmorgen vor seinem kleinen Kiosk am »Boulevard Morazán« im Zentrum der Hauptstadt. »Wenn Präsident Zelaya diese Amnestie akzeptieren würde«, sagt er und weist auf die ausliegenden Zeitungen hinter sich, »dann würde er doch auch die konstruierten Vorwürfe gegen ihn anerkennen.«

Während auf der politischen Ebene das Kräftemessen also anhält, beklagen sich soziale Organisationen über eine Zunahme der Gewalt. Zwei Lehrer sind seit der vergangenen Woche ermordet worden. Am Donnerstag war der Pädagoge Roger Abraham Vallejo am Rande einer Demonstration erschossen worden. Nach Angaben des Polizeisprechers kam die Kugel, die Vallejo tötete, aus einem Protestzug für die Rückkehr des Präsidenten Manuel Zelaya. Doch Augenzeugen bestätigen das Gegenteil. »Roger ging am Ende der Demonstration«, sagt Jaime Odoñez, ein Kollege des Toten: »Hinter ihm waren gar keine Demonstranten mehr.«

Nach anderen Berichten, die die Menschenrechtsorganisation COFADEH zusammengetragen hat, hatte ein Polizist den Lehrer gezielt und aus nächster Nähe hingerichtet. Klarheit könnte die Kugel bringen. Doch noch während der Autopsie sind nach Angaben der Ärzte Polizisten in das Krankenhaus gekommen, um das Projektil zu konfiszieren.

Der gewaltsame Tod von Vallejo war kein Einzelfall. In den vergangenen Tagen hat die Gewalt gegen Kritiker des Putschregimes massiv zugenommen. Nicht generell, denn auf den ersten Blick herrscht in Tegucigalpa Ruhe. Doch nach Auskunft von Bertha Oliva, der Präsidentin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, wurde jeden Tag mindestens ein Mensch getötet. »Unser Problem ist, dass wir nicht die Ressourcen haben, um all diese Fälle zu untersuchen«, so Oliva, die Menschenrechtsverletzungen in einem weitaus größeren Ausmaß befürchtet. Im Verwaltungsbezirk El Paraíso an der Grenze zu Nicaragua könnten Dutzende Anhänger Zelayas erschossen worden sein, als sie zum Präsidenten gelangen wollten.

Im Gespräch mit ND bestätigt Amable de Jesús Hernández, der Bürgermeister der Stadt San José de Colinas, diese Einschätzung. Jesús Hernández gehört - wie der gestürzte Präsident - dem linken Flügel der Liberalen Partei von Honduras (PLH) an. Er ist führend an den Protesten gegen das Putschistenregime beteiligt. »In den vergangenen Wochen habe ich mehrfach Morddrohungen erhalten«, sagt er. Der oppositionelle Politiker ist sich sicher, dass hinter dieser »Strategie der Angst«, wie er sagt, Billy Joya steht. Der ehemalige Militär war in den 1980er Jahren in schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit verstrickt. Um der Strafverfolgung zu entgehen, floh er nach Kanada. Seit einigen Wochen nun ist er wieder zurück in Honduras - als Berater des Machthabers Micheletti.

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2009


"Putschisten weichen keinen Schritt zurück"

Der internationale Druck auf das illegale Regime in Honduras verpufft weitgehend. Streiks und Proteste im Inland dauern an. Ein Gespräch mit Dunia Montoya **

Dunia Montoya ist Journalistin des honduranischen Kommunikationszentrums COMUN und Korrespondentin des costaricanischen Radiomagazins Voces Nuestras

Hat sich der Widerstand gegen den Putsch vor einem Monat mittlerweile erschöpft?

Auch am 34. Tag des Volkswiderstandes hat die Bewegung in unserem Land nicht nachgelassen. Trotz aller Unterdrückung sind wir auf den Straßen unübersehbar. Die Putschisten gehen mit zunehmender Gewalt gegen friedliche Proteste vor; die Massenfestnahmen bei Demonstrationen halten an. Der Verteidigungsminister der Putschisten drohte am Montag, in dieser Woche keine Straßenblockaden mehr hinzunehmen. Militär und Polizei würden fortan keine Hemmungen mehr kennen, wenn es darum ginge, die Wirtschaft des Landes am Laufen zu halten.

Wie reagiert die Opposition auf die Festnahmen?

Die Festgenommen werden von Anwälten vertreten. Aber diese berichten, daß die Spielregeln des Rechtsstaates immer weiter ausgehebelt werden. Zum Beispiel erscheinen Richter einfach nicht, wenn sie Einspruch gegen eine Verhaftung einlegen wollen. Oder sogar wenn ein Richter so einem Einspruch stattgibt, folgt die Polizei statt dessen weiterhin den Vorgaben aus dem Innenministerium.

In der Grenzregion zu Nicaragua, wo sich Präsident Zelaya aufhält, herrscht seit Tagen Belagerungszustand. Was bedeutet das für die Menschen in den betroffenen Provinzen?

Die politische Unterdrückung und Verfolgung in der Provinz ist verheerend, denn dort gibt es keine internationalen Beobachter. Normalität und Legalität gibt es dort nicht mehr, wie nirgendwo im Land. Dennoch haben die Menschen ihre Angst überwunden und setzen sich gegen bis an die Zähne bewaffnete Polizisten und Militärs zur Wehr.

Seit über drei Wochen befinden sich viele Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im politischen Streik gegen den Putsch. Wie hat das Regime reagiert?

Die Woche begann mit einer Offensive gegen die streikenden Kollegen im öffentlichen Dienst. Die Polizei rechtfertigte einen überaus brutalen Schlagstockeinsatz damit, daß Beamte nicht gegen die Regierung des Putschpräsidenten demonstrieren dürften. Während einer solchen Demonstration in der vergangenen Woche wurde auch Carlos H. Reyes verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Der Veteran der Gewerkschaftsbewegung ist der erste unabhängige linke Präsidentschaftskandidat, der vom Wahlgericht anerkannt wurde. Carlos unterstützt die »Vierte Urne« von Präsident Zelaya und wurde vor dem Putsch von einer Vollversammlung sozialer Organisationen, Gewerkschaften und linken Parteien zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen nominiert, die im November stattfinden sollten. In den ersten Tagen des Putsches war er in Tegucigalpa für ein paar Tage von der Polizei eingesperrt und gefoltert worden. Nun wurde er erneut Opfer gezielter Gewaltaktionen.

International ist das Putschistenregime nicht anerkannt, viele Staaten haben honduranischen Diplomaten die Visa entzogen. Wie wirkt der internationale Druck?

Die Putschisten lassen sich davon nicht beeindrucken und weichen keinen Schritt zurück. Im Gegenteil: Sie sind auch dazu übergegangen, Diplomatenvisa zu entziehen.

Ist der Widerstand im eigenen Land wirkungsvoller?

Die Situation ist alles andere als einfach. Denn trotz der friedlichen Massenproteste, die in allen Teilen des Landes stattfinden, lastet das Unterdrückerregime auf uns. Zwei Lehrer, führende Organisatoren des Streiks, wurden ermordet. Der Ausstand an den Schulen geht weiter, auch wenn die Lehrer einige Unterrichtsstunden geben, damit die Schüler nicht das ganze Schuljahr verlieren. Selbst wenn Präsident Zelaya jetzt zurückkommen würde, sehe ich nicht, wie das Land schnell zur Normalität zurückkehren könnte.

Interview: Torge Löding (Voces Nuestras, San José)

** Aus: junge Welt, 5. August 2009


Dringender Aufruf

Honduras' Widerstandsbewegung gegen Putschisten fordert internationalen Boykott. Demonstrationen vor Botschaften

Von Santiago Baez ***


Die honduranische Widerstandsbewegung gegen die Putschisten richtete am Montag (3. August) einen Aufruf an die internationale Öffentlichkeit. Er steht unter der Losung »Nur die weltweite Einheit der Arbeiterklasse wird das faschistische Experiment in Honduras besiegen«. Die Beschäftigtenorganisationen sollten aktive Solidarität mit Volk und arbeitender Bevölkerung in dem zentralamerikanischen Land organisieren, darunter einen Boykott aller Güter, die honduranische Häfen erreichen oder verlassen.Und sie sollten Demonstrationen vor den Botschaften von Honduras und der Vereinigten Staaten durchführen.

Bereits am 17. Juli hatte die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) zu Aktionen gegen honduranische Schiffe aufgefordert. »Dieser Aufruf richtet sich gegen das Be- und Entladen der 650 Schiffe, die unter der Flagge von Honduras fahren«, hieß es. Die Föderation wies zugleich darauf hin, daß Honduras als Billigflaggenland gilt und viele Reedereien ihre Schiffe dort registriert haben, um europäische Sozialstandards oder Gehälter zu umgehen.

ITF-Generalsekretär David Cockroft betonte: »Wir müssen wirksamen Druck auf die Streitkräfte in Honduras ausüben, damit die Demokratie zurückkehrt. Deshalb rufen wir alle unsere Mitglieder auf, daß sie die Anwendung jeder Art von Aktionen im Rahmen der legitimen Möglichkeiten prüfen, um die Rechte der Bürgerinnen und Bürger von Honduras zu verteidigen.« Cockroft meinte weiter, daß »alle Aktionen gewaltfrei sein und natürlich die Rechte der an Bord dieser Schiffe arbeitenden Matrosen respektieren müssen«. Doch ansonsten sollten sie »eine klare Botschaft an die zeitweiligen Herrscher in Honduras sein, daß die Welt diese illegale Machtergreifung weder akzeptiert noch anerkennt«. Zu den 656 weltweit der ITF angeschlossenen Organisationen gehört auch die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Unterdessen gaben der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, und der costaricanische Präsident Oscar Arias bekannt, an der Spitze einer hochrangigen Delegation nach Honduras reisen zu wollen, um dort das Regime der Putschisten zu einer Annahme des von Arias vorgelegten »Abkommens von San José« zu bewegen. Der rechtmäßige Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, hatte den Vorschlag Arias' akzeptiert, obwohl er weitreichende Zugeständnisse an die Putschisten enthält. Letztete aber wollten sich nicht auf eine Rückkehr Zelayas in das Präsidentenamt einlassen.

Die Zusammensetzung der Delegation, an der sich auch Außenminister mehrerer Länder Lateinamerikas und der Karibik beteiligen sollen, werde am heutigen Mittwoch (5. August) im Rat der OAS diskutiert, kündigte Insulza am Montag nach einer Zusammenkunft mit Arias und der spanischen Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega an.

Allerdings setzt die Widerstandsbewegung in Honduras keine Hoffnung in die Bemühungen Arias' und Insulzas. »Die Vermittlung durch den Präsidenten Arias ist eine Strategie des State Departments der Vereinigten Staaten, um eine gewisse internationale Anerkennung des Diktators Micheletti zu erreichen«, erklärte die Nationale Front gegen den Staatsstreich. Ein »Ausweg aus dem Konflikt« solle hinausgezögert werden, »damit sich die Widerstandsbewegung erschöpft«. Zudem solle Präsident Zelaya »unannehmbaren Bedingungen für seine eventuelle Wiedereinführung ins Amt unterworfen« werden, so die Widerstandsbewegung. Sie akzeptiere »nur eine sofortige, sichere und bedingungslose Wiedereinsetzung des Präsidenten Zelaya in sein Amt«.

*** Aus: junge Welt, 5. August 2009




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