Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Obamas Haltung verärgert Lateinamerika

USA wollen Putschvertreter anerkennen, Subkontinent empört

Von Harald Neuber *

Die Wahlen in Honduras sind Teil des Staatsstreichs und verlaufen unter Kontrolle der Putschisten. Trotzdem werden Proteste erwartet. Die USA akzeptieren den Urnengang, in Lateinamerika stößt er auf Ablehnung.

Auf den ersten Blick herrscht in Honduras Normalität. Wenige Tage vor den Wahlen am Sonntag (29. Nov.) haben die Kandidaten der beiden großen, traditionellen Parteien der Oberschicht ungezählte Plakate aufhängen lassen. Für die Liberale Partei (PL) bewirbt sich Elvin Santos, für die Nationalen tritt Porfirio Lobo an. Ausschlaggebend ist aber nicht, was von der Wahl zu sehen ist, sondern was nicht: Über 300 Anwärter auf politische Ämter haben ihre Kandidatur für die Regional- und Parlamentswahlen zurückgezogen. Auch der unabhängige Präsidentschaftskandidat und Gewerkschafter Carlos H. Reyes boykottiert die Wahl. Es gebe angesichts der politischen Gewalt keine Voraussetzungen für eine freie und faire Abstimmung, sagt er. Die Widerstandbewegung kündigte Proteste an.

Die entsprechenden Zahlen haben die Menschenrechtsorganisationen COFADEH und CODEH vorgelegt. »Nach Angaben dieser beiden Organisationen gab es seit dem Putsch 21 dokumentierte Fälle von politischem Mord«, sagt der Journalist Omar Rivera im Gespräch mit ND. Rivera zählt die bekannten Daten über die tägliche Gewalt auf: 108 Morddrohungen seien dokumentiert, 453 Verletzte, 114 politische Gefangene, 26 Übergriffe auf Medien und Journalisten und über 3000 zum großen Teil willkürliche Verhaftungen. »Völlig unverständlich« und »beschämend« sei deswegen die Haltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Deren Vertreter in Tegucigalpa, Christian Lüth, hat das Putschistenregime und die Wahl vor wenigen Tagen in einem Interview im spanischen Dienst der Deutschen Welle erneut gutgeheißen.

Der deutsche Liberale weiß ebenso wie die Machthaber, dass die Wahlen den letzten Ausweg für das Regime bieten. Es sei, so schrieb der letzte gewählte Präsident Manuel Zelaya unlängst an seinen USA-Kollegen Barack Obama, »ein antidemokratisches Wahlmanöver«, mit dem sich die Verantwortlichen des Putsches zu schützen versuchen. Tatsächlich steht die Wahl am Wochenende politisch keineswegs im Widerspruch zum gewaltsamen Umsturz: Der gewählte Präsident befindet sich schließlich nach wie vor im Exil in der brasilianischen Botschaft, seine Anhänger sind aus den Ämtern gedrängt worden oder zurückgetreten und der einzige chancenreiche unabhängige Bewerber, Carlos H. Reyes, hat seine Kandidatur niedergelegt. Am Sonntag wird so oder so ein Vertreter des Putsches gewinnen. Die Wahl wird unter den jetzigen Bedingungen zur Fortsetzung des Staatsstreichs.

In der Region trifft die Abstimmung deswegen auf entschiedene Ablehnung. Kein Land Lateinamerikas und der Karibik erkenne derzeit die Wahlen ohne eine vorherige Rückkehr Manuela Zelayas in den Präsidentenpalast an, sagte Brasiliens Außenminister Celso Amorim am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. »Ich weiß nicht, wie sich andere Staaten künftig entscheiden werden, aber Brasilien bleibt bei dieser Position«, zitiert die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina den Chefdiplomaten, der zugleich Differenzen mit Washington eingestand. US-Präsident Obama hatte seinem brasilianischen Kollegen Luiz Inácio Lula da Silva zuvor einen Brief zukommen lassen, dessen Inhalt an die Presse durchgesickert war. Darin versucht der Staatschef der USA Lula von der Legitimität der Honduras-Wahlen unter dem Putschregime zu überzeugen. Die Position rief in der Region Empörung hervor, die Venezuelas Staatschef Hugo Chávez auf den Punkt brachte: Kein Staat Lateinamerikas werde die Abstimmung akzeptieren. Die einzige Ausnahme bildeten die USA »und vielleicht die rechtsgerichteten Regierungen«. Ähnlich deutlich war der honduranische Präsident Zelaya in seinem Brief an Obama geworden. Die Versprechen von einem neuen Verhältnis der USA zu Lateinamerika würden derzeit in Honduras entkräftet.

Die Europäische Union hält sich bislang zurück. In Brüssel wartet man die Abstimmung und das weitere Geschehen ab. Bei einer Debatte im Bundestag legten sich auch die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP am Donnerstag nicht fest. In Berlin, so scheint es, orientiert man sich in der Honduras-Frage an den USA. Glaubt man der legitimen honduranischen Außenministerin Patricia Rodas, ist die deutsche Staatsführung damit nicht gut beraten: »Die diplomatischen Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Krise in Honduras zu lösen, sind gescheitert«, erklärte die Politikerin im Gespräch mit der dpa in Washington. Wenn die Krise aber nicht gelöst werde, entstünden weitere Probleme in der gesamten Region: »Dann würde der Putsch in Honduras zur Geburtsstunde einer neuen Ära der Instabilität, der politischen und sozialen Gewalt.«

Chronik: Aufstieg und Fall Manuel Zelayas

  • 27.11.2005: Bei den Präsidentschaftswahlen siegt José Manuel Zelaya Rosales (PL) mit 49,9 Prozent der gültigen Stimmen vor Porfirio Lobo Sosa (PN) mit 46,2 Prozent. Die PL gewinnt 62, die PN 55 Sitze. Zelaya tritt sein Amt am 27.1.2006 an.
  • 9.10.2008: Das Parlament ratifiziert den am 25.8. von Zelaya verkündeten Beitritt zum Staatenbündnis ALBA.
  • 24.6.2009: Verteidigungsminister Orellana tritt zurück, Armeechef Romeo Vásquez wird durch Präsident Zelaya entlassen. Vásquez hatte sich geweigert, eine für den 28.6. geplante Volksbefragung durchzuführen. Das Oberste Gericht hebt die Entlassung am 25.6. auf.
  • 28.6.2009: Bei seinem Putsch nimmt das Militär Zelaya fest und verschleppt ihn nach Costa Rica. Der Parlamentspräsident Micheletti erklärt sich zum amtierenden Präsidenten und lässt sich vom Parlament bestätigen. Die Repression gegen kritische Medien und Aktivisten der Demokratiebewegung beginnt.
  • 30.6.2009: Die UNO-Vollversammlung verurteilt einstimmig den Putsch und fordert die Wiedereinsetzung der Regierung Zelaya.
  • 2./5.7.2009: Alle EU-Botschafter ziehen sich zurück, die OAS-Mitgliedschaft von Honduras wird suspendiert.
  • 21.9.2009: Der entmachtete Präsident Zelaya kehrt überraschend zurück. Er erhält Unterschlupf in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa. Die innenpolitische Krise verschärft sich. ND


* Aus: Neues Deutschland, 28. November 2009


"Diese Wahlen werden den Putsch konsolidieren"

Manuel Torres Calderón über die Zukunft der Widerstandsbewegung **

Manuel Torres Calderón ist Gründer des honduranischen »El Inventario«, einer politischen Zeitung, geschrieben von Jugendlichen für Jugendliche. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) in Tegucigalpa Kathrin Zeiske.

ND: Herr Torres, ist die Widerstandsbewegung in Honduras eine Jugendbewegung?

Torres: Ja, die Mehrzahl der Demonstranten auf der Straße sind Jugendliche. Trotzdem sind die Schlüsselfiguren des Widerstandes ältere Personen aus den sozialen Bewegungen, die sich meist in den 80er Jahren politisiert haben. Honduras ist ein Land der Jugendlichen, 48 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 18 Jahre. Doch haben junge Menschen in Honduras keine Stimme. Sie sind in marginalisierten Vierteln groß geworden und die Chancen auf soziale Mobilität bleiben ihnen versagt. Und nun ist auch die junge Demokratie, in der sie seit 1982 aufgewachsen sind, abrupt zu einem Ende gekommen.

Wie sind die Wahlen vom Sonntag einzuschätzen?

Die Wahlen sind weder legitim noch frei. Trotzdem werden sie stattfinden, um den Putsch und seine Machthaber im Nachhinein zu legitimieren. Diese Wahlen werden den Putsch konsolidieren, die Möglichkeiten zur Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem 28. Juni endgültig vereiteln und das neoliberale Wirtschaftsmodell in Honduras sichern. Denn dieser Militärputsch kann nicht unabhängig vom »Konsens von Washington« (Liberalisierung, Privatisierung, Defizitreduzierung, d. Red.) gesehen werden. Zelaya hatte begonnen, eine andere Wirtschaftspolitik einzuführen, und man hat ihn gestoppt.

Wer wird die Macht in Honduras nach den Wahlen in den Händen halten?

Man wird das Präsidentschaftsamt einem Kandidaten der traditionellen Oligarchie übergeben. Die folgende Regierung wird eine Weiterführung der Putschregierung sein.

Was wird die Aufgabe der Widerstandsbewegung nach der Konsolidierung des Militärputsches durch die Wahlen sein?

Die Widerstandsbewegung wird sich neu formieren müssen. Es ist eine sehr heterogene zivile Bewegung, die aus der Notwendigkeit entstanden ist, sich gemeinsam gegen die Bedrohung der zivilen und politischen Rechte durch den Putsch zu wehren. In der Widerstandsfront finden sich Organisationen und engagierte Einzelpersonen aus der Bauernbewegung, der Frauenbewegung, aus den marginalisierten Vierteln, aus der indigenen Bewegung. Alle haben sie jedoch gemein, dass sie vor dem Putsch eher sozial engagiert und kaum politisch aktiv waren. Insofern gab es in Honduras bislang gar keine wirkliche politische Opposition. Dies ist vielleicht das wichtigste Projekt der Zukunft, eine neue Linke in Honduras aufzubauen, die einen Diskurs eröffnet, der grundsätzlicher ist als die Frage nach der Macht.

Wird Manuel Zelaya weiter eine Rolle für die Widerstandsbewegung spielen?

Mel Zelaya hat der sozialen Bewegung lediglich den entscheidenden Impuls gegeben. Er kommt aus der politischen Tradition der Liberalen und ist eigentlich ein klassischer lateinamerikanischer Caudillo. Doch er hat die Notwendigkeit eines politischen Wechsels in Honduras erkannt und dann in der Politik von Hugo Chávez eine politische und wirtschaftliche Vision gefunden, um diesen herbeizuführen. Unabhängig davon, ob man diese Politik befürwortet oder ablehnt, ist anzuerkennen, dass Zelaya Honduras in eine politische Moderne führen wollte, in der ein Volk sich partizipativ an der Politik beteiligt und nicht nur kurz vor den Wahlen von der politischen Klasse aufgekauft wird.

** Aus: Neues Deutschland, 28. November 2009


"Wir lehnen Wahlen unter einer Diktatur entschieden ab"

Andrés Pavón über Militarisierung und die Angst vor staatlicher Gewalt ***

Der Anwalt Andrés Pavón ist Vorsitzender des Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte in Honduras (CODEH).

ND: Herr Pavón, Sie haben im Zusammenhang mit den Wahlen am Sonntag wiederholt vor drohenden massiven Übergriffen durch Armee und Polizei gewarnt. Worauf stützen Sie Ihre Befürchtungen?

Pavón:Vor einigen Tagen haben uns Offiziere vertrauliche Informationen zugespielt. Die Putschregierung Michelettis plant demnach ein Massaker gegen die Widerstandsbewegung. Diese Gewaltaktionen könnten über 1000 Menschenleben fordern. Wir haben eine Sondertelefonnummer eingerichtet, unter der uns viele Offiziere der Reserve anrufen. Nach ihren Informationen wurden zusätzlich zu den regulären Streitkräften mit einer Stärke von 12 000 Mann rund 5000 Reservisten mobilisiert. Für den Einsatz am Sonntag und Montag zahlt ihnen das Regime 7000 Lempiras (rund 250 Euro), was einem Monatslohn entspricht. Die Anrufer nannten uns auch den Namen des Obersts der Reserve, der in allen Wahllokalen die bewaffneten Einsätze organisiert. Für die Zeit zwischen dem 25. November und dem 2. Dezember, wenn sich Diktator Roberto Micheletti aus der Öffentlichkeit zurückziehen wird, bereitet die De-facto-Regierung einen Notfallplan für die öffentlichen Krankenhäuser vor.

Die CODEH hat zunehmende Morde von Mitgliedern des Widerstandes konstatiert. Wer steht dahinter?

Über 20 Mitglieder des Widerstandes sind in den letzten Tagen ermordet worden. Am Montag entführte eine motorisierte Militärpatrouille den 56-jährigen Lehrer Gravis Espinal, einen Koordinator der Bewegung, aus seinem Auto. Das Leichenhaus rief am Dienstagmorgen seinen jüngsten Sohn Kenneth an: Ein Unbekannter hatte Espinal am Rande der Hauptstadt Tegucigalpa tot aufgefunden. Sein Körper wies die gleichen Folterspuren auf wie die der anderen fünf ermordeten Lehrer – allesamt aktive Mitglieder der »Resistencia«. Die Behörden haben diese Morde nie aufgeklärt. Diese Woche hat die Polizei zahlreiche Aktivisten inhaftiert, die gegen das Regime vor dem Nationalkongress friedlich demonstriert haben. Das Volk lehnt diese Wahlen unter einer Diktatur entschieden ab. Über 100 Abgeordnete und 150 Bürgermeister haben auf ihre Kandidatur verzichtet. Seit dem Staatsstreich sind 90 Prozent der Medien in der Hand der Putschisten und Micheletti wird intensiv von ausländischen Propagandisten unterstützt. Wie haben Beweise, dass US-Agenturen wie die USAID (United States Agency for International Development), die IRI (International Republican Institute), Freedom House und andere Gelder für die Finanzierung des Putsches nach Honduras eingeschleust haben.

Die EU hat noch nicht erklärt, ob sie die Wahlen anerkennen wird. Deutschland beurteilt den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung eher milde. Was sagen Sie dazu?

Die Europäische Union, die deutsche Regierung und vor allem die politischen Parteien müssen wissen, dass es in Honduras einen militärischen Staatsstreich gegeben hat. Das diktatorische Regime Roberto Michelettis hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Sie haben willkürlich über 3500 Personen verhaftet, es gibt 130 dokumentierte politische Morde. Wegen dieser Fakten sollte die deutsche Regierung die Wahlen in Honduras nicht legitimieren. Sie anzuerkennen würde bedeuten, eine blutige Diktatur zu unterstützen. Es würde bedeuten, in Lateinamerika die Wege zur Zerstörung der demokratisch gewählten Regierungen zu ebnen.

Fragen: Manola Romalo

*** Aus: Neues Deutschland, 28. November 2009


Zurück zur Honduras-Seite

Zur Lateinamerika-Seite

Zurück zur Homepage