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Gewalt gegen Linke

In Honduras wird am Sonntag ein neuer Staatschef gewählt

Von Torge Löding, Mexiko-Stadt *

Die Menschen in Honduras sind am Sonntag aufgerufen, einen neuen Staatschef und die Abgeordneten des Parlaments zu wählen. Doch am Donnerstag warnte die linke Partei »Freiheit und Neugründung« (LIBRE) vor Manipulationen der Abstimmung, für die der 2009 gestürzte Präsident Manuel Zelaya Beamte des Obersten Wahlgerichts (TSE) verantwortlich machte. Ohnehin sind die Anhänger der aus der Widerstandsbewegung gegen den Putsch hervorgegangenen Partei seit Monaten Ziel eines schmutzigen Krieges: Nach einer unabhängigen Erhebung wurden 18 LIBRE-Politiker ermordet, 15 weitere haben bewaffnete Überfälle angezeigt.

Die linke Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro sieht dahinter politisches Kalkül: »Wenn gesagt oder geschrieben wird, der Putsch sei vorüber, ist das simple Rhetorik. Die politische Gewalt gegen die Opposition geht weiter.« Trotzdem darf sich Castro Hoffnung auf einen Sieg am Sonntag machen, sollte es nicht zu Manipulationen kommen. Die Ehefrau Zelayas, der selbst nicht wieder kandidieren darf, liegt in Umfragen bei bis zu 33 Prozent und damit zehn Punkte vor Juan Orlando Hérnandez, dem Kandidaten der regierenden Nationalen Partei. Die Wahl gewinnt, wer die einfache Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen kann, eine Stichwahl gibt es nicht.

Doch die Repression bedroht nicht nur die LIBRE. Seit dem Staatsstreich am 28. Juni 2009 sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mindestens 26 Journalisten ermordet worden. Zahlreiche andere Aktive wurden verfolgt, verschleppt oder umgebracht. So muß sich seit Ende September die Koordinatorin des Rates der indigenen Organisationen (COPINH), Bertha Cáceres, verstecken, nachdem ein Gericht in La Esperanza gegen sie Vorbeugehaft angeordnet hatte. Das Urteil steht in Zusammenhang mit den seit Monaten andauernden Protesten gegen das Staudammprojekt Agua Zarca in der Region Río Blanco. Das federführende Unternehmen DESA hatte Anzeige gegen die protestierenden Anwohner erstattet, und das Gericht folgte den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Konzern. Zu den Nutznießern gehört der deutsche Turbinenhersteller Voith Hydro, ein Joint-venture mit der Siemens AG, die Maschinen für das Projekt liefert.

Mitte Juli war in der Region einer der Anführer der Protestbewegung, Tomás García, bei einer Demonstration von Soldaten erschossen worden. Seither erlebt das Gebiet eine zunehmende Militarisierung – wie überall im Land, wo sich Widerstand gegen das herrschende Entwicklungsmodell regt. So zum Beispiel im fruchtbaren Aguán-Tal im Norden von Honduras, wo in dem seit vier Jahren andauernden Konflikt zwischen Kleinbauern und den Pistoleros der Großgrundbesitzer mehr als 60 Menschen ums Leben gekommen sind.

»Dieser Militarisierung des Landes stellen wir uns entgegen«, erklärte Bartolo Fuentes, LIBRE-Kandidat im Department Yoro. Sollte der Griff nach der Macht am 24. November gelingen, werde zuerst die kürzlich ins Leben gerufene Militärpolizei wieder aufgelöst, »denn dabei handelt es sich um ein Repressionsinstrument der Herrschenden und nicht um ein Mittel der Verbrechensbekämpfung«. In der Tat ufert die Kriminalität in dem ärmsten Land Zentralamerikas, in dem gleichzeitig die extremste Kluft zwischen Arm und Reich existiert, seit Jahren aus. Mit statistisch 91,6 Morden auf 100000 Einwohner ist Honduras das Land mit der höchsten Verbrechensrate, und die Industriemetropole San Pedro Sula gilt als die gefährlichste Stadt der Welt. Die Militarisierung zahlreicher Regionen hat die Zunahme der Gewalt nicht verlangsamt, sondern offenbar eher befördert. »Wir wollen die Demilitarisierung der Gesellschaft, denn Soldaten lernen Kriege zu führen und nicht, Polizeiaufgaben zu übernehmen«, betonte Fuentes. Statt im Inneren sollten sie an der Grenze eingesetzt werden, um den Drogenschmuggel zu unterbinden.

Xiomara Castro hält als Präsidentschaftskandidatin die verschiedenen Strömungen in ihrer Partei zusammen. Fraglos steht sie eher den aus der Liberalen Partei stammenden Kräften um ihren Mann Manuel Zelaya näher, aber im Wahlkampf hat sie sich mit eigenständigen Forderungen profiliert. Einigkeit besteht in der LIBRE darüber, daß Honduras umgehend wieder dem von Venezuela initiierten Petrocaribe-Abkommen beitreten und eine schnelle Wiederaufnahme in die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) der progressiven Staaten Lateinamerikas anstreben solle. Zudem ist geplant, eine verfassunggebende Versammlung nach dem Vorbild von Bolivien und Ecuador anzuberaumen. Das dort verfaßte neue Grundgesetz soll die Demokratie vertiefen und eine soziale Ausrichtung des Staates festschreiben.

Die Arbeit mit dem Parlament dürfte für eine linke Präsidentin jedoch nicht einfach werden. Dort wird sie wohl ohne eigene Mehrheit einer rechten Fundamentalopposition von Nationalisten und Liberalen gegenüberstehen und müßte per Dekret regieren. So bleibt fraglich, ob sie die Erwartungen ihrer Unterstützer erfüllen kann. Zumal die in Honduras herrschende Oligarchie bewiesen hat, daß sie aggressiv jedes noch so kleines Privileg verteidigt und dabei auch vor der Anzettelung eines Putsches nicht zurückschreckt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 23. November 2013


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