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Linke mit guten Chancen in Honduras

Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro führt in den meisten Meinungsumfragen

Von Jutta Blume, Tegucigalpa *

Bei den Wahlen in Honduras treten erstmals vier neue Parteien an. Das traditionelle Zweiparteiensystem könnte damit Geschichte werden.

Die Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro der neu gegründeten linksgerichteten Partei Freiheit und Neugründung (LIBRE) führt in den meisten Meinungsumfragen vor dem Kandidaten der regierenden Nationalen Partei, Juan Orlando Hernandez. Schon jetzt gelten die Wahlen als historisch, da das traditionelle Zweiparteiensystem, bei dem sich Nationale und Liberale Partei in der Regierung ablösten, ernsthaft in Frage gestellt wird. Neben LIBRE tritt die Antikorruptionspartei des Fernsehmoderators Salvador Nasralla erstmals zu den Wahlen an. Sie wird voraussichtlich ebenfalls im Kongress vertreten sein und für neue Mehrheitsverhältnisse sorgen.

Seit dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya im Juni 2009 ist die honduranische Gesellschaft tief gespalten. Zelaya, der der Liberalen Partei angehörte, hatte einen Reformprozess in Gang gesetzt, der zum Beispiel mit einem gesetzlichen Mindestlohn den armen Bevölkerungsschichten zugute kommen sollte. Außerdem hatte er sich dem alternativen Wirtschaftsbündnis ALBA um Venezuela und Kuba zugewandt.

Nach dem Putsch bildete sich in der Bevölkerung eine breite Widerstandsbewegung, die auch mit den Neuwahlen im November 2009 nicht endete. Vielmehr erkannten große Teile der Widerstandsbewegung die neue Regierung unter Porfirio Lobo Sosa von den Nationalen nicht an. 2011 durfte Manuel Zelaya nach dem von den Präsidenten Hugo Chávez (Venezuela) und Juan Manuel Santos (Kolumbien) ausgehandelten Abkommen von Cartagena nach Honduras zurückkehren. Nach seiner Rückkehr gründete er mit Teilen der Widerstandsbewegung die Partei LIBRE, für die seine Ehefrau Xiomara Castro nun als Präsidentschaftskandidatin antritt.

Castro verspricht in erster Linie eine politische Neugründung des Landes durch eine verfassunggebende Versammlung, wie sie Zelaya schon 2009 angeregt hatte. Des weiteren möchte sie das Land demilitarisieren und die vorherrschende Korruption und Straflosigkeit bekämpfen. Unter der Regierung Lobo sind dem Militär zahlreiche Polizeiaufgaben übertragen worden. Erst im Oktober nahm die neu ins Leben gerufene »militärische Polizei der öffentlichen Ordnung« ihre Arbeit auf. Neben Militarisierung und Unsicherheit zählt die Armut zu den wichtigsten Problemen des Landes. Zwei Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, 57 Prozent sind unterbeschäftigt.

Bertha Oliva vom Komitee der Familienangehörigen von Verhaftet-Verschwundenen in Honduras (COFADEH) sprach kürzlich von einem Menschenrechtsnotstand, der in Honduras eingetreten sei. Laut COFADEH kam es zu illegalen Hausdurchsuchungen und Einschüchterungen von LIBRE-Mitgliedern und Gewerkschaftern durch die neue Militärpolizei. Nationale und internationale Menschenrechtsverteidiger werden vom Präsidentschaftskandidaten Juan Orlando Hernández öffentlich diskreditiert. Einer Untersuchung von Rights Action zufolge sind seit Mai 2012 mindestens 36 Kandidaten und Angehörige von politischen Parteien ermordet worden, die Hälfte davon gehörte der Partei LIBRE an.

Das Vertrauen der Bevölkerung in einen fairen Wahlprozess ist gering, laut dem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut CESPAD befürchten 59 Prozent der Bevölkerung Wahlbetrug. Die Tageszeitung »El Heraldo« berichtete von Einschüchterungsversuchen gegenüber Universitätsangehörigen, die am 24. November in einem Teil der Wahllokale die Aufsicht führen. Die Wahlaufsicht ist für die anschließende Übergabe der Wahlurnen zuständig. Die Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union, die mit 90 Personen im Lande ist, kritisiert derweil die fehlende Transparenz bei der Finanzierung der Wahlkampagnen. Keine der zur Wahl antretenden Parteien hat bislang ihre Finanzquellen offengelegt.

Trotz aller Befürchtungen wird die Wahlbeteiligung voraussichtlich sehr hoch sein. 80 Prozent der Wahlberechtigten gaben gegenüber CESPAD an, am Sonntag zur Wahl gehen zu wollen. Bei den letzten Wahlen im November 2009 lag die Beteiligung bei nur 49 Prozent. Honduras kennt keine Stichwahl. Wer am Sonntag die meisten Stimmen einsammelt, gewinnt. Deshalb liegt in der Verkündigung des Wahlergebnisses eine große Brisanz – umso mehr, wenn es eng werden sollte.

* Die Autorin bereist derzeit Honduras mit Unterstützung von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst.

Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013



Auf dem Weg zu einem Korridor des Todes

Jesuitenpartner Ismael Moreno über die Entwicklung in Honduras seit dem Putsch 2009 **

Der Jesuitenpater Ismael Moreno ist seit 2001 Direktor des regierungskritischen Senders Radio Progreso in Honduras. Moreno ist eine wichtige Stimme der nach dem Putsch 2009 entstandenen Widerstandsbewegung. Über die Chancen auf eine politische Veränderung sprach mit ihm Jutta Blume.

Bedeuten die Wahlen am 24. November den Beginn einer neuen politischen Epoche?

Mit den Wahlen am 24. November endet ein Pakt der Regierungsfähigkeit, der mit dem Abkommen von Cartagena am 2. Mai 2011 begonnen hat. Die gesamte Zeit nach dem Staatsstreich war von einer Instabilität geprägt, die ich »die Regierung der Starken« nennen würde. Die Wahlen am 29. November 2009 gaben den Putschisten politische Legitimität, aber das reichte den Regierungen der USA und der Europäischen Union nicht aus. Sie verlangten Verhandlungen mit der Widerstandsbewegung. Der amtierende Präsident Porfirio Lobo schuf daher die Wahrheitskommission und ernannte eine Ministerin für Menschenrechte. Das Abkommen von Cartagena erlaubte die Rückkehr von Expräsident Manuel Zelaya (2009 durch Putsch ins Exil gezwungen – d. Red.) und die Wiederaufnahme von Honduras in die Organisation Amerikanischer Staaten. Ende 2011 bildete sich dann die Partei LIBRE und 2012 begann der Prozess der allgemeinen Wahlen.

Neben der politischen Bühne gibt es eine parallele Realität: den Pakt des Todes. Je erfolgreicher der Pakt der Regierungsfähigkeit ist, umso brutaler ist die honduranische Realität der Gewalt, der Unsicherheit und des Todes. Die eine Realität führen die Politiker an, die andere diejenigen, die Honduras wirklich regieren, die Starken. Seit 2012 sind über ein Dutzend Parteianhänger von LIBRE ermordet worden.

Wer übt das Gesetz der Starken aus?

Erstens die multinationalen Konzerne, allen voran die Bergbaukonzerne, zweitens der Drogenhandel und drittens die Regierung der USA. Alle drei sind scheinbar unabhängig voneinander, tragen aber unerbittlich dazu bei, Honduras in einen Korridor des Todes zu verwandeln. Ihre internen Alliierten sind die Unternehmerschaft, die Politiker und die Polizei. Der Erfolg des Systems liegt darin, dass die Politik erfolgreich erscheint und gleichzeitig die Straflosigkeit in diesem Korridor des Todes erhalten bleibt.

Was wird passieren, wenn die neue Partei LIBRE gewinnt?

Aus meiner Sicht ist das die gleiche Frage wie: Was wird passieren, wenn Juan Orlando Hernández gewinnt? Es wird obligatorisch sein, einen neuen Pakt der Regierungsfähigkeit zu schließen, um den Status quo zu erhalten. Wenn LIBRE gewinnt, wird der Korridor des Todes nicht kleiner werden und wir werden uns nicht in Richtung Sozialismus bewegen, aber zumindest schüfe dies die Möglichkeit, die großen Themen des Landes zu debattieren, die Souveränität, die Straflosigkeit, die Korruption und die Gewalt. Ich denke, bei einem Wahlsieg von LIBRE wäre eine zukünftige verfassunggebende Versammlung weniger kraftlos. Bei einem Sieg von Hernandez würde der neue Pakt der Regierungsfähigkeit sich auf einen stärkeren Autoritarismus und die Militarisierung der Gesellschaft stützen.

Welche Rolle wird die neu ins Leben gerufene Militärpolizei nach den Wahlen haben?

Die Militärpolizei ist die Vorwegnahme eines Paktes, der von Hernández angeführt wird. Wenn die politischen Verhandlungen nicht von Manuel Zelaya geleitet werden, ergeben sich nach einem knappen Wahlsieg am 24. November zwei unmittelbare Szenarien. Wird am Montag ein Sieg von Hernández verkündet, wird niemand glauben, dass dies ohne Wahlbetrug geschehen ist. Also werden die Anhänger von LIBRE gegen das Ergebnis demonstrieren und dann kommt die Militärpolizei zum Einsatz, um die Protestierenden zu unterdrücken. Das zweite unmittelbare Szenario: Xiomara Castro gewinnt und die Gegenseite ficht das Ergebnis an. Also mobilisieren sich die Leute von LIBRE, um den Wahlsieg zu verteidigen und dagegen geht die Militärpolizei vor. Daher ist ein Pakt der Regierungsfähigkeit noch vor dem Wahlsonntag dringlich. Wenn dieser Pakt nicht erreicht wird, kommen wir zu einem Szenario, in dem niemand mehr für irgendetwas garantieren kann.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013


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