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"Wir brauchen Solidarität, sonst droht ein Blutbad!"

Wahlkampf im Ausnahmezustand – die Gegner des Staatsstreichregimes von Honduras rufen zum Boykott auf. Ein Gespräch mit Carlos H. Reyes

Carlos H. Reyes ist unabhängiger Präsidentschaftskandidat in Honduras und Mitglied der Nationalen Front des Widerstandes gegen den Putsch. Außerdem ist er Sekretär der Getränkehersteller-Gewerkschaft

Weit über die Linke hinaus wird in Honduras ein Boykott der für den 29. November angesetzten Wahlen gefordert. Sie sind unabhängiger Präsidentschaftskandidat - wollen Sie tatsächlich antreten?

Die Wahl war ursprünglich von dem rechtmäßigen Präsidenten Manual Zelaya angesetzt worden – unter dieser Voraussetzung hatte ich mich zur Kandidatur bereiterklärt. Die Putschisten, die Zelaya am 6. Juni aus dem Amt entfernten, hatten aber von Anfang an vor, ihren Staatsstreich mit Hilfe dieser Wahl zu legitimieren. Wir hingegen bestehen darauf, daß die verfassungsmäßige Ordnung wieder hergestellt wird, wir haben auch die ganze Zeit auf den Straßen gegen die Putschisten demonstriert. An der Wahl werden wir daher auch nicht teilnehmen. Im Gegenteil –wir rufen alle linken Kandidaten zum Boykott auf.

Sie haben Ihre Kandidatur aber noch nicht zurückgezogen?

Um zur Wahl antreten zu können, mußten wir viele Unterschriften sammeln. Wir organisieren in den nächsten Wochen zahlreiche Versammlungen, um den Unterzeichnern unsere Position zu erläutern. Denn sie müssen das letztlich entscheiden.

Die Putschregierung hat angesichts der vielen Proteste den Ausnahmezustand verhängt. Der läuft zwar zwei Wochen vor dem 29. November aus – aber wirkt er sich nicht auch auf den Wahlkampf aus?

Es ist völlig egal, ob das entsprechende Dekret ausläuft oder nicht. Einen faktischen Ausnahmezustand hatten wir schon seit dem Putsch, wir werden ihn auch weiterhin haben. Das Dekret hat dem ganzen nur ein legalistisches Mäntelchen umgehängt. Proteste gegen das Putschregime werden mit Gewalt unterdrückt, die Medien der Opposition wurden geschlossen. Auch Versammlungen sind verboten – sie finden aber dennoch statt. Von einem gesellschaftlichen Dialog kann also keine Rede sein. Unter den Bedingungen der Repression kann es keine Wahlen geben.

Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen, um den Widerstand gegen die Putschisten auszuschalten. Die haben es vielleicht geschafft, daß deswegen weniger Menschen demonstrieren – das ändert aber nichts daran, daß der Widerstang gegen die jetzige Regierung immer stärker wird.

Viele Linke fordern einen Generalstreik, um das Regime stürzen zu können. Wie stehen Sie als Gewerkschaftsführer dazu?

Es gab vergangenes Jahr mehrere »zivile Ausstände«, die das Land jeweils einen Tag lang lahmgelegt haben. Nach dem Putsch gab es vor allem im staatlichen Sektor Aktionen – die Lehrer streiken sogar zwei Tage in jeder Woche. Im privaten Sektor hingegen tut sich kaum etwas, weil es dort kaum Gewerkschaften gibt. Für einen landesweiten Generalstreik sehe ich daher kaum eine Möglichkeit – es gibt aber auch andere Möglichkeiten. In den vergangenen Monaten etwa ist es mehrfach gelungen, durch die Besetzung von Brücken und Straßen das Land so gut wie lahmzulegen.

Was sind denn jetzt die konkreten Forderungen Ihrer Gewerkschaft?

Als Teil der Widerstandsbewegung fordern wir zwei Dinge: Die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Wiedereinsetzung von Präsident Zelaya. Zweitens die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung.

Was kann das Ausland tun, um Ihren Widerstand zu unterstützen?

Die US-Regierung spielt im Fall Honduras mit gezinkten Karten. Präsident Barack Obama spricht sich zwar gegen den Putsch aus – Militär und Industrie hingegen unterstützen die Putschisten.

Wir fordern Arbeiter- und Bauernorganisationen auf der ganzen Welt zur Solidarität mit der Bevölkerung von Honduras auf. Denn dieser Staatsstreich könnte auch in anderen Ländern als Modell dienen, um den Fortschritt zurückzudrehen. Wir brauchen Solidarität, sonst droht ein Blutbad!

Interview: Wladek Flakin, Tegucigalpa

* Aus: junge Welt, 17. Oktober 2009


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