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"Der Widerstand in Honduras muss seine Einheit bewahren"

Menschenrechtlerin: Der Regierungswechsel bedeutet keine Rückkehr zur Demokratie

Bertha Oliva ist Koordinatorin des Komitees der Angehörigen verschwundener Gefangener in Honduras (COFADEH), einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen des Landes. Mit der Aktivistin sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.

ND: Am Mittwoch hat Putschistenchef Roberto Micheletti in Honduras die Macht an den konservativen Präsidenten Porfirio Lobo übergeben. Ist damit die Demokratie wiederhergestellt?

Oliva: Nein, leider nicht. Die Strukturen, von denen der Staatsstreich am 28. Juni vergangenen Jahres organisiert, finanziert und unterstützt wurde, stehen auch hinter Porfirio Lobo. Er ist Ende November aus einem Wahlgang als Sieger hervorgegangen, der demokratisch nicht legitimiert war und dem sich 66 Prozent der Bevölkerung enthalten haben. Die Macht des Putschregimes setzt sich also fort.

Mit welchen politischen Folgen?

Die politischen Parteien genießen nicht mehr den Rückhalt der Bevölkerung. Ihre Macht stützt sich auf Repression. Angesichts der weiter fehlenden demokratischen Legitimierung der Regierung ist die Bevölkerung tief gespalten. Zugleich sind die Menschen in ihrem politischen Handeln klarer und entschiedener denn je. Noch einmal: Die Regierung Lobo bedeutet die Fortsetzung des Staatsstreiches, die Rahmenbedingungen haben sich seit Ende Juni vergangenen Jahres nicht verändert.

Was fordert die Demokratiebewegung in dieser Situation?

Die Einberufung einer nationalen verfassunggebenden Versammlung, von der eine Konstitution neu geschrieben wird, in der die Prinzipien der partizipativen, der teilhabenden Demokratie etabliert sind. Sie fordert eine Erneuerung des aktuellen Machtapparates, der verkrustet und korrupt ist.

Dennoch soll nach aktuellen Presseberichten auch die Linkspartei Demokratische Vereinigung (UD) an der neuen Regierung von Porfirio Lobo beteiligt werden. Welche Rolle spielt die UD?

Mit der Teilnahme an dem Wahlprozess unter Kontrolle der Putschisten hat die UD -- gegen den Willen der Bevölkerung im Widerstand -- die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Kräfte hinter dem Putsch gestärkt. Die UD hat ihre Präsenz auf der Straße genutzt, um den Putschisten mehr Posten abringen zu können. Das führte zu dem Extrem, dass sie nun Teil der Präsidentschaft der Nationalversammlung ist ...

Sie meinen den UD-Abgeordneten Marvin Ponce, der in den vergangenen Monaten im Widerstand aktiv war ...

... und das wird die internen Konflikte in der Partei Demokratische Vereinigung zuspitzen.

Welche Perspektive aber hat die Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich als zentrales Gremium der Demokratiebewegung?

Der Widerstand sieht sich großen Hürden gegenüber, auch wegen der unterschiedlichen Kräfte, die er vereint. Die größte Herausforderung ist nun, angesichts der Repression, der Desinformation und der Unterwanderung die Einheit zu bewahren.

Die herrschende Ausbeutung, Korruption und Ausgrenzung in der honduranischen Gesellschaft schafft aber Chancen für die Kräfte des Widerstandes. Der größte Vorteil für die Widerstandsbewegung besteht in dem Klassenbewusstsein, das ein großer Teil der Bevölkerung seit dem Staatsstreich erlangt hat. Zum ersten Mal sehen sich diese Menschen derart direkt einer politischen und wirtschaftlichen Klasse sowie katholischen und evangelischen Machtstrukturen gegenüber, die ihre Interessen so entschieden verteidigen. Das hat vielen die Augen geöffnet.

Nun gibt es zahlreiche Berichte über den Anstieg der Gewalt. Welche Daten liegen Ihrer Organisation, der COFADEH, vor?

Die Repression ist nicht zurückgegangen. Im Gegenteil: Die neuen führenden Köpfe im Sicherheitsapparat blicken auf eine lange Geschichte der Menschenrechtsverletzungen zurück. Der Repressionsapparat ist mit ihnen stärker denn je. Seit 2005 gehen diese Funktionäre in Frontstellung zu den Akteuren der sozialen Bewegungen. Diese werden unter anderem beschuldigt, Waffen und Geld aus Venezuela zu erhalten. Bis jetzt gab es begrenzte und selektive Gewalt gegen Akteure der mittleren Ebene der Widerstandsbewegung. Das erinnert sehr an das Vorgehen paramilitärischer Todesschwadrone, die in den vergangenen Jahrzehnten in Honduras mordeten. Flankiert wird dies durch eine Justiz, die ihre Augen vor den Verbrechen verschließt. Es gibt wieder Folterzellen in den Polizeistationen, Oppositionspolitiker werden wieder gezielt entführt.

Dennoch spricht Regierungschef Lobo von nationaler Versöhnung und der Stärkung von Demokratie.

All diese Vorschläge gehen in keinem Punkt auf den Schutz der Menschenrechte ein. Die Opfer der Diktatur in den vergangenen Monaten werden verschwiegen. Es wird sogar geleugnet, dass es überhaupt politische Gewalt gab und gibt. Zuletzt wurden die für Verbrechen verantwortlichen Militärs und Polizisten freigesprochen. Die Dekrete zur Aussetzung der Grund- und Bürgerrechte sind jedoch weiter in Kraft.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Januar 2010


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