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Mit "friedlicher Volksarmee" nach Honduras

Präsident Zelaya erhält Unterstützung von Daniel Ortega. Putschisten verschieben Amnestieentscheidung

Von André Scheer *

Er wolle »in den nächsten Tagen« gemeinsam mit der aus seinen Anhängern gebildeten »friedlichen Volksarmee« erneut nach Honduras einreisen, um sein Amt in Tegucigalpa wieder zu übernehmen. Das kündigte der rechtmäßige honduranische Präsident Manuel Zelaya am Donnerstag in Ocotal an, ohne allerdings ein konkretes Datum zu nennen. Er habe dabei die Unterstützung des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega, der ihm das Grenzgebiet Nicaraguas zu Honduras zur Verfügung gestellt habe, um seine Rückkehr durchzusetzen, sagte Zelaya

Das von den Putschisten kontrollierte Parlament in Tegucigalpa verschob unterdessen bei einer Sitzung am Donnerstag die Entscheidung über eine Amnestie für alle mit dem Putsch vom 28. Juni zusammenhängenden Ereignisse auf Montag. Straffreiheit sowohl für die Täter – die Putschisten – als auch für das Opfer – den rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya – sowie dessen Wiedereinsetzung als rechtmäßiger Präsident von Honduras sind die Kernbestandteile des vom costaricanischen Präsidenten Oscar Arias vorgelegten Vorschlags für eine Lösung des Konflikts.

Die Delegation Zelayas bei den Gesprächen in San José hatte den Vorschlag zunächst akzeptiert, während die Putschisten ihn ablehnten. Doch auch unter den Anhängern des gestürzten Präsidenten wächst die Kritik an den Details des »Arias-Plans«. So warnte der Staatsanwalt Jari Dixon Herrera am Freitag gegenüber dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur: »Das Justizministerium und der Oberste Gerichtshof sind in der Hand der Putschisten.« Und: »Der Vorschlag (von Oscar Arias) für ein Abkommen von San José sieht eine Amnestie vor. Was wir dann hätten, wäre eine rein dekorative Figur im Präsidentenamt. Die Unterdrückung würde weitergehen, die Putschisten könnten in ihren Ämtern bleiben«.

Wie zur Bestätigung dieser Warnung sind Militär und Polizei am Donnerstag in Tegucigalpa mit bislang nicht gekannter Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, die auf der legendären Fernverkehrsstraße Panamericana, die Tegucigalpa mit dem Norden des Landes verbindet, eine Straßenblockade errichtet hatten. »Das war heute die brutalste Unterdrückung, die wir bislang erlebt haben«, zeigte sich Juan Barahona von der Widerstandsbewegung entsetzt. »Sie unterdrücken das Volk, aber wenn sie glauben, daß sie uns damit einschüchtern können, täuschen sie sich. Der Widerstand geht weiter«, betonte Barahona, der selbst vorübergehend von der Polizei verhaftet worden war.

Seit Donnerstag (30. Juli) gingen die »Cobras«, eine Aufstandsbekämpfungseinheit der honduranischen Polizei, gewaltsam gegen die friedlichen Demonstranten in Tegucigalpa vor. Augenzeugen berichteten, daß die Polizisten Tränengas einsetzten und auf alle Menschen einprügelten, die sich in ihrer Nähe befanden, darunter auch Kinder. 250 Demonstranten wurden verhaftet und unter Schlägen auf Polizeiwachen verschleppt. Durch einen Kopfschuß wurde der 38 Jahre alte Lehrer Roger Abraham Vallejo Soriano so schwer verletzt, daß er in akuter Lebensgefahr schwebte.

Unterdessen haben die Entwicklungen in Honduras eine Wirkung, die von den Putschisten wohl nicht beabsichtigt wurde. In Chile forderte der Präsidentschaftskandidat der Linken, Jorge Arrate, bei den Wahlen am 13. Dezember eine »vierte Urne« einzurichten, damit die Chilenen über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung abstimmen können. In dem südamerikanischen Land ist – trotz zahlreicher Änderungen – heute noch die Verfassung in Kraft, die inmitten der Pinochet-Diktatur 1980 erlassen wurde. Ein gleichlautender Vorschlag des Präsidenten Manuel Zelaya hatte in Honduras zu dem Putsch vom 28. Juni geführt.

* Aus: junge Welt, 1. August 2009


"Je größer die Gewalt, desto stärker werden wir"

In Honduras reißen die Proteste gegen die Putschisten nicht ab. Wieder zahlreiche Demonstrationen. Ein Gespräch mit Mabel Marquez **

Mabel Marquez ist Sprecherin der Bauernbewegung Via Campesina in Honduras und Aktivistin der »Widerstandsfront gegen den Staatsstreich«

Für Donnerstag (30. Juli) und den gestrigen Freitag (31. Juli) hatten in Honduras Regimegegner zu landesweiten Protesten aufgerufen. Wie breit ist denn der Widerstand gegen die Putschregierung?

Er kommt im Wesentlichen von unten, er ist also eine Volksbewegung. Es hat sich ein vielfältiges Bündnis herausgebildet, in dem Arbeiter, Bauern, Studenten, Gewerkschafter, Lehrer, Indigene und Afro-Honduraner zusammenarbeiten. So bunt die Zusammensetzung dieses Bündnisses auch ist – eine Forderung ist allen gemein: Sofortige Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, d. h. – der demokratisch gewählte Präsidenten Manuel Zelaya muß zurückkehren! Auf längere Sicht wollen wir aber mehr als das. Wir streiten für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, die sich aus gewählten Volksvertretern zusammensetzen soll.

Honduranische Medien behaupten, kaum jemand habe an den Protesten teilgenommen.

Solche Berichte gehören zur Strategie der Putschisten, die Protestbewegung zu zerschlagen. Zu dieser Strategie zählt auch die Repression durch Polizei und Militär – es hat schon zahlreiche Opfer in unseren Reihen gegeben. Allerdings beobachte ich einen gegenteiligen Effekt. Je mehr Gewalt sie anwenden, desto stärker werden wir in unserem Widerstand. Zu jedem unserer Protestmärsche sind mehr als 5 000 Menschen gekommen – überall im Land, in San Pedro Sula, Tegucigalpa, Santa Bárbara, Olancho, Comayagua, Danlí, El Paraíso, Valle oder in Ocotepeque. Den Zelaya-Anhängern von der »Liberalen Partei« haben sich zunehmend einfache Menschen angeschlossen – und zwar aus Überzeugung. In den vergangenen beiden Tagen waren auch viele Lehrer daran beteiligt.

Costa Ricas Präsident Óscar Arias sollte auf Wunsch Washingtons zwischen Putschregierung und Zelaya vermitteln. Woran ist dieser Versuch gescheitert?

Uns war von Anfang an klar, daß der von den USA ins Spiel gebrachte Arias lediglich den Putschisten in die Hände spielen würde. Durch die Verhandlungen in Costa Rica wollten sie Zeit gewinnen, damit sich der Widerstand abnutzt. Doch unsere Aktivitäten wurden dadurch keinesfalls beeinträchtigt. Das doppelte Spiel der USA beim Staatsstreich ist uns auch klar. Hier handeln alledings nicht Leute des gegenwärtigen Präsidenten Barack Obama, sondern die seines Vorgängers Bush.

Wurde Zelaya, der von Soldaten der Luftwaffe frühmorgens im Schlafanzug per Flugzeug nach Costa Rica deportiert wurde, vom Putsch überrascht?

Das weiß ich nicht, aber wir denken, daß der Staatsstreich von langer Hand vorbereitet war.

Hierzulande verbreiten konservative Medien die Nachricht, die Putschregierung von Tegucigalpa habe einen unbeliebten, korrupten und machtsüchtigen Präsidenten aus dem Lande geschafft. Sie habe also mit ihrem Staatsstreich dem Land einen Gefallen getan.

Das ist völliger Unsinn. Zelaya hat sich seit seinem Amtsantritt im Januar 2006 immer mehr mit dem einfachen Volk identifiziert. Er versuchte, den Ärmsten der Armen zu helfen. Genau deswegen hat er mit den Unternehmern immer mehr Probleme bekommen. Als er am 28. Juni eine nicht bindende Volksbefragung durchführen wollte, um für die allgemeinen Novemberwahlen 2009 eine vierte Wahlurne zwecks eines Referendums zur Einführung eines Verfassungsprozesses zu erlauben, wurde er wie ein Krimineller aus Honduras deportiert. Die Unternehmer, das Militär, die Oligarchie und parteiübergreifend so gut wie alle Kongreßabgeordneten unter Führung des jetzigen, unrechtmäßigen Präsidenten Roberto Micheletti bekamen Angst, daß ihnen die Macht zwischen den Fingern zerrinnen könnte. Denn im Falle eines gewählten Verfassungskonvents wäre der Kongreß wahrscheinlich aufgelöst worden. Das Projekt der vierten Urne für mehr Volksbeteiligung war für die Putschisten also ganz klar der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat.

Interview: Benjamin Beutler

** Aus: junge Welt, 1. August 2009


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