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"Der Putsch hat Honduras komplett käuflich gemacht"

Jesús Garza über die Liberalisierungspolitik nach dem Sturz von Manuel Zelaya *


Am heutigen Tag (28. Juni) jährt sich zum zweiten Mal der Putsch gegen den Präsidenten Manuel Zelaya in Honduras. Bisher wurde keiner der Verantwortlichen für den Staatsstreich belangt. Menschenrechtsverletzungen und politische Morde gehen im Land ungebrochen weiter. Honduras hat eine konservative Wende vollzogen. Über deren Folgen sprach mit Jesús Garza von der Honduranischen Koalition der Bürgeraktion (CHAAC) für das "Neue Deutschland" (ND) Kathrin Zeiske.

ND: Herr Garza, nach dem Putsch am 28. Juni 2009 wurden die unterschiedlichsten Motive für den Staatsstreich diskutiert. Welche halten Sie rückblickend für ausschlaggebend?

Garza: Betrachtet man die Entwicklungen seit dem Putsch, erscheint die uneingeschränkte Ausbeutung der Ressourcen, festgelegt in Freihandelsabkommen und umgesetzt mit Privatisierungen, als ein wichtiger Faktor. Fast könnte man von einer zweiten Conquista (Eroberung) sprechen, diesmal der multinationalen Unternehmen; allen voran zynischerweise tatsächlich spanische Konzerne. Heute wie damals vor 500 Jahren gibt es einen immensen Ressourcenreichtum in Honduras. Die Putschisten handelten zwar vorrangig im Eigeninteresse. Mit der Öffnung zum Weltmarkt konnten sie sich jedoch beispielsweise der Unterstützung der Europäischen Union sicher sein, für die die Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen (AdA) mit Zentralamerika Vorrang vor demokratischen Prinzipien hatten. Die EU hat den durch illegale Wahlen ins Staatsamt gebrachten Porfirio Lobo mit seiner Unterschrift unter den AdA-Entwurf als Präsidenten anerkannt. Sie hat sich die Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben, vertritt jedoch vor allem die Interessen europäischer Unternehmer im Ausland.

Was macht Honduras für europäische Unternehmen so attraktiv?

Der Putsch hat in Honduras die Entwicklung eines ökonomischen Systems, das nicht Unternehmerrechte über die wirtschaftlich-sozialen Rechte der Bevölkerung stellt, abrupt beendet. Die ausländischen Unternehmen im Land zahlen dem Staat keine Steuern und de facto noch nicht mal Strom- und Telefonkosten. Im Land ansässig sind beispielsweise die spanische Kommunikationsfirma Telefonica und das italienische Firmenkonsortium ASP, das das Wassersystem der Industriemetropole San Pedro Sula aufgekauft hat. Wasser und Flüsse werden in zunehmendem Maße privatisiert; Lobo hat knapp 50 Wasserkraftprojekte konzessioniert. Diese drohen genauso wie Tourismusgroßprojekte der überwiegend in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung das Wasser zu entziehen. Deshalb ist das AdA auch so attraktiv für EU-Unternehmen, weil aufgrund der Gesetzeslage so viel Freiräume für sie bestehen.

Gibt es gegen die Gesetze Proteste der Bevölkerung?

Da die Regierung von so vielen Menschen grundlegend nicht anerkannt wird und allgemeine Proteste gegen sie im Vordergrund standen, kamen viele Gesetzesreformen unbeachtet durch den Kongress, die große Auswirkungen auf die Bevölkerung haben werden. So auch die geplanten autonomen Modellstädte im Norden des Landes, für die extra die Verfassung geändert wurde. An Land und Ressourcen soll nun alles käuflich sein: »Honduras is open for Business« proklamierte Lobo im Mai. Der Putsch hat Honduras komplett käuflich gemacht.

Was verspricht sich die Europäische Union konkret vom Assoziierungsabkommen?

Das AdA wird für die EU vor allem einen Absatzmarkt für Fleisch- und Milchprodukte sichern. Die EU-Staaten haben ein Gesamtexportvolumen von jährlich 3500 Tonnen Käse nach Zentralamerika ausgehandelt. Das trifft die honduranischen Milchbauern schwer, da diese Überschüsse produzieren. Um das von Ex-Präsident Zelaya eingeführte Schulessen zu bestücken, wurde für 75 Millionen Dollar Milch vom Staat aufgekauft. Die zahlreichen im Land ansässigen Fast-Food-Ketten beziehen hingegen Käse und Milch aus den USA. Gleichzeitig eröffnet sich für die EU mit dem AdA eine Importmöglichkeit von Biodiesel. Der Export der zu Ethanol verarbeiteten Grundnahrungsmittel Mais und Zucker bedeutet aber für die honduranischen Bevölkerung eine Gefährdung ihrer Ernährungssouveränität. Denn die Hälfte des Ackerlandes ist im Besitz von Großgrundbesitzern, die die Weltmarktnachfrage bedienen. Immerhin zwölf Prozent der Bevölkerung gelten als unterernährt; der Bedarf an Grundnahrungsmitteln kann nur noch durch Importe gedeckt werden.

Wer vertritt in Honduras das Assoziierungsabkommen?

Vor allem die Regierung. Ihrer Argumentation zufolge schafft es Arbeitsplätze durch Exporte und und trägt so zur Entwicklung des Landes bei. Dabei ist letztendlich ungewiss, was tatsächlich exportiert werden kann. Sicher ist hingegen, dass die Importe subventionierter EU-Agrarprodukte für kleine und mittelständische landwirtschaftliche Betriebe schlichtweg verheerend sind. Doch auch große Agrarunternehmen fürchten um ihre Monopolstellung. Mit Zelaya wäre das AdA weitaus schwieriger zu verhandeln gewesen als mit Lobo, da er die Interessen honduranischer Produzenten eher gewahrt hätte. Der Ratifizierungsprozess des AdA durch die Parlamente der einzelnen Länder steht jedoch noch an. Da es als politisches und nicht als wirtschaftliches Abkommen verhandelt wurde, braucht es nur ein Land innerhalb der Vertragsgemeinschaft, um das gesamte Projekt zu kippen. Ob es in der EU zivilgesellschaftliche Proteste geben wird, steht in den Sternen. In El Salvador wie Nicaragua sind diese zu erwarten. Ebenso in Honduras, wo sie jedoch der seit dem Putsch herrschenden brutalen Repression werden trotzen müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2011


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