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Ein Angriff auf Alba - im Interesse Washingtons?

Hintergründe zum Putsch in Honduras. Zwei Beiträge von Ingo Niebel

Vor einem Monat putschte das Militär gegen den gewählten Präsidenten Manuel "Mel" Zelaya und etablierten eine international nicht anerkannte Militärregierung. Zelaya wurde außer Landes gebracht. Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel von Ingo Niebel, in denen die Hintergründe des Staatsstreichs ausgeleuchtet werden.



Staatsstreich in Honduras ist ein Angriff auf ALBA

Nach der Brüskierung von UNO, OAS und EU rücken die Putschisten mit Nicaragua den nächsten ALBA-Staat ins Fadenkreuz

Von Ingo Niebel *


Tegucigalpa, Caracas, Managua. Wie geht es jetzt weiter mit Honduras und Nicaragua? Die Frage stellt sich, nachdem die für gestern geplante Rückkehr des gestürzten Präsidenten von Honduras, Manuel "Mel" Zelaya, in sein Amt gescheitert ist. Alle Beteiligten müssen jetzt zeigen, wo sie nach dem neuerlichen Affront der Putschregierung von Roberto Micheletti gegen die internationale Gemeinschaft stehen. Die Positionierung aller Akteuere wird bestimmt von der geopolitischen wie geostrategischen Bedeutung, die der Staatsstreich in Honduras für die Region hat.

Auf der Pressekonferenz nach der gescheiterten Landung, sagte Zelaya in San Salvador: "Wir werden weiterkämpfen, daran kann es keinen Zweifel geben." Dabei kann er einerseits auf die Unterstützung der UNO zählen. Der Vorsitzende der UN-Vollversammlung, der Nicaraguaner Miguel D'Escoto erinnerte bei dieser Gelegenheit, dass Vertreter von 192 Ländern den Putsch mehrheitlich verurteilten und seine Rückkehr ins Präsidentenamt forderten. In dieselbe Richtung wird auch OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza arbeiten müssen, da er von seiner Organisation einen entsprechenden Auftrag erhalten hat. In einer vergleichbaren Situation, sein Gesicht zu wahren, befindet sich Spaniens Premier José Luis Rodríguez Zapatero. Sein Außenminister Miguel Angel Moratinos hatte die EU-Staaten aufgefordert, dem spanischen Beispiel zu folgen und ihre Botschafter abzuziehen. Zwar soll sich auch der deutsche Botschafter, Paul Albert Resch, auf der Heimreise befinden, aber wie amerika21.de aus gut informierten Kreisen in Berlin erfuhr, wäre dieser turnusgemäß sowieso abgelöst worden.

Die EU-Geste bleibt aber ohne Wirkung, da die wichtigste Macht in der Region, die USA, ihren Botschafter dort belässt und sonst keine Massnahmen gegen das Micheletti-Regime ergreift. Ein US-Gesetz, das seinerzeit vom US-Kongress eingebracht wurde, verlangt, dass einer Regierung, die durch einen Militärputsch an die Macht kam, US-amerikanische Militär- und Finanzhilfe untersagt werden muss. "Obama hat die Wirtschafts- und Militärhilfe an Honduras noch nicht gestoppt, wie es das Gesetz erfordert", erinnert der US-Politologe Michael Parenti in seiner aktuellen Analyse. Das zeige, auf welcher Seite der US-Präsident vielleicht stehe, deutet er an.

Eindeutig Position haben bisher die Staaten der Bolivarianischen Allianz für die Amerikas (ALBA) bezogen. Venezuela stoppte die Öllieferungen;Ecuadors Präsident Rafael Correa befand sich am Sonntag in El Salvador, nachdem die Putschisten auch ihm die Landungen Tegucigalpa verweigert hatten. Dasselbe Schicksal erlitten übrigens auch die Präsidenten der Mercosur-Staaten Argentinien und Paraguay, Cristina Fernández und Fernando Lugo, die eng mit der ALBA und vor allem mit Venezuela zusammenarbeiten. Dessen Außenminister Nicolás Maduro stand ebenfalls bereit, um seine honduranische Amtskollegin Patricia Rodas bei ihrer Rückreise zu begleiten.

Unmittelbar nachdem klar war, dass Zelaya nicht landen würde, meldete sich der venezolanische Präsident Hugo Chávez im lateinamerikanischen Nachrichtensender teleSur zu Wort: "Die honduranische Militärjunta wird vom Yankee-Imperium unterstützt". Der Comandante der Bolivarianischen Revolution verlangte von den USA eine Stellungnahme zu den Ereignissen und meinte weiter: "Ich glaube, dass Obama ein Gefangener des Imperiums ist". Für Chávez ist der Staatsstreich in Honduras "der Beginn einer Offensive", die schon in Bolivien sichtbar wurde. Er spielte damit auf die Destabilisierungs- und Attentatsversuche auf seinen ALBA-Partner Evo Morales an.

In diese Kerbe schlug am Sonntag der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega, dessen Land ebenfalls zur ALBA gehört. "Micheletti, dieser Putschist, will gerade die Aufmerksamkeit auf einen angeblichen Konflikt mit Nicaragua lenken", sagte der Sandinist. Seit seiner Machtergreifung in Tegucigalpa schürt der Putschistenpräsident den Eindruck, dass seine nicaraguanischen Nachbarn bereit wären, in Honduras militärisch zu intervenieren.

Nicaragua ist das zweitärmste Land der Region, und kein ALBA-Mitglied ist technisch und politisch in der Lage, eine Militärintervention in Zentralamerika durchzuführen. Letztere würde automatisch die größte Militärmacht der Zone, die USA, auf den Plan rufen. Trotz dieser Fakten verbreiten neoliberale und neokonservative Geister das Szenario eines nicaraguanisch-venezolanischen Eingreifens in Honduras. Das böte den Anlass, um nach Honduras gegen Nicaragua als zweites ALBA-Land in Mittelamerika vorzugehen.

Mit dem Staatsstreich in Tegucigalpa ist es den US-amerikanischen Geostrategen im Pentagon, State Departement und in der CIA gelungen - gemeinsam mit ihren europäischen Unterstützern, - die Etablierung von ALBA als wirtschaftliche und politische Alternative zum kapitalistisch-neoliberalen Projekt in Zentralamerika zu stoppen. Es bleibt abzuwarten, ob El Salvadors Präsident Mauricio Funes angesichts der Ereignisse im Nachbarland den Mut und innenpolitisch die Kraft aufbringt, der ALBA beizutreten. Des Weiteren versetzt Zelayas Sturz die Hardlinern in Washington in die Lage, Honduras wie zur Zeit des "schmutzigen Krieges" gegen die sandinistische Revolution (1979-1990) wieder als Aufmarschgebiet gegen Nicaragua, ihrem nächsten logischen Ziel, zu nutzen. Das bedingt, dass die USA die Rückkehr von Zelaya keineswegs zulassen dürfen. Aufgrund der aktuellen Ereignisse bliebe dem rechtmäßigen Präsidenten keine andere Möglichkeit, als dem Beispiel seiner ALBA-Kollegen aus Venezuela, Bolivien und Ecuador zu folgen und aus Gründen des Selbstschutzes alle Einrichtungen des US-Militärs, der CIA und der Anti-Drogenbehörde DEA in Honduras zu schliessen.

Vor diesen Erwägungen wird man die Positionierungen aller Beteiligten in den nächsten Tagen und Wochen sehen müssen.

* Aus: Portal "Amerika21.de", 6. Juli 2009; www.amerika21.de


Doppeltes Spiel

Wie die USA die Putschisten in Honduras begünstigen

Von Ingo Niebel **


Washington, Tegucigalpa. Ein Monat ist vergangen, seitdem das honduranische Militär den rechtmäßigen Präsidenten Manuel "Mel" Zelaya entführte und gewaltsam ausser Landes brachte. US-Präsident Barack Obama forderte umgehend die Wiedereinsetzung des gestürzten Staatsoberhauptes. Seine Außenministerin Hillary Clinton tat es ihm gleich. Aber den Worten folgten keine Taten. Nach vier Wochen scheint diese Tatenlosigkeit keineswegs Ausdruck eines neuen zurückhaltenden politischen Stils im Weißen Haus zu sein, sondern vielmehr Teil der alten US-Lateinamerikapolitik im neuen Outfit. Diese zielt darauf ab, die Konsolidierung der Bolivarianischen Allianz der Amerikas (ALBA), zu der Honduras gehört, zu stoppen und das linke Staatsbündnis aufzurollen. Neu ist dabei lediglich, dass der US-Präsident und seine Chef-Diplomatin für ein gestürztes Staatsoberhaupt das Wort ergreifen, de facto aber den Putsch begünstigen, indem sie nichts dagegen unternehmen. Die neue Zurückhaltung wird dann offiziell damit begründet, dass man sich nicht in die inneren Belange eines fremden Landes mischen könne. Die Realität der US-Politik gegenüber Honduras sieht freilich anders aus.

"Unverantwortlich" schalt Clinton den honduranischen Präsidenten Zelaya, als dieser vergangene Woche kurzfristig von Nicaragua aus die Grenze zu seinem Heimatland überschritt. Anstatt sich in der Grenzregion aufzuhalten, forderte die Secretary of State von dem Staatsoberhaupt, es möge an den Verhandlungstisch in San José zurückkehren und sich dem Vermittlungsangebot seines costaricanischen Amtskollegen Oscar Arías fügen. Das läuft darauf hinaus, Zelayas politische Stellung und sein Ansehen nachhaltig zu schwächen. Andererseits fällt auf, dass die Weltmacht USA von den politischen Mitteln keinen Gebrauch macht, um den Forderungen von Obama und Clinton nach Zelayas Rückkehr ins Amt Nachdruck zu verleihen. Vielleicht wollen sie das gar nicht.

Denn der US-Präsident und seine Außenamtschefin haben es bisher vermieden, von einem "Putsch" in Tegucigalpa zu sprechen. Stattdessen reden sie von "illegalen Vorgängen". Dadurch vermeiden beide Politiker, dass sie aufgrund eines US-Gesetzes jegliche Art der Unterstützung an das Regime von Roberto Micheletti einstellen müssten. Dass Washington den Putschisten als Präsidenten toleriert, zeigt des Weiteren die Tatsache, dass der US-Botschafter weiter in Honduras weilt, während die EU-Staaten ihre Vertreter abberufen haben. Brüssel hat außerdem Hilfszahlungen von 92 Millionen US-Dollar eingestellt. Die USA haben bisher nur die Militär- und Entwicklungshilfe von 18 Millionen US-Dollar ausgesetzt. "Amerikanische Hilfszahlungen in zehnfacher Höhe sind von den moderaten Strafmaßnahmen vorerst nicht betroffen", stellt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrer Ausgabe vom 27. Juli fest. Während Nicaragua mit einem Einfuhrstopp honduranischer Güter versucht, seinem ALBA-Partner zu helfen, fließt der Warenverkehr in die Vereinigten Staaten ungehindert weiter. Mit 70 Prozent sind die USA der größte Handelspartner des zentralamerikanischen Landes.

Trotz der eingefrorenen Militärhilfe dürfen honduranische Militärs weiterhin am Western Hemisphere Institute for Security Cooperation (WHINSEC), der ehemaligen School of the Americas (SOA), Kurse belegen. Die meisten lateinamerikanischen Putschisten in Uniform haben dieses Ausbildungszentrum der US Special Forces in Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia durchlaufen. Zu den Absolventen gehört auch die Befehlshaber der honduranischen Armee, General Romeo Vásquez Velásquez, der den Militärputsch gegen Zelaya anführte. Der Offizier besuchte zwischen 1974 und 1984 mehrere Lehrgänge der School of the Americas, als diese noch in der panamesischen Kanalzone ansässig war. Der Soldat wurde im Februar 1993 als Kopf der Autoschieberbande "Banda de los Trece" (Gang der 13) in Honduras festgenommen. Das schien seiner Karriere nicht abträglich gewesen zu sein. Womöglich schützten Vásquez seine hochrangigen Verbindungen aus den Jahren 1980 bis 1990, als die USA von Honduras aus mit den bewaffneten Einheiten der Contra die sandinistische Revolution in Nicaragua bekämpften. Damals entstand in Tegucigalpa eine Todesschwadron namens "Batallón 316", die mindestens 184 linke Aktivisten, Studenten und Gewerkschafter, Lehrer und Professoren ermordete. Verantwortlich für Washingtons "schmutzigen Krieg" gegen Managua war John Negroponte, der seinerzeit als US-Botschafter in Tegucigalpa tätig war. Der Neocon war zuletzt Chef aller US-Geheimdienste und Berater von US-Außenministerin Condoleezza Rice. Heute steht er Clinton zur Seite und arbeitet außerdem für eine Anwaltskanzlei, die unter anderem den US-Agrarkonzern "Chiquita" berät, der über großen Einfluss in Honduras verfügt, wie die FAZ schreibt. Unter Negroponte entstand 1981 der US-Militärstützpunkt Soto Cano, auf dem nach offiziellen Angaben zurzeit 600 US-Soldaten tätig sind. Dort lebt die gleiche Anzahl an honduranischen Militärs, weil sich auf dem Gelände auch die Luftwaffenakademie des Landes befindet. 2008 kündigte Zelaya an, er wolle die Basis mit ALBA-Geldern in einen zivilen Flughafen umbauen. Dem kam der Putsch zuvor. Von den Plänen wusste der US-Botschafter Hugo Llorens Bescheid, der sich vor dem Staatsstreich dreimal mit den Verschwörern traf, um eine andere Lösung zu finden, wie Sprecher des State Departements erklärten.

Am gestrigen Sonntag (26. Juli) forderte Zelaya von der US-Regierung, sie möge mit Kraft der Diktatur in seinem Land gegenübertreten. Ob Washington seinen Wunsch erhört, werden die Fakten zeigen.

** Aus: Portal "Amerika21.de", 27. Juli 2009; www.amerika21.de


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