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Über die Grenze

Zelaya will heute nach Honduras zurückkehren. Gewerkschaften unterstützen rechtmäßigen Präsidenten mit Generalstreik

Von André Scheer *

Die drei wichtigsten Gewerkschaftsverbände von Honduras wollen die Wirtschaft in dem zentralamerikanischen Land ab dem heutigen Donnerstag mit einem Generalstreik zum Erliegen bringen. Damit soll der Druck auf das Regime der Putschisten weiter erhöht werden. Wie CGT, CTH und CUTH in Tegucigalpa ankündigten, soll der Ausstand durch Straßenblockaden und die Schließung aller öffentlichen Einrichtungen des Landes unterstützt werden. »Wir werden die Putschisten dort treffen, wo es ihnen weh tut, nämlich an ihren Geldbörsen«, sagte CUTH-Generalsekretär Juan Barahona.

Nicht nur die bevorstehende Zuspitzung der Protestaktionen, sondern auch die offenbar unmittelbar bevorstehende Rückkehr des rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya sorgt für eine immer angespanntere Stimmung in Honduras. Am Dienstag hatte Zelaya in Managua angekündigt, am Donnerstag die Grenze nach Honduras überschreiten zu wollen. Begleitet werden soll der Präsident von zahlreichen honduranischen Anhängern, die sich in El Salvador, Guatemala und Nicaragua in der Nähe der Grenze zu ihrem Heimatland versammelt haben.

»Es gibt eine lange Grenze mit El Salvador, eine Grenze mit Guatemala und eine Grenze mit Nicaragua. Die Annäherung ist durch die Luft, zu Lande oder zu Wasser möglich, und der Zeitpunkt ist ab Donnerstag offen, wenn die 72 Stunden vorbei sind, die der Vermittler erbeten hat«, sagte Zelaya mit Blick auf den letzten Versuch des costaricanischen Präsidenten Oscar Arias, doch noch einen Kompromiß zwischen der rechtmäßigen Regierung und den Putschisten auszuhandeln.

Das Regime hat unterdessen die noch in Tegucigalpa verbliebenen Diplomaten und Angestellten der venezolanischen Botschaft zum Verlassen des Landes aufgefordert. Diese kündigten jedoch an, dem nicht Folge zu leisten, da sie keine Entscheidung und keine Maßnahme des Regimes akzeptieren würden. Uriel Vargas, Venezuelas Geschäftsträger in Honduras, erklärte am Dienstag an der Tür des Botschaftsgebäudes gegenüber Pressevertretern, daß Caracas die Regierung von Roberto Micheletti nicht anerkenne, denn »das ist eine De-facto-Regierung von Putschisten, die sich auf die Bajonette stützt«. Gefragt, ob die Diplomaten keine gewaltsame Ausweisung befürchteten, antwortete Vargas: »Das wäre die einzige Maßnahme, die dieser Putschistenregierung noch fehlt.«

Zelayas Ehefrau Xiomara, die nach dem Staatsstreich in Honduras geblieben war und seit Tagen in vorderster Reihe an den Demonstrationen gegen die Putschisten teilnimmt, berichtete unterdessen dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur, daß die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftsblockade gegen Honduras im Land zunehmend spürbar werden.

Mit Blick auf den Verrat des durch den Präsidenten abgesetzten Generalstabschef Romeo Vásquez Velásquez sagte Xiomara de Zelaya, sie fühle sich schuldig, weil sie dem General vertraut habe. Am Tag vor dem Putsch habe sie einen Anruf des Generals erhalten, der sie beruhigt habe. »Er sagte mir, ich solle dem Präsidenten ausrichten, daß sie ihn im Generalstab erwarten würden, damit er mit ihnen eine Tasse Kaffee trinke.« Wenige Stunden später habe dieselbe Person dann den bewaffneten Überfall auf die Residenz des Präsidenten angeordnet. »Ich fühle mich betrogen, und meine Familie auch, denn durch die Botschaften wurden wir beruhigt. Wir hätten nie gedacht, daß sie so etwas tun würden.«

* Aus: junge Welt, 23. Juli 2009


Repression in Honduras ist deutlich spürbar

Beobachter bestätigen Einschränkung der Menschenrechte nach Militärputsch **

Martin Wolpold-Bosien ist Mittelamerikareferent bei der deutschen Vertretung der Menschenrechtsorganisation FIAN. Gemeinsam mit anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen und Netzwerken nimmt FIAN derzeit in Honduras an einer Dringlichkeitsmission teil, um die Unterdrückung sozialer Bewegungen nach dem Putsch vom 28. Juni zu untersuchen. 15 Menschenrechtler aus elf Ländern sind an der Mission beteiligt. Mit Wolpold-Bosien sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.

ND: Sie sind im Rahmen einer internationalen Delegation seit einigen Tagen in Honduras. Wie ist die Lage nach dem Putsch?

Wolpold-Bosien: Angespannt. In den Straßen der Hauptstadt herrscht tagsüber scheinbar Normalität. Doch dann stößt man plötzlich auf Straßenblockaden. Bei Beginn der wieder verhängten Ausgangssperre sind die Straßen wie leergefegt. Im Landesinnern ist die Repression deutlich spürbar. In Landesteilen wie Colón, Olancho und Santa Bárbara, in denen täglich Protestaktionen stattfinden, gibt es fortwährend Verhaftungen und Drohungen gegen Anhänger der Widerstandsbewegungen.

Mitglieder der Widerstandsbewegung berichten immer wieder von massiver Repression. Die privaten Medien des Landes bestreiten dies kategorisch. Wer hat Recht?

Die Medien in Honduras sind einer systematischen Zensur unterworfen. Das Fernsehen zeigt ein Land, das in Wirklichkeit nicht existiert. Die täglichen Protestaktionen werden verschwiegen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass auch die Gewalt gegen die Bewegung ignoriert wird.

Haben Sie gegenteilige Informationen?

Wir haben am Montag und Dienstag (20. und 21. Juli) dieser Woche die Lage im nördlichen Bezirk Colón untersucht: Vier Bürgermeister wurden von der Armee aus den Rathäusern vertrieben. Sie werden nach wie vor bedroht. Alle Radiosender des Bezirks wurden von den Militärs darüber unterrichtet, dass diejenigen, die von einem Staatsstreich reden, sofort abgeschaltet werden. Viele von ihnen sind inzwischen nicht mehr auf Sendung.

Die Lage in einzelnen Orten ist dramatisch. In der Gemeinde Guadalupe Carney etwa marschieren immer wieder schwer bewaffnete Truppen auf, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Wer behauptet, es gebe keine Gewalt gegen die Protestbewegung, ignoriert die Lage im Land.

Das zentrale Protestbündnis zählt bislang vier Tote auf Seiten der Demokratiebewegung. Werden die Schuldigen zur Verantwortung gezogen?

Diese Frage haben wir selbst der Sonderstaatsanwältin für Menschenrechte gestellt. Die Antwort war eindeutig: Es gibt keinerlei Verfolgung der Schuldigen für diese Übergriffe. Und es gibt auch keine unabhängige Justiz mehr. Ein Beispiel, das wir untersucht haben: Am 5. Juli wurde der 19-jährige Isid Obed Murillo von Militärs durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet. Der Vater des Opfers, David Murrillo, wurde wenig später selbst von der Polizei festgenommen. Die zuständigen Richter machen gegenüber unserer Delegation deutlich, dass sie den bekannten Umweltschützer der Region Olancho nicht entlassen werden, obwohl es keine stichhaltige Anklage gibt. Er sitzt wegen seiner politischen Haltung im Gefängnis.

Präsident Manuel Zelaya selbst hat einen weiteren Rückkehrversuch angekündigt. Welche Auswirkungen hätte das?

Ohne eine massive Konfrontation wird das nicht vonstatten gehen. Ich halte eine Spaltung des Militärs für unwahrscheinlich. Die Widerstandsbewegung, die sich bisher als außergewöhnlich pazifistisch gezeigt hat, wünscht sich die Rückkehr Zelayas. Aber was soll sie gegen die Militärs ausrichten?

Costa Ricas Präsident Oscar Arias hat von der Gefahr eines Bürgerkrieges gesprochen.

Zwar ist die Widerstandsbewegung noch friedfertig, das kann sich aber nach einem Massaker oder einer Festnahme des Präsidenten durch das Militär ändern. Waffen sind genug im Land.

Welchen Ausweg gäbe es aus der honduranischen Staatskrise?

Der beste Ausweg würde über einen Dialog führen. Aber die Vermittlungsversuche von Präsident Arias sind bislang ohne Ergebnisse geblieben. Solange die Putschisten ihre grundsätzliche Haltung bezüglich einer Rückkehr Zelayas nicht ändern, gibt es wohl kaum eine gewaltlose Lösung. Allerdings kann die internationale Gemeinschaft ihren Druck auf Roberto Micheletti erhöhen. Sobald etwa die Unternehmer von Micheletti Abstand nehmen, fällt das Regime wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2009


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