Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir leben weiter in einer Diktatur"

Menschenrechtlerin über Lage in Honduras


Seit einem Monat ist die Regierung des Präsidenten Porfirio »Pepe« Lobo (Nationale Patei) in Honduras im Amt. An die Macht kam sie durch Wahlen, organisiert vom Regime Roberto Michelettis, das am 28. Juni 2009 mit Hilfe des Militärs den legitimen Präsidenten Manuel Zelaya gestürzt hatte. Mit Claudia Herrmannsdorfer, die als Anwältin beim Frauenrechtszentrum (CDM) in Tegucigalpa arbeitet und die Bewegung gegen den Putsch unterstützt, sprach über die aktuelle Situation in Honduras für das "Neue Deutschland" (ND) Kathrin Zeiske.



ND: Ist die Demokratie in Honduras durch den Regierungswechsel gestärkt worden?

Herrmannsdorfer: Nein, ich würde es eher einen Maskenwechsel nennen; denn von einem politischen Wandel kann man nicht sprechen. Wir leben weiterhin in einer Diktatur. Hervorzuheben ist vor allem die Straflosigkeit, die weiterhin herrscht. Unter Pepe Lobo wurden zwar ein paar Schauprozesse inszeniert, in denen die Hauptverantwortlichen des Militärputsches wegen kleinerer Vergehen abgeurteilt wurden, aber keinesfalls wegen Vaterlandsverrat oder Mord. Danach ist sofort ein Amnestiegesetz in Kraft getreten, das nicht nur alle weiteren Verfahren einfriert, sondern den Putschisten sogar einen »lebenslangen Schutz gegen Racheakte« zusichert. Das ist eine Ohrfeige für das honduranische Volk.

Ist das Militär weiterhin auf der Straße präsent?

Mit dem Regierungswechsel sind die Soldaten in die Kasernen zurückgeholt worden. Die Repression ist jetzt gezielter und wird von den paramilitärischen Gruppen durchgeführt, die wie ein Spuk aus den 80er Jahren zurückgekehrt sind. In den Gemeinden der Atlantikküste, die im Widerstand sehr aktiv waren, sind es private Kleinarmeen von Großgrundbesitzern, die immer wieder Übergriffe unternehmen. In der Hauptstadt hingegen finden Entführungen und politische Morde kein Ende; Anfang Februar wurden die politischen Karrikaturisten Ricardo Rodríguez und Manuel Murillo entführt und brutal gefoltert. Sie wurden schließlich freigelassen; von der ebenfalls verschwundenen Gewerkschafts- und Widerstandsaktivistin Vanessa Zepeda fand man nur noch ihre Leiche.

Gibt es geschlechtsspezifische Repressionsmaßnahmen gegen Frauen im Widerstand?

Es gab sehr viele Vergewaltigungen von Frauen im Rahmen von Razzien und Festnahmen. Gerade liegt uns der Fall einer Aktivistin vor, die im letzten Jahr am Rande einer Demonstration von mehreren Personen vergewaltigt wurde, als offensichtlicher Akt der Repression gegen sie. Gerade hatte sie sich dazu überwunden, nicht zu schweigen und eine Anzeige zu erstatten, da wurde sie von einer maskierten Person in Militäruniform erneut überfallen und vergewaltigt. Auch abgesehen von solchen krassen Fällen haben wir sexualisierte Gewalt gegen Demonstrantinnen immer wieder beobachtet. Schläge von Soldaten und Polizisten gehen bei Frauen vor allem auf die Brüste, Handgriffe zu den Geschlechtsteilen demonstrieren die patriarchale Überlegenheit.

Übergriffe gegen Aktivistinnen der Widerstandsbewegung gingen also nicht nur vom Militär, sondern auch von der Polizei aus?

Das verwundert uns nicht, da wir in einer sehr machistischen Gesellschaft leben, aus der auch die Beamten kommen. Die verbale Gewalt gegenüber Demonstrantinnen bezeugte klar deren traditionelles Rollenbild, das Frauen als politische Subjekte negiert: »Kümmer dich besser um deinen Mann, anstatt dich auf der Straße herumzutreiben!« Solche Aussagen waren sehr oft zu hören.

Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hatte in Honduras ein Projekt mit sechsstelligen Beträgen finanziert, das Polizeibeamte in der Genderthematik sensibilisieren sollte. Tatsächlich waren punktuell Verbesserungen festzustellen in der Verfolgung geschlechtsspezifischer Gewalt. Doch anscheinend hat der Putsch die Ergebnisse dieser Maßnahme einfach hinwegfegen können.

Der rechte Kurs, der mit dem Putsch eingeleitet wurde, bedeutet für Frauen deutliche Rückschritte?

Auf jeden Fall, denn die konservativsten Kräfte, die in diesem Land zu finden sind, beteiligen sich nun wieder an der Macht. Opus Dei agiert auf einmal sehr aktiv und verortet sich wie der gesamte Oberbau der katholischen Kirche und der charismatischen Sekten klar auf Seiten der Putschisten. Der verstärkte Einfluss der Kirche hat dazu geführt, dass von der Frauenbewegung mühsam erkämpfte Rechte mit dem Putsch wieder ausgehebelt wurden. So wurde die »Pille danach« über Nacht wieder aus dem Verkehr gezogen. Schon vorher war dies durch eine Gesetzesinitiative versucht worden, gegen die aber Manuel Zelaya als Präsident sein Veto eingelegt hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 1. März 2010


Zurück zur Honduras-Seite

Zur Menschenrechts-Seite

Zurück zur Homepage