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Islamgegner Wilders freigesprochen

Niederländisches Gericht sieht keine Aufstachelung zum Hass / Muslimorganisationen empört *

Der niederländische Islamgegner Geert Wilders ist vom Vorwurf der Aufstachelung zum Hass gegen Muslime und in allen anderen Anklagepunkten freigesprochen worden.

Umstrittene Äußerungen des Chefs der populistischen Partei für die Freiheit (PVV) – darunter die Beschimpfung des Islam als faschistische Ideologie von Terroristen – seien zwar teils äußerst grob, aber nicht strafbar, befand am Donnerstag (23. Juni) das zuständige Gericht in Amsterdam.

Die drei Richter folgten damit Forderungen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft. Sie hatten übereinstimmend auf Freispruch plädiert. Wilders habe seine umstrittene Kritik im Rahmen einer breiten öffentlichen Debatte über die multikulturelle Gesellschaft vorgebracht, erläuterte der Vorsitzende Richter, Marcel van Oosten, bei der Urteilsverkündung. Sie sei also trotz der scharfen Form legitim. Vor allem aber habe der Politiker nicht Muslime als Individuen angegriffen, sondern den Islam als solchen kritisiert.

Das Urteil sei ein »Sieg für die Meinungsfreiheit«, sagte Wilders unmittelbar nach dessen Verkündung vor Journalisten. »Man darf also den Islam kritisieren, mir ist kein Maulkorb angelegt worden«, betonte der 47-Jährige.

Auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte von der rechtsliberalen Partei VVD begrüßte den Richterspruch. »Das ist eine prima Nachricht für Geert Wilders, mit dem wir auf der Basis eines Duldungsabkommens gut zusammenarbeiten«, sagte der Ministerpräsident. Ruttes Minderheitsregierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten stützt sich im Parlament offiziell auf die Wilders-Partei als Mehrheitsbeschafferin.

Wilders' Verteidiger, der Prominenten-Anwalt Bram Moszkowicz, sagte, es sei in dem Prozess darum gegangen, dass jeder Niederländer das Recht habe, »zu sagen, was gesagt werden muss«. Die Grenze dafür liege dort, wo zu Gewalt aufgestachelt werde. »Aber das hat Wilders niemals getan«.

Organisationen von Muslimen und verschiedenen Minderheiten, die das Verfahren gegen Wilders gegen den Willen der Staatsanwaltschaft durchgesetzt hatten, kündigten eine Beschwerde beim Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen an. »Durch den Freispruch ist das Recht von Minderheiten verletzt worden, vor Aufstachelung zum Hass gegen sie geschützt zu werden«, erklärte der Anwalt dieser Klägergruppe, Ties Prakken. »Deshalb werden wir unser Recht nun bei den UN einfordern.« Wilders hatte während des Prozesses wie auch außerhalb des Gerichts mehrfach gewarnt, der freie und demokratische Westen sei durch eine schleichende Islamisierung bedroht. Als Politiker habe er das Recht und die Pflicht, öffentlich davor zu warnen.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011


Klimawandel

Von Uwe Sattler **

Wie der Prozess gegen Geert Wilders auch ausgegangen wäre – der niederländische Rechtspopulist, angeklagt wegen Hetze gegen Islam und Migranten, hätte aus jedem Urteilsspruch Kapital geschlagen. Mit einer Verurteilung wäre seine Rolle als selbsternannter »Führer der Meinungsfreiheit« und »Islamkritiker« gestärkt worden. Mit dem erfolgten Freispruch kann er nun sogar einen Triumph auf der ganzen Linie feiern.

Man darf die Richter für ihre Blindheit auf dem rechten Auge kritisieren. Aber zu Recht verweisen die Juristen darauf, dass die »Kritik« Wilders' »im Rahmen einer breiten öffentlichen Debatte über die multikulturelle Gesellschaft« vorgebracht wurde. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Sozialabbau, von Inflation und Transferleistung Richtung Südeuropa werden Sündenböcke gesucht und präsentiert. Und es sind vor allem jene Schichten am sozialen Rand der Gesellschaft, die auf den Zug aufspringen. Das Klima in den Niederlanden, einst Vorzeigestaat in Sachen Toleranz, Migration und Integration, hat sich radikal gewandelt.

Nicht zuletzt kann Wilders nun die rechtsliberale Regierung in Den Haag weiter vor sich her treiben. Dass man dazu bereit ist, machte Premier Rutte bereits deutlich: Schließlich habe man auch bisher mit dem Führer der drittstärksten Parlamentsfraktion gut zusammengearbeitet.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011


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