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"Populisten wie Wilders können viel versprechen"

Gewinne von rechter Partei in Niederlanden resultieren auch aus mangelnder Fähigkeit der Linken, Perspektiven aufzuzeigen. Ein Gespräch mit Yves Meny

Yves Meny ist Politologieprofessor und Autor mehrerer Bücher über Rechtspopulismus. Von 2002–2009 war er Präsident des European University Institute in Florenz.



Bei den niederländischen Kommunalwahlen am 3. März ist die Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders in Almere mit 21,6 Prozent stärkste und in der Hauptstadt Den Haag mit knapp 17 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Die sozialdemokratische PvdA ist von 23 auf unter 16 Prozent im Landesdurchschnitt eingebrochen. Wie erklären Sie das?

Das ist in den Niederlanden so wie überall. Ein ärmerer Teil der Wählerschaft, der traditionell links wählte, hat sich von den populistischen Sirenen einlullen lassen. Es gibt eine Deklassierung des ärmeren Teils der Arbeiterklasse, der inzwischen den Lebensstandard der Immigranten hat. Die Linke hat auf der Umverteilungsebene wenig zu bieten. Es existiert kein Spielraum. Deutschland einmal ausgenommen, weil es die Währungspolitik kontrolliert.

Dadurch gibt es eine gigantische Kluft zwischen dem politischen Diskurs und dem, was die Politiker tun können. Von dieser Kluft profitieren Rechte. Populisten wie Wilders können viel versprechen, ohne es halten zu müssen. Noch gravierender ist, daß die Linke nicht in der Lage war, eine Zukunftsvision anzubieten. Ein Teil hat sich vom Blairismus bezaubern lassen, den man kaum noch als links bezeichnen kann, während sich der andere in der Verteidigung der Vergangenheit verschanzte.

Die Niederlande haben auf eine repressive Migrationspolitik gesetzt. An Wilders Erfolg hat das nichts geändert, oder?

Populistische Parteien wie Wilders PVV entstehen unter anderem aus dem Problem der Zuwanderung. Wenn Hunderttausende Migranten ins Land kommen und ein Teil von ihnen Arbeit findet, aber keinen Wohnraum und keine soziale Infrastruktur, dann ist klar, daß die Kriminalität zunimmt. Für die Populisten war es leicht zu schreien: »Der König ist nackt!« Das Problem ist, daß sie es mit irrsinnigen und rassistischen Vorschlägen tun.

Einige Parteien diskutieren nun über ein Bündnis mit Wilders. Was denken Sie darüber?

Ein Bündnis mit solchen Parteien ist unvorstellbar. Außerdem existiert die PVV gar nicht. Hinter dem Emblem verbergen sich Wilders und zwei oder drei Assistenten.

Wird sich die PVV konsolidieren?

Wir werden sehen, wie die Partei bei den Parlamentswahlen am 9.Juni abschneidet. Die populistischen Kräfte sind häufig ein charismatisches Phänomen. Entweder verschwinden sie wieder von der Bildfläche wie die Liste Fortuyn, oder sie machen es wie die Lega Nord in Italien: Sie konsolidieren sich erst in einem bestimmten geographischen Gebiet und integrieren sich dann in das politische System. Für Wilders war es eine phantastische Gelegenheit, zuerst in zwei Städten antreten zu können und dann im Juni bei den nationalen Wahlen zu kandidieren.

Jetzt darf Wilders auch wieder in Großbritannien einreisen, wo er vor einem Jahr zur unerwünschten Person erklärt worden war. Hilft ihm das?

Das Einreiseverbot war für ihn eine eine wunderbare Publicity. Die populistischen Führer suchen geradezu nach so etwas. Sie sind Provokateure. Für sie ist die Stigmatisierung wie eine Weihe. Die populistischen Gruppierungen nennen sich fast nie Partei, sondern Bewegung, Union, Lega, Bund etc. und wählen Worte wie »Volk« und »Freiheit« als Schlüsselbegriffe, um Wähler anzuziehen, die nicht wissen, welche Heiligen sie da wählen. Silvio Berlusconi ist darin ein Meister.

Auch wenn solche Phänomene manchmal kurzlebig sind, beeinflussen sie häufig die Regierungspolitik. Müssen wir jetzt eine »Superfestung Europa« befürchten?

Diese Parteien haben nur zwei oder drei Themen, mit denen sie auf Stimmenfang gehen, aber sie werden zu einem Bezugspunkt und sorgen für eine Verschiebung der politischen Debatte. Sie bestimmen die Position der anderen. Aber auch so ist der Kampf gegen die Einwanderung ein verlorener Kampf. Egal mit welchem Diskurs, Europa wird die Welle nicht aufhalten. Nötig wäre eine Koordination von Migrations-, Handels- und Entwicklungspolitik. Statt dessen wird kurzsichtig gehandelt – und so wachsen die Populisten.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 12. März 2010


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