Die ewige Wiederkehr des Neins
Im Bohai um die Präsidentschaftswahlen gelangte das Echo der plötzlichen Krise in den Niederlanden nicht bis nach Frankreich
Von Pierre Lévy *
Wahrscheinlich war es unvermeidlich. Im Bohai um die Präsidentschaftswahlen gelangte das Echo der plötzlichen Krise in den Niederlanden nicht bis nach Frankreich. Am 21. April hat Geert Wilders, Chef der »populistischen« Partei PVV, die Tür zu den Budgetverhandlungen, in denen er sich seit sieben Wochen mit Premierminister Mark Rutte befand, zugeschlagen. Ihr Gegenstand war, weitere 14 Milliarden Euro zu finden, zusätzlich zu den 18 Milliarden Euro, die bereits festgelegt waren. Denn Brüssel weist eindringlich auf ein Defizit von 4,7 Prozent hin. Die PVV hatte bis jetzt die Haager Regierungskoalition, die sich nun der Mehrheit beraubt sieht, unterstützt, ohne im Kabinett vertreten zu sein. Es könnten nun vorgezogene Wahlen organisiert werden – aber nicht vor dem Herbst. Festzuhalten ist: Nach der Slowakei, nach Irland, Portugal und Griechenland wird Holland das fünfte Land sein, in dem der »Stabilitäts«pakt den Zusammenbruch der amtierenden Regierung verursacht.
Wilders hat seinen spektakulären politischen Durchbruch im Jahr 2010 mit Hilfe seiner radikal antiislamischen Kampagnen geschafft. Diesmal wählt er eine Strategie, die die ökonomischen Spannungen in der EU anpeilt: »Wir akzeptieren nicht, dabei zuzusehen, wie unser Volk von Brüssel bis aufs Blut ausgesaugt wird«. Vom Norden bis zum Süden der Union muß die Liste jener Politiker verlängert werden, die zu der Auffassung gelangen, daß sich Anti-Europäismus bei Wahlen auszahlt. Das sagt viel über die Popularität der Integration bei den Völkern aus. Mögliche Konsequenz: Während sich die Unsicherheiten über die Ratifikation des sogenannten Fiskalpakts in verschiedenen Ländern vergrößern, steigt das Risiko, daß er auch in den niederländischen Poldern im Sand steckenbleibt. Das Gründungsmitglied des Europas der sechs, die Niederlande, bleibt einer der wenigen Staaten, die von Ratingagenturen mit AAA bewertet werden. Außerdem ist es »das andere Land des Neins«, bezogen auf die Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrages – wenige Tage nach dem französischen Referendum vom Mai 2005.
Die Werbefachleute für den neuen Pakt hatten vorgesehen, daß er bei Ratifikation durch lediglich zwölf statt siebzehn Mitgliedstaaten der Euro-Zone in Kraft treten kann. Aber die Gefahr für die europäische Oligarchie liegt in der Tatsache, daß die niederländische Krise exakt im Moment der französischen Wahlen ausbrach. Wenn man nur eine einzige Lehre aus der Abstimmung vom 22. April in Frankreich ziehen will, dann bestünde sie in der Feststellung: Nahezu die Hälfte der Wahlberechtigten hat nicht für einen der drei Kandidaten des »Systems« gestimmt, d. h. jene, die weder die Erstattung der »Schulden« noch Europa in Frage stellen. Im übrigen versuchte jeder von ihnen auf seine Weise – Nicolas Sarkozy, Francois Hollande und Francois Bayrou – sich während seines Wahlkampfes von den Brüsseler Regeln zu distanzieren. Als einzige der zehn Kandidaten trat Eva Joly (Grüne) für »mehr Europa« ein – das wurde ihr so quittiert, wie es sich gehört. Das Frankreich des Neins ist beim ersten Wahlgang wiedererstarkt, obwohl es ständig vom offiziellen Denken unterdrückt worden ist.
Schließlich läßt sich ohne großes Risiko vorhersagen, daß die griechischen Wähler, die für den 6. Mai zu den Urnen gerufen sind, den linken und rechten Parteigängern des Troika-Europas eine Schlappe zufügen werden – zu verstehen ist das ohne weiteres.
Das Geduldsspiel der Verfechter einer europäischen Integration ist um so furchterregender, als sich die Krise, die sie zumindest vorläufig beruhigt zu haben glaubten, mit doppelter Wucht zurückmeldet. Die Signale schalten wieder auf Rot, besonders für Spanien, aber auch für Italien – mit der Aussicht auf den Schrecken eines Dominoeffekts. Zugleich gibt es einen Unterschied im Vergleich zur ersten Krisenrunde: Die beispiellosen Kürzungen in den Staatshaushalten und den Sozialkassen haben das schwache Wachstum abgewürgt, das noch übriggeblieben war. Zu einem Zeitpunkt, da selbst die orthodoxen Ökonomen in Unruhe geraten, sogar die Draufgänger. Die Falken von Brüssel und Berlin versuchen nichts Geringeres, als allen Hindernissen zum Trotz, einen Vertrag durchzusetzen, der Konfrontationen epischer Natur verspricht. In diesem neuen Kontext erscheint der Erhalt der gemeinsamen Währung um jeden Preis mehr denn je als ein Hindernislauf. Diesmal werden die Hürden sehr hoch.
* Der Autor ist Chefredakteur der in Paris erscheinenden Monatszeitung Bastille République Nations
Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. April 2012
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