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"Realist" René Préval

Kurzporträt des neuen Präsidenten Haitis

Er wird kleine Brötchen backen müssen: Der studierte Agraringenieur René Préval, der von 1978 bis 1991 erfolgreich eine ökologische betriebene Großbäckerei in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince führte, ist Realist genug, um zu wissen, dass er als Präsident Haitis eine schwere Aufgabe vor sich hat. 70 Prozent der 8,4 Millionen Einwohner des Karibikstaates leben unter der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung im ärmsten Land Amerikas beträgt 52 Jahre. In der Hauptstadt Port-au-Prince dominiert die Bandenkriminalität. Kein Wunder, dass Préval ankündigte, sich für einen weiteren Verbleib der rund 9500 Mann starken UNO-Friedenstruppen MINUSTAH einzusetzen, deren Mandat im August ausläuft.

Préval ist politisch kein unbeschriebenes Blatt. Sein Vater war in den 50er Jahren Landwirtschaftsminister, überwarf sich dann mit dem Diktator Francois »Papa Doc« Duvalier und nahm die Familie mit ins Exil nach Belgien, wo Sohn René Agrarwissenschaften studierte.

Schon als Ökobäcker betätigte sich Préval in der Opposition gegen »Baby Doc« Jean-Claude Duvalier, der die Diktatur seines Vaters nahtlos fortsetzte, bis er 1986 gestürzt wurde. Aus diesen Tagen rührt seine Bekanntschaft mit dem Salesianerpriester Jean-Bertrand Aristide, dessen unfreiwilliger Abgang ins südafrikanische Exil im Frühjahr 2004 die Instabilität weiter verstärkte und die UNO auf den Plan rief. Aristide, 1990 und 2000 zum Präsidenten gewählt, bezeichnete den kleinen bärtigen Mann später sogar als seinen »Zwillingsbruder«. Der 63-jährige Préval amtierte in Aristides erster Amtszeit als Ministerpräsident, bis ein Militärputsch sie beide nach nur neun Monaten ins Exil zwang. Bei den Präsidentschaftswahlen 1995 trat Préval anstelle von Aristide für die Lavalas-Bewegung an, gewann und trat dessen schweres Erbe an. Nun wiederholt sich die Geschichte, auch wenn die Übergangsregierung Latortue zwischen Préval und dem vorletzten gewählten Präsidenten (Aristide) liegt. Doch Préval hat sich von Aristide emanzipiert. Die Gründung seiner politischen Partei »Lespwa« (Hoffnung) ist dafür ein Ausdruck, die Rückgabe einer von Aristide geschenkten Villa ein anderer. Ob er die Hoffnungen erfüllen kann, ist dennoch fraglich.

Martin Ling

Aus: Neues Deutschland, 18.02.2996


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