Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erdbebenopfern droht nun der Hurrikan

In Haiti sollen die Notlager aus Angst vor Überschwemmungen evakuiert werden *

Wegen erwarteter Unwetter bereiten sich die Behörden in Haiti darauf vor, tausende Bewohner der nach dem schweren Erdbeben im Januar errichteten Notlager in Sicherheit zu bringen. Eine Evakuierung der Lager im Zentrum der Hauptstadt Port-au-Prince werde vorbereitet, kündigte der Zivilschutz am Sonntagabend (11. Sep.) an. Demnach drohen in den Camps Erdrutsche und Überschwemmungen.

Die Behörden des Landes rechnen mit schweren Regenfällen in den kommenden beiden Tagen. Die Meteorologen des Nationalen Wetterdienstes befürchten zudem, dass der Wirbelsturm »Igor« über dem Atlantik weiter an Stärke gewinnt und Kurs auf Haiti nimmt. Der Zivilschutz erließ für das gesamte Land die zweithöchste Alarmstufe wegen drohender Überschwemmungen. Besonders gefährdet sind nach Angaben von Zivilschutzvertreterin Nadia Lochard die seit acht Monaten in den Notunterkünften von Port-au-Prince lebenden Menschen.

Der Wirbelsturm »Igor« ist am Sonntag (12. Sep.) mitten im Atlantik zu einem mächtigen Hurrikan der Stärke 4 herangewachsen. »Igor« entwickelte in seinem Zentrum Windgeschwindigkeiten von 240 Kilometern pro Stunde. Nach Angaben des US-Hurrikanzentrums bewegte er sich auf die Inseln der Karibik zu. Es wird erwartet, dass sich der Hurrikan in den kommenden Tagen noch weiter verstärken werde.

Bei dem verheerenden Erdbeben am 12. Januar waren 250 000 Menschen ums Leben gekommen, 1,3 Millionen Bewohner des verarmten Karibikstaates wurden obdachlos. Rund 125 000 wurden in Notlagern untergebracht – die meisten leben noch heute dort. Sie haben inzwischen jede Hoffnung verloren, dass sich ihre Lage in nächster Zeit bessern wird.

Die Menschen im Lager »Solidarität«, das auf den Trümmern des gleichnamigen Viertels der Hauptstadt entstanden ist, sowie im Camp »Champ de Mars« unweit des zerstörten Präsidentenpalasts sind verzweifelt. Vor dem Erdbeben konnten sie mit ihren Löhnen als Maurer, Schreiner oder Kaufmann ihre Familien ernähren – jetzt wissen sie nicht einmal, wann sie wieder ein vernünftiges Dach über dem Kopf haben werden.

Die stärksten unter ihnen, wie etwa Irène Pierre und ihr Mann, legen alles Geld beiseite, um eines Tages in die benachbarte Dominikanische Republik auswandern zu können. Andere wenden sich der Religion oder Sekten zu. Die am meisten Verzweifelten, wie etwa der 33-jährige Carlos Dawis, warten nur noch auf die wöchentlichen Lebensmittelhilfen der Nichtregierungsorganisationen. Diese aber sind von der anhaltenden Not so überfordert, dass sie sich nur um die von ihnen errichteten eigenen Lager kümmern können, wie der Journalist Louis-Joseph Olivier vom Haiti Press Network berichtet – die Menschen in wild errichteten Camps seien großteils sich selbst überlassen. Von den Behörden erwartet niemand Hilfe. AFP/dpa

* Aus: Neues Deutschland, 14. September 2010


Zurück zur Haiti-Seite

Zurück zur Homepage