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"Cholera tötet die Erkrankten in kurzer Zeit"

Angelika Herb von Ärzte ohne Grenzen über ihren Aufenthalt auf der Karibikinsel Haiti *


Haiti ist von vielen Krisen geplagt. Zu dem Erdbeben im Januar 2010 gesellte sich ab Oktober eine Cholera-Epidemie. Die ehemalige Krankenschwester und Bankmanagerin Angelika Herb, 47, hat die letzten elf Monate als Koordinatorin für Ärzte ohne Grenzen in Carrefour verbracht, einer Millionenstadt direkt neben der Hauptstadt Port-au-Prince. Über die aktuelle Lage sprach mit der 47-Jährigen für das Neue Deutschland (ND) Michael Sagorny.

ND: In den jüngsten Meldungen heißt es, auf Haiti nimmt die Cholera wieder zu. Wie ist die aktuelle Situation?

Herb: Durch die Regenzeit und die schwierigen hygienischen Verhältnisse in großen Teilen Haitis erkranken gerade wieder zunehmend Menschen an der Cholera. Und das, nachdem wir in den letzten Monaten große Erfolge in der Bekämpfung der Seuche verzeichnen konnten. Bereits geschlossene oder in der Übergabe befindliche Behandlungszentren werden von Ärzte ohne Grenzen und anderen Hilfsorganisationen umgehend wieder in Betrieb genommen. Das ist natürlich eine große logistische Herausforderung. Die Lage ist bedrohlich, die Zahl der Infizierten nimmt täglich zu.

Wie war die Situation in Haiti, als die Cholera ausbrach?

Haiti gehörte schon vor dem Erdbeben zu einem der ärmsten Länder der nördlichen Hemisphäre. Als auch noch die Cholera ausgebrochen ist, war die Verunsicherung enorm, weil das Krankheitsbild gänzlich unbekannt war. Denn Cholera gab es dort seit mindestens 200 Jahren nicht mehr. Als die Seuche nach Carrefour gekommen ist, hat sich zum Beispiel der Bürgermeister nicht in unser Cholerazentrum getraut. Er hat eine Ansteckung befürchtet. So musste ich die Absprachen fürs weitere Vorgehen mit ihm draußen auf der Straße treffen.

War seine Angst realistisch?

Nein, in unserem Behandlungszentrum war sie nicht realistisch. Cholera ist leicht zu behandeln. Im frühen Stadium der Erkrankung wird mit einer ambulanten Trinklösung geholfen. Schwerer erkrankte Patienten bekommen im Krankenhaus über zwei Tage Infusionen. Anfangs sind viele Erkrankte gestorben, weil sie zu spät in die Cholerazentren gekommen sind. Inzwischen liegt die Todesrate bei weniger als zwei Prozent. Aber nur, wenn die Patienten weiterhin schnell in die Krankenhäuser kommen, denn Cholera tötet die Erkrankten in kurzer Zeit. Vorbeugend helfen mit Chlor versetztes Wasser und genügend sanitäre Einrichtungen – das ist aber eine gewaltige Hürde in einem Land, wo noch immer große Teile der Bevölkerung in Notunterkünften und Zeltlagern leben.

Welchen Umfang hat die Hilfe von Ärzte ohne Grenzen in Haiti und wie gestaltet sich die Kooperation mit den staatlichen Stellen?

Ärzte ohne Grenzen hat 47 Behandlungszentren auf Haiti. Hier haben wir 60 Prozent der Erkrankten behandelt. Die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Gesundheitsministerium hat dabei gut geklappt – trotz des monatelangen Wahlkampfs. Erst am 15. Mai wurde Michel Martelly, ein populärer Schlagersänger, als neuer Präsident Haitis ins Amt eingeführt.

Wie ist das aktuelle Krisenmanagement von Ärzte ohne Grenzen in Haiti?

Ärzte ohne Grenzen hilft weltweit nur bei aktuellen Krisen, denn unsere Kapazitäten sind begrenzt. Nachdem die Cholera halbwegs eingedämmt scheint, versuchen wir, unsere bestehenden Cholerazentren an das Gesundheitsministerium oder private Träger zu übergeben. Die Privaten zeigen wenig Interesse, denn mit der Behandlung der Cholera lässt sich nicht kostendeckend arbeiten. Ich selbst habe noch die Verhandlungen begonnen, um eines unserer Zentren an die örtliche Gesundheitsbehörde zu übergeben. Wenn das klappt, wäre es das erste Mal, dass eine private Organisation wie unsere ein Cholerazentrum an eine staatliche Stelle in Haiti übergibt.

Geht das ohne Komplikationen?

Dabei gibt es eine Menge Schwierigkeiten: Der finanzielle Aufwand muss vom Staat übernommen werden. Ärzte ohne Grenzen hilft, indem wir die eingearbeiteten einheimischen Mitarbeiter, Medikamente und medizinische Geräte zur Verfügung stellen und neue Ärzte und Pflegekräfte anlernen. Es würde mich freuen, wenn die Übergabe klappt. Die Verhandlungen werden von meinem Nachfolger weitergeführt. Erschwerend kommt hinzu, dass die beginnende Regenzeit die Zahl der Infizierten wieder ansteigen lässt. Die Betten in dem bislang von mir geleiteten Cholerazentrum mussten von 20 auf 80 aufgestockt werden.

Wie geht es für Sie weiter?

Ich brauche jetzt einige Wochen Ruhe und gehe danach auf eine neue Mission für Ärzte ohne Grenzen in einem anderen Land.

Spendenkonto:
Ärzte ohne Grenzen, 97 0 97, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 70 205 00

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011


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