Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Über 1000 Cholera-Tote in Haiti

Bevölkerung attackiert UNO-Soldaten und gibt ihnen Schuld an der Epidemie

Von Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo *

Die Zahl der Cholera-Toten in Haiti ist auf über 1000 gestiegen. In mehreren Städten kam es unterdessen zu Übergriffen Einheimischer gegen UN-Truppen, denn viele Haitianer machen UN-Soldaten aus Nepal für den Ausbruch der Cholera verantwortlich. Zwei Demonstranten kamen bei den gewaltsamen Protesten ums Leben.

Bewiesen ist nichts. Seit Wochen halten sich in Haiti hartnäckig die Gerüchte, dass der Cholera-Erreger, der die gegenwärtige Epidemie auslöste, von nepalesischen UN-Soldaten eingeschleppt wurde. Damals wurde bekannt, dass der Erregertyp mit asiatischen Stämmen identisch ist und ein Lager der Soldaten an einem Nebenarm eines Flusses liegt, der in den Artibonite mündet. Die meisten Erkrankten haben sich aus diesem Fluss mit Wasser versorgt.

Nepal aber hat bestritten, dass Blauhelmsoldaten aus dem Himalaja-Staat Cholera-Erreger nach Haiti eingeschleppt haben sollen. Der Sprecher der nepalesischen Armee, Ramindra Chetti, sagte am Dienstag in Katmandu, entsprechende Tests hätten gezeigt, dass dies nicht der Fall war. Er betonte, die jüngsten Gewaltausbrüche in Haiti seien nicht nur gegen die nepalesischen Blauhelmsoldaten gerichtet gewesen, »sondern gegen die Vereinten Nationen generell«.

In der Hafenstadt Cap Haïtien wurde bei den Demonstrationen gegen die Anwesenheit von Blauhelmsoldaten am Montag mindestens ein Demonstrant erschossen. Der Mann sei in Notwehr getötet worden, teilte ein Sprecher der UN-Mission für die Stabilisierung in Haiti (MINUSTAH) nach Angaben des Rundfunksenders Radio Metropole mit. Der 20-Jährige sei bewaffnet gewesen, die Soldaten hätten in Selbstverteidigung gehandelt. Allerdings sei eine Untersuchung eingeleitet worden. Die Polizei der Hafenstadt spricht von einem weiteren Toten. Auch in Cap Haïtien sind nepalesische Blauhelme stationiert. Haitianische Rundfunkstationen meldeten, die rund 1000 Demonstranten hätten zuerst ein Umspannwerk am Ortseingang in Brand gesetzt und dann Barrikaden in der Stadt errichtet. Später hätten sie die UN-Kaserne im Stadtteil Morin, in der chilenische Soldaten stationiert sind, und eine Kaserne mit nepalesischen Blauhelmen belagert. Gepanzerte UN-Fahrzeuge seien mit Steinen beworfen worden. Um die Menge zu zerstreuen, hätten die Soldaten zuerst mit Tränengas geschossen. Danach sei es zu den tödlichen Schüssen gekommen. Insgesamt 14 Personen seien verletzt worden, meldet Radio Metropole unter Berufung auf Ärzte des städtischen Krankenhauses.

Die neuerlichen gewaltsamen Auseinandersetzungen könnten auch die Stimmen aus Regierungskreisen um Staatspräsident René Préval wieder lauter werden lassen, die schon seit dem Ausbruch der Epidemie die Verschiebung der für den 28. November vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fordern.

Nach letzten Meldungen des Gesundheitsministeriums sind inzwischen mehr als 1000 Menschen an der Cholera gestorben, die Mehrheit in der nördlichen Region der Artibonite-Ebene. Mehr als 15 000 registrierte Erkrankte gibt es nach Ministeriumsangaben. Unterdessen verstärken die Hilfsorganisationen ihre Aufklärungskampagnen in den Lagern der Opfer des Erdbebens vom Januar. »Die Menschen haben nicht ausreichend Wasser, sie haben keine Sanitäreinrichtungen und sie haben auch kein Wissen über die Cholera«, klagte Joost Butenop von Caritas International.

Spenden: Kennwort: »Haiti«. Diakonie Katastrophenhilfe: Konto 502 707, Postbank Stuttgart, BLZ 600 100 70

* Aus: Neues Deutschland, 17. November 2010


Wut auf UN-Soldaten **

UN-Soldaten haben am Montag (15. Nov.) in Haiti zwei Menschen erschossen, die gegen die zu langsame medizinische Bekämpfung der Choleraepidemie protestiert hatten. In Cap-Haïtien, der zweitgrößten Stadt des Karibikstaats, sowie im zentralhaitianischen Hinche hatten im Tagesverlauf Tausende Menschen gegen das Krisenmanagement der Regierung demonstriert. Der Protest richtete sich auch gegen die UN-Soldaten, die von den Demonstranten für den Ausbruch der Cholera verantwortlich gemacht wurden. Dem örtlichen Rundfunksender Radio Kiskeya zufolge gingen französische Polizisten mit Tränengas und Schüssen in die Luft gegen die Protestierenden vor. In Cap-Haïtien setzte die aufgebrachte Menge daraufhin ein Polizeigebäude und mehrere Fahrzeuge in Brand. Die UN-Mission bestätigte, ihre Kräfte hätten auf einen der getöteten Demonstranten geschossen. Dieser sei bewaffnet gewesen und habe auf einen Soldaten gezielt, sagte ein Sprecher der Minustah gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Die haitianische Bevölkerung wirft dem nepalesischen UN-Kontingent vor, die Cholera nach Haiti eingeschleppt und anschließend für deren Verbreitung gesorgt zu haben, indem es seine Abfälle ungeklärt in den Fluß Artibonite leiteten. In diesem Gewässer waren die Bakterien nachgewiesen worden, die dem Erreger ähneln sollen, der kurz vor der Ankunft der UN-Soldaten aus Nepal in dem Himalayastaat ausgebrochen war. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) räumt jedoch der Bekämpfung der Cholera Vorrang gegenüber der Untersuchung der Herkunft der Infektion ein. Die Kontrolle des Ausbruchs und die Hilfe für Erkrankte seien wichtiger, sagte WHO-Sprecherin Fadela Chaib am Dienstag in Genf. »Irgendwann werden wir das weiter untersuchen, aber das hat jetzt keine Priorität.«

Die Zahl der Choleratoten in Haiti steigt unterdessen weiter rasant an. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums starben bereits fast 1000 Menschen an der gefährlichen Krankheit, mehr als 14600 wurden in Krankenhäusern behandelt. Cholera verbreitet sich vor allem über kontaminiertes Wasser und entsprechende Nahrung, verursacht heftigen Durchfall und Erbrechen und kann ohne rechtzeitige Behandlung innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen. Die Vereinten Nationen befürchteten einen »deutlichen Anstieg« der Infektionen. Aus allen Landesteilen des Karibikstaates seien mittlerweile Cholerafälle gemeldet worden, sagte der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Haiti, Nigel Fisher, in New York.

Kuba hat unterdessen sein Ärztekontingent in Haiti verstärkt, um besser zu einer Eindämmung der Epidemie beitragen zu können. Wie viele zusätzliche Hilfskräfte entsandt wurden, teilten die Behörden nicht mit. Die Zahl der Ärzte und Pfleger aus Kuba lag haitianischen Medien zufolge zuletzt bei rund 850. (AFP/PL/dapd/jW)

** Aus: junge Welt, 17. November 2010


Zurück zur Haiti-Seite

Zurück zur Homepage