Guineas Angst vor ethnischer Gewalt
Bei den Präsidentschaftswahlen kommt es zu einer Stichwahl
Von Marc Engelhardt, Nairobi *
Bei der demokratischsten Wahl in Guinea seit dessen Unabhängigkeit vor
mehr als 50 Jahren siegten die Vertreter der beiden größten Bevölkerungsgruppen. Analysten befürchten nun ethnische Gewalt bei der Stichwahl.
Bei der Präsidentenwahl in Guinea hat der ehemalige Premierminister
Cellou Dalein Diallo die meisten Stimmen erhalten, muss sich aber in zwei Wochen dennoch einer Stichwahl stellen. Der 58-
jährige erhielt dem vorläufigen Ergebnis zufolge 39,72 Prozent der
Stimmen, der zweitplatzierte
Kandidat Alpha Condé 20,67 Prozent. Ex-Premier Sidya Touré kam auf 15,6
Prozent. Am Sonntag (4. Juli) erklärte Touré, der als Königsmacher gilt,
erwartungsgemäß, er habe sich noch nicht entschieden.
Diallo gab sich in seiner ersten Rede siegessicher. »Ich rufe all meine
Landsleute auf, als Teil
meiner 'Union der demokratischen Kräfte' dazu beizutragen, dass wir mit
einer deutlichen Mehrheit
gewinnen.« Die Verlierer hingegen fechten zunächst das Ergebnis an,
sowohl der langjährige
Oppositionsführer Condé als auch Touré haben beim obersten Gerichtshof
entsprechende Anträge
gestellt.
Am Gesamtergebnis, so schätzen Beobachter, dürften die Anfechtungen
jedoch nichts ändern,
selbst wenn ihnen stattgegeben wird. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf
einzelne Wahllokale in
den jeweiligen Hochburgen der Kandidaten. Internationale Wahlbeobachter
loben die Wahl als im
Großen und Ganzen gelungen. »Trotz logistischer Schwierigkeiten am
Wahltag hat die Kommission
die Abstimmung generell zufriedenstellend abgewickelt«, erklärte der
Chef der EU-Wahlbeobachtermission,
Alexander Graf Lambsdorff. Vorwürfe lokaler Wahlbeobachter, die
vereinzelte Fälschungsversuche dokumentierten, würden untersucht.
Unruhen, die vergangene
Wahlen gekennzeichnet hatten, blieben diesmal aus. Es scheint, als lasse
die seit Ende 2008
regierende Militärjunta tatsächlich die freiesten Wahlen seit der
Unabhängigkeit von Frankreich vor
52 Jahren zu.
Doch die Unsicherheit ist groß, ob die Militärregierung unter der
Führung von Sékouba Konaté so
unparteiisch bleiben wird. In der zweiten Runde, so befürchtet die
Analystin Lydie Boka, könnten die
Kandidaten für ihre Zwecke ethnische Spannungen anheizen.
»Tribalistische Argumente könnten
den Ausschlag dafür geben, wer welchen Kandidaten unterstützt«, warnt Boka.
Diallo, dem Kritiker vorwerfen, sich während des Regimes des Ende 2008
gestorbenen Präsidenten
Lansana Conté bereichert zu haben, gehört der größten Ethnie der Fulani
(Peul) an, die gut 40
Prozent der Bevölkerung ausmachen. Mit seinem Wahlspruch »Jetzt sind wir
dran« hat er im
Wahlkampf Anführer kleinerer Ethnien vergrätzt, auf deren Unterstützung
er jetzt angewiesen ist.
Der 73-jährige Condé, der in seiner politischen Karriere erfolglos gegen
alle Staatschefs angetreten
ist, gehört zu den Malinké, die etwa ein Drittel der Bevölkerung
stellen. Es sind also die kleineren
Bevölkerungsgruppen, die mit ihren Stimmen den Sieger küren werden.
Besonders brisant ist der ethnische Wettstreit, weil der politische
Einfluss der Fulani immer wieder
mit dem Argument begrenzt wurde, eine Übermacht der größten Ethnie
gefährde die nationale
Einheit Guineas. Manch einer in Guinea glaubt, dass die Junta im Falle
eines Diallo-Wahlsiegs auf
die »Foutah« genannte Politik zurückgreifen könnte, um selbst an der
Macht zu bleiben. Es geht um
viel Geld: Der Wert der anstehenden Verträge mit Minenunternehmen in dem
armen, aber
rohstoffreichen Land wird auf gut acht Milliarden Euro geschätzt.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2010
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