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Staatskrise in Guinea-Bissau

Präsident und Generalstabschef sind tot

Von Marc Engelhardt, Nairobi *

Soldaten ermordeten den Präsidenten des westafrikanischen Staates Guinea-Bissau, um sich am gewaltsamen Tod ihres Generalstabschefs zu rächen.

Die Feindschaft zwischen Präsident João Bernardo »Nino« Vieira und seinem Generalstabschef Batista Tagme Na Wai war im westafrikanischen Kleinstaat Guinea-Bissau kein Geheimnis, im Gegenteil. In der einstigen portugiesischen Kolonie fragte man sich schon lange hinter vorgehaltener Hand, wer den anderen wohl zuerst umbringen werde. Beide Männer hatten in den vergangenen Wochen Attentate überstanden, für die sie sich gegenseitig verantwortlich machten. Am Montagnachmittag (2. März) war klar: Beide sind tot. Wer das seit der Unabhängigkeitserklärung 1974 immer wieder von Unruhen und Putschen erschütterte Land derzeit regiert, ist unklar.

Tagme Na Wai starb zuerst: Am Sonntagabend detonierte eine Bombe unweit seines Büros mitten im Hauptquartier der Armee. Der Armeechef erlag noch an Ort und Stelle seinen Verletzungen, mehrere Soldaten wurden mit schweren Wunden im Krankenhaus behandelt. Tagme Na Wais Anhänger bliesen kurz darauf zum Gegenangriff.

»Wir werden die Mörder verfolgen und uns rächen«, kündigte Armeesprecher Samuel Fernandes vor Journalisten an, kurz bevor er die Einstellung aller Programme verlangte. Als am Montag über Bissau die Sonne aufging, beschossen Soldaten den Präsidentenpalast mit Raketen und schwerem Geschütz. »Präsident Vieira wurde auf der Flucht aus seinem Haus erschossen«, erklärte am Mittag ein weiterer Armeesprecher, Zamora Induta, der Vieira für den Tod Tagme Na Wais verantwortlich machte. Vieiras Frau ließen die Soldaten ziehen: Sie soll sich in der Botschaft Angolas aufhalten, dem engsten Verbündeten des toten Präsidenten.

Der 69-jährige Vieira hatte Guinea-Bissau so sehr geprägt wie kaum jemand sonst: Schon früh hatte er sich der 1956 von Amilcar Cabral gegründeten Unabhängigkeitsbewegung PAIGC angeschlossen. Schon bald nachdem 1974 die Unabhängigkeit errungen war, zerstritten sich die einstigen Genossen jedoch. 1980 putschte Vieira den damaligen Staatschef Luis de Almeida Cabral, Halbbruder des 1973 ermordeten Amilcar Cabral, aus dem Amt. Mehrmals vom Parlament bestätigt, stellte er sich 1994 auch allgemeinen Wahlen und gewann.

Fünf Jahre später putschte das Militär gegen Vieira, Bürgerkrieg brach aus. Der im Januar 2000 gewählte Präsident Kumba Yala wurde bereits nach drei Jahren vom Militär abgesetzt. Als 2005 der Frieden zurückkehrte und Neuwahlen angesetzt wurden, kehrte Vieira wie Phoenix aus der Asche aus Portugal zurück und wurde erneut zum Staatsoberhaupt gewählt. Als »Geschenk Gottes für Guinea-Bissau« feierte Vieira sich damals selbst.

Das Band mit Tagme Na Wai, der den Balante, der größten Ethnie des Landes, angehörte, war da bereits zerrissen: Als Vieira 1986 gegen einen angeblichen Putschversuch der Balante vorging, ließ er Tagme Na Wai foltern und kastrieren.

In Bissau war die Stimmung am Montagnachmittag (2. März) ruhig, aber angespannt. Die Armee rief die Bewohner auf, ihre Häuser nicht zu verlassen, und errichtete Straßensperren. Schüsse waren nicht zu hören. Armeesprecher Induta widersprach Berichten über einen Putsch und versprach, die Streitkräfte stünden zur Verfassung. »Wir werden uns fest an unsere verfassungsgemäße Aufgabe halten«, erklärte Induta. »Wir gehorchen den Institutionen der Republik.« Wenn das stimmt, heißt der neue starke Mann Raimundo Pereira, ein Jurist, der erst Ende Dezember zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. Binnen 60 Tagen, so sieht es die Verfassung vor, würden Neuwahlen angesetzt.

Außenminister und Diplomaten drängten am Montag (2. März) auf eine schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung. Hintergrund ist vor allem die schon seit Jahren herrschende Angst, dass die Drogenmafia vollends die Macht in Guinea-Bissau übernehmen könnte. Das Land ist einer der wichtigsten Umschlagplätze für Kokain auf dem Weg von Südamerika nach Europa. Vieira und seiner Regierung war immer wieder vorgeworfen worden, an dem lukrativen Geschäft beteiligt zu sein.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009


Auf der Flucht erschossen

Militärputsch in Guinea-Bissau. Präsident Vieira »von Kugeln niedergemäht« **

Der weitgehend verelendete Westen Afrikas kommt nicht zur Ruhe. Nach Mauretanien und Guinea Ende vergangenen Jahres putschten am Montag Teile der Armee der ehemaligen portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau. Opfer war der langjährige Präsident João Bernardo Vieira, der »von Kugeln niedergemäht« wurde, als er aus seiner Residenz in der Hauptstadt Bissau flüchten wollte, so José Zamura Induta. Dieser war am Sonntag als Sprecher einer Militärkommission eingesetzt worden, die die Kontrolle über das Land übernahm und damit eine seit Jahren schwelende Auseinandersetzung unterschiedlicher Interessensgruppen zunächst für sich entschied.

Wenige Stunden vor der Ermordung des Präsidenten war in der Nacht zum Montag Generalstabschef Tagmé Na Waié, Vieiras Gegenspieler, bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen. Bei der Explosion wurden der Armee zufolge fünf weitere Menschen zum Teil schwer verletzt. Bereits Ende November hatten mehrere Soldaten den Präsidentenpalast in Bissau angegriffen und zwei von Vieiras Leibwächtern getötet, nun behauptete Armeesprecher Induta, daß der Präsident einer der Hauptverantwortlichen für den Tod Na Waiés gewesen sei. Allerdings ist bekannt, daß Guinea-Bissau zu den Hauptumschlagsplätzen des Kokainhandels von Lateinamerika nach Europa gehört, so daß auch kriminelle Hintergründe denkbar sind. Unterdessen erklärte die Militärführung, sich an die »verfassungsmäßige Ordnung« halten zu wollen.

Die Afrikanische Union verurteilte die Ermordung Vieiras. Kommissionspräsident Jean Ping erklärte, er stehe »mit Verantwortlichen aus der Region in Kontakt«, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Vieira, genannt »Nino«, stand seit 1980 mit Unterbrechungen fast 23 Jahre an der Spitze des Landes, das 1973 die Unabhängigkeit von Portugal errang und zunächst einen sozialistischen Entwicklungsweg mit engen Beziehungen zur Sowjetunion eingeschlagen hatte. Dieser wurde noch vor dem Ende der bipolaren Weltordnung verlassen. Heute müssen vier von fünf der insgesamt etwa anderthalb Millionen Einwohner von weniger als einem Dollar täglich existieren. 61 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten.

Angesichts von Chaos und Plünderungen berief Portugal eine Dringlichkeitssitzung der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder (CPLP) ein. Das Krisentreffen der acht Mitgliedsstaaten der CPLP sollte nach amtlichen Angaben aus Lissabon noch am Montag abend in der portugiesischen Hauptstadt stattfinden.

** Aus: junge Welt, 3. März 2009

Das meldeten die Nachrichtenagenturen am 2. März

Soldaten töten Präsidenten von Guinea-Bissau

Der Präsident des westafrikanischen Landes Guinea-Bissau ist am 2. März von aufständischen Soldaten getötet worden. Joao Bernardo Vieira sei im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Bissau erschossen worden, teilte der Sicherheitsberater des Ministerpräsidenten mit. Die Streitkräfte erklärten wenig später, sie hätten nicht vor, die Macht zu übernehmen und würden die verfassungsmäßige Ordnung respektieren. Die Ermordung des Präsidenten sei das Werk einzelner Soldaten, hieß es in der Erklärung der Streitkräfte weiter.

Bereits am Morgen waren rund um den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Bissau über einen Zeitraum von mehreren Stunden hinweg Schüsse zu hören. Zwei private Radiosender mussten auf Drängen der Armee den Sendebetrieb einstellen. Gestern Abend (1. Mäez) war der Chef der Armee, General Batista Tagme Na Wai, bei einem Anschlag getötet worden. Er galt als Rivale Vieiras. Ein Armeesprecher hatte den Präsidenten für den Anschlag verantwortlich gemacht.

Nach dem Anschlag auf den General war es in Bissau zu Schießereien und Explosionen gekommen. Zwei private Radiosender mussten auf Drängen der Armee den Sendebetrieb einstellen.

Drehkreuz der Drogenmafia

Präsident Joao Bernado Vieire war seit 2005 im Amt. Bereits Ende November vergangenen Jahres hatten mehrere Soldaten den Präsidentschaftspalast in Bissau angegriffen und zwei von Vieiras Leibwächtern getötet. Guinea-Bissau hat in der Vergangenheit zahlreiche Putsche erlebt. Das Land ist eines der wichtigsten Drehkreuze der südamerikanischen Drogenmafia, die über Afrika Kokain nach Europa schmuggelt.

Nachrichtenagenturen, tagesschau.de, 2. März 2009




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