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Zementstaub auf Blumenfeldern

Die junge Mayafrau Valeria kämpft in Guatemala gegen den Bau einer Zementfabrik

Von Andreas Boueke *

Eine 17-jährige Maya der Kakchiquel kämpft in Guatemala gegen die Zerstörung der Umwelt und für die Rechte ihres Volkes.

Ihren Namen möchte sie nicht sagen. Nennen wir sie »Valeria«. Das passt: die Starke, die Mutige. Auch mutige Menschen können Angst haben, aber sie handeln trotzdem. »Wir werden verfolgt und angefeindet«, sagt Valeria. »Wenn sie deinen Namen kennen, beginnen die Einschüchterungen. Du wirst bezichtigt, irgendein Verbrechen begangen zu haben.«

Die 17-jährige Valeria stammt aus dem Mayavolk der Kakchiquel. Sie lebt keine zwei Stunden Autofahrt von Guatemala-Stadt entfernt. Der Weg führt über eine Schotterpiste entlang einer Hügelkette, auf der der Bau einer Zementfabrik begonnen hat. Zwei Kilometer weiter liegt das Dorf Santa Fe Ocaña.

Die meisten älteren Einwohner sind nie zur Schule gegangen. Die junge Generation hat größere Bildungschancen. Valeria hat gerade die Sekundarschule abgeschlossen. Sie möchte an der öffentlichen Universität Jura studieren, als Rechtsanwältin ihre Gemeinde gegen Übergriffe und Rassismus verteidigen.

Das Vertrauen ihrer Nachbarin Olinda Katok hat sie. Die alte Frau sitzt in ihrer kleinen Küche mit verrußten Wänden aus Lehmziegeln. Olinda Katok hat sich als eine der ersten Frauen der Protestbewegung gegen den Bau der Zementfabrik angeschlossen. Sie kennt Valeria seit Jahren. »Ich habe gehört, wie sie reden kann. Wir Frauen dürfen keine Angst haben. Wir müssen sprechen, denn nur so können wir uns verteidigen und unser Recht durchsetzen.«

Es geht um den Bau der größten Zementfabrik Mittelamerikas. Ab 2017 sollen dort jährlich 2,4 Millionen Tonnen Zement produziert werden. Der Konzern Cementos Progreso hat schon vor sieben Jahren mit den Bauvorbereitungen begonnen. Die Anwohner fürchten, dass durch die Zementproduktion bald ihre Umwelt, die Luft, das Wasser und ihre Äcker verschmutzt werden.

Valerias Familie lebt von der Landwirtschaft. Viele Bauern dieser Gegend haben sich auf Blumen spezialisiert. »Mein Vater ist Landwirt«, sagt Valeria. »Er baut Rosen an, Nelken, Chrysanthemen und auch Gemüse. Damit verdienen wir das Geld, das die Familie braucht. Doch in letzter Zeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir immer weniger produzieren können, weil das Wasser knapp wird.«

Die meisten Blumenzüchter haben provisorische Treibhäuser aus Holzbalken und Plastikplanen angelegt. Leticia Pirir erntet jeden Tag mehrere Hundert Blumen und bindet sie für den Verkauf zusammen. Sie macht sich große Sorgen um die Zukunft: »Der Bau der Zementfabrik schadet uns. Wir selber werden das vielleicht nicht mehr erleben, aber unsere Kinder werden Probleme bekommen, weil es immer weniger Wasser gibt. Eines Tages werden sie keine Blumen mehr pflanzen können.«

Anfangs haben die Dorfbewohner den Dialog mit der Konzernführung gesucht. Ein runder Tisch wurde eingerichtet. Der hat es der Firma leicht gemacht, die Wortführer der Gemeinden zu identifizieren. Wenige Tage später wurden mehrere Männer festgenommen. Einige blieben ohne formale Anklage über ein Jahr lang im Gefängnis. Darauf reagierten viele Dorfbewohner mit Wut. Sie organisierten Protestmärsche und bauten Straßensperren, um die Fortsetzung der Bauarbeiten zu verhindern. Der Konflikt eskalierte.

»Ich habe mich an einem 14. Dezember dem Kampf angeschlossen,« erinnert sich Valeria. »Das war der Tag, als die Polizei das erste Mal unsere Dörfer überfallen hat. Sie haben den Frauen gesagt, sie sollten ihre Röcke hochheben und ihre Hemden ausziehen. Sie sagten, sie würden nach Waffen suchen, aber wir haben keine Waffen.«

Valeria koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit des örtlichen Entwicklungskomitees. Dabei sieht sie sich in der Tradition des Widerstands ihrer Vorfahren. Seit der Invasion der Spanier vor 500 Jahren leidet die indigene Bevölkerung Mittelamerikas unter Ausbeutung und Unterdrückung. »Es geht mir um die Verteidigung der Rechte meines Volkes. Mich motiviert, dass so viele Männer und Frauen ihr Leben geopfert haben, um unsere Rechte zu verteidigen.«

Cementos Progreso ist eines der ältesten Industrieunternehmen Lateinamerikas. Über 100 Jahre lang hat der Konzern den Zementhandel in Guatemala monopolisiert. Die Besitzerfamilie Novella gehört zu den mächtigsten und reichsten des Landes. Eric Zepeta ist leitender Angestellter von Cementos Progreso. Auf seiner Visitenkarte steht: »Direktor für nachhaltige Entwicklung«. Sein Schreibtisch steht im sechsten Stock der Konzernzentrale in Guatemala-Stadt. Er ist es nicht gewohnt, dass seine Entscheidungen in Frage gestellt werden, schon gar nicht von den Bewohnern eines armen Mayadorfes in den Bergen. »Wir wollen eine Anlage mit der modernsten Technologie bauen. Wir werden die weltweit striktesten Normen in Sachen Umweltschutz einhalten. Gleichzeitig werden wir Entwicklungspole für die benachbarten Dorfgemeinschaften einrichten.«

Erst seit wenigen Jahren steht der Naturschutz auf der Tagesordnung der guatemaltekischen Politik. Noch gibt es in diesem Bereich nur wenige Gesetze und deren Einhaltung wird sehr lax überprüft. Eric Zepeta aber hat keine Vorbehalte: »Unsere Pläne sind sehr positiv für die Entwicklung der Region. Es geht uns um Wiederaufforstung. Dann kommt auch das Wasser zurück. Wir haben nie wirklich verstanden, warum die Leute so viel Angst haben.«

Valeria ist nicht überzeugt. Sie bezweifelt, dass sich die Leute von Cementos Progreso wirklich für den Umweltschutz und die Lebensbedingungen der Menschen in den Mayadörfern interessieren: »Dieses Entwicklungsmodell passt nicht zu uns. Sie reden von einem Modell, dass ihrem Denken entspricht und das wir übernehmen sollen. Aber uns geht es um die Einheit der Gemeinde, um Harmonie und die Möglichkeit, unsere Blumen zu produzieren, unser Gemüse. Wir wollen weiter hier leben können, mit genügend Wasser.«

Der Konzern hat das Gelände, auf dem die Zementfabrik gebaut werden soll, von einem Großgrundbesitzer gekauft, der kein Interesse an einer Kultivierung des Landes hatte. Früher gab es dort einen Wald, in dem die Leute Feuerholz, Kräuter und Beeren sammeln konnten. Heute sind die Hügel abgeholzt.

Die Dorfbewohner fürchten, dass der Konzern nicht nur Zement herstellen will. In benachbarten Gebieten werden schon längst Metalle abgebaut, unter anderem Nickel, Silber und Gold. Dabei kommen giftige Chemikalien zum Einsatz, die das Grundwasser verschmutzen. Aber die Verantwortlichen von Cementos Progreso bestreiten, dass sie nach Mineralien schürfen wollen.

Valeria möchte zeigen, dass auch Frauen und Mädchen eine wichtige Rolle beim Protest spielen können. Doch gerade wenn Frauen aufbegehren, riskieren sie Repression und Gewalt. »Wir nennen das ›schwarze Kampagnen‹«, erklärt Valeria. »Einmal sind in meinem Dorf Flugblätter mit meinem Namen aufgetaucht. Da stand mit scheußlichen Worten, ich hätte behauptet, die Polizei habe mich vergewaltigt, die Soldaten hätten mich sexuell missbraucht. Doch das habe ich nie gesagt. In Wirklichkeit habe ich von den Misshandlungen gesprochen, die unsere Dorfgemeinden ertragen müssen.«

Neben Valeria gibt es noch ein paar junge Frauen, die sich in der Bürgerinitiative engagieren. Eine von ihnen ist die 24-jährige Norma, Valerias Freundin. Sie sagt: »Trotz ihrer Jugend tritt Valeria schon sehr förmlich auf, sehr erwachsen, sehr verantwortungsbewusst. Valeria kann auch fröhlich sein und Scherze machen, aber in unserem Kampf hat sie schon einiges erleiden müssen: Verfolgung und Mangel. Ich denke, all das hat sie früh erwachsen werden lassen.«

Valeria findet solche Kommentare peinlich: »Viele Leute denken so über mich. Manchmal sagen sie mir, ich sei so mutig. Aber es geht mir darum, das zu tun, was ich für richtig halte.«

In Santa Fe Ocaña leben viele Mädchen in Valerias Alter mit einem Mann zusammen. Einige haben Kinder. Auch Valeria möchte nicht immer allein bleiben: »Manchmal frage ich mich, ob ich eines Tages jemanden finden werde, der mich versteht. Ich hoffe schon. Wenn er mich wirklich mag, dann wird er auch akzeptieren, was ich tue. Aber wenn jemand meine Arbeit nicht akzeptiert, dann klappt auch die Beziehung nicht.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Februar 2014


Nachkommen der Maya

Über die Hälfte der Bevölkerung Guatemalas sind Angehörige eines Volkes der Maya, Nachkommen der Menschen, deren kulturelle Entwicklung vor rund 4000 Jahren begann und im 10. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Während die Kulturen Europas im dunklen Mittelalter stagnierten, erlebten die Maya mit ihren Hochburgen im heutigen Petén, in Yucatán und im Hochland Guatemalas eine rasante Entwicklung mit beeindruckenden wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Astronomie und der Architektur.

Im Jahr 1523 stattete der spanische Eroberer Mexicos, Hernán Cortés, seinen skrupellosen Mitstreiter Pedro de Alvarado für einen Feldzug zur Eroberung des heutigen guatemaltekischen Hochlands aus. In einer entscheidenden Schlacht besiegten siebenhundert Spanier mit Pferden und Gewehren eine Armee von 30 000 Maya-K'ich'es unter der Führung des legendären Tecún Umán. Es folgte eine gnadenlose Ausbeutung der Maya durch enttäuschte Eroberer, die in Mittelamerika nicht die erhofften Silber- und Goldschätze vorfanden wie Cortés in Mexico oder Pizarro in den Anden.

Im Jahr 1872 putschte sich der angeblich liberale Diktator Rufino Barrios an die Macht. Die Mayabevölkerung profitierte wenig von seinen Reformen. Im Gegenteil. Unter der Herrschaft Rufino Barrios' legten deutsche Immigranten im guatemaltekischen Hochland riesige Kaffeeplantagen an, deren Produktion bald einen Großteil der Exporteinnahmen ausmachte. Als Ergebnis des Kaffeebooms verloren viele Mayagemeinden große Teile ihres Grund und Bodens. Anstatt gemeinschaftlich ihre Äcker zu bewirtschaften, mussten sie Zwangsarbeit auf den Fincas der Kolonialherren leisten.

In den folgenden Jahren herrschten vorwiegend Militärdiktatoren in Guatemala, mit Ausnahme des sogenannten »demokratischen Frühlings« von 1944 bis 1954. In den sechziger Jahren begannen die ersten Aktivitäten von Guerillagruppen, die die Bevölkerung zum bewaffneten Widerstand aufriefen. Die Armee reagierte mit brutalen Maßnahmen, unter denen vor allem die Mayabevölkerung litt. Während der Regierungszeiten der Generäle Lucas García und Rios Montt starben Zehntausende Mayas in Massakern der Armee.

Seither hat sich die Gesellschaft zunehmend geöffnet für die Anliegen der indigenen Bevölkerung. Doch die meisten Maya leben noch immer weitgehend ausgeschlossen von der politischen und wirtschaftlichen Macht. bou




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