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Gemeinden wollen gehört werden

Bischof Álvaro Ramazzini über umstrittene Bergbauprojekte in Guatemala *


Bischof Álvaro Ramazzini ist 65 Jahre alt und seit 16 Monaten in Huehuetenango tätig. Der Kirchenmann gilt als Vertreter der Kirche an der Seite der Armen, hat immer wieder die Landverteilung in Guatemala zum Thema gemacht und erst kürzlich in einem Wasserkonflikt zwischen Regierung, Unternehmen und der Bevölkerung vermittelt. Mit ihm sprach Knut Henkel.


Bischof Ramazzini, ist es ungewöhnlich, dass ein Präsident nach Huehuetenango kommt, um mit den Bewohnern einer Stadt zu sprechen, die sich nicht gehört fühlt?

Ja, das ist etwas Neues in Guatemala. Zugleich zeigt es, wie konfliktreich die Situation in der kleinen Stadt Santa Cruz Barillas ist. Die Regierung hat allerdings auch ein Moratorium für neue Bergbaukonzessionen im August des Jahres verhängt.

Ein Schritt in die richtige Richtung, um wieder glaubwürdiger in den Gemeinden zu werden?

Es ist keine verbindliche Entscheidung, sondern eine Bitte der Regierung an das Parlament des Landes für den Zeitraum von zwei Jahren. Wenn in diesem Zeitraum das Bergbaugesetz novelliert wird, ist das Moratorium hinfällig. Das ist ein Unterschied, und so kann es sein, dass ein neues Gesetz das Moratorium schnell gegenstandslos macht. Der andere Punkt ist, dass das Moratorium nur in die Zukunft reicht, für aktuelle Konflikte gilt es somit nicht. Das ist ein weiteres Problem, denn wir haben es heute bereits mit zahlreichen Konflikten im Bergbausektor zu tun.

Sie hätten es lieber gesehen, wenn alle Projekte neu verhandelt worden wären ...?

Ja, denn es gibt eine ganze Reihe von offenen Konflikten, wo eine Neuverhandlung durchaus wünschenswert wäre.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft angesichts der steigenden Zahl von Bergbau- und Umweltkonflikten?

Guatemala braucht mehr Partizipation der Kommunen, und ein erster Schritt wäre es, wenn die Abgeordneten aus den Regionen auch wirklich die Wünsche der Mehrheit in den Kommunen vertreten würden. Dazu gehört es auch, die Konvention 169 über die »Rechte der indigenen Völker« zu beachten und zu befolgen, sowie die Umweltfolgen genau und rigoros zu untersuchen. Das ist oft nicht der Fall, denn der Bergbau bringt immer Schäden mit sich. Warum ist es in Guatemala nach wie vor gestattet, Zyanide einzusetzen, aber in Europa nicht? Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass es nötig ist, die Bergbauabgaben zu erhöhen – auf ein Niveau von 46 oder 50 Prozent. Das Land muss auch etwas vom Bergbau haben.

80 Kilometer von Huehuetenango entfernt liegt Santa Cruz Barillas, und dort gibt es einen handfesten Konflikt um das Wasser – wie denken Sie über den Fall?

In Santa Cruz Barillas will ein spanisches Unternehmen die dortigen Wasserfälle nutzen, und die lokale Bevölkerung befürchtet eine Einschränkung ihres Zugangs zum Wasser. Grundproblem ist, dass das spanische Unternehmen nie ihr Projekt vorgestellt und einfach mit der Arbeit begonnen hat – von vornherein unter dem Schutz einer aggressiv auftretenden Wachmannschaft. Das hat für wenig Begeisterung in der Kommune gesorgt, und ich denke, dass bei derartigen Projekten es immens wichtig ist, die Leute vorher zu informieren. Das war nicht der Fall, und bis heute wissen die Leute de facto nicht, was sie von der Investition des spanischen Unternehmens haben. Das ist ein entscheidender Punkt – wo partizipiert die lokale Gemeinde? Es geht nicht um die Schule oder den Kindergarten, der wie ein Almosen gespendet wird, sondern um verbindliche langfristige Zusagen.

Wasser ist in vielen Regionen Guatemalas knapp – fehlt es an Regularien zur Nutzung?

Ja, wir brauchen klare Vorgaben für die Nutzung des Wassers. Die Unternehmen nehmen sich, was sie kriegen können, bohren Brunnen und niemand fragt, was mit den lokalen Bedürfnissen ist. Da gibt es ein Ungleichgewicht.

Ist dafür nicht der Staat verantwortlich – für die Implementierung der Rahmenkoordinaten?

Wir leben nach einem ökonomischen Modell, welches darauf abzielt, das Gros des Kapitals in den Händen weniger zu konzentrieren. Die ausländischen Unternehmen kommen schließlich nicht nach Guatemala, um hier Gutes zu tun, sondern um Geld zu verdienen, ihr Kapital zu vervielfachen, wenn möglich. Guatemala kommt ihnen dabei weit entgegen, doch nun gibt es immer mehr Widerstand auf lokaler Ebene. Heute wollen Gemeinden wie Santa Cruz Barillas wissen, was sie von einer Investition in ihrer Gemeinde haben. Es reicht nicht mehr, wenn einige Golddukaten in den staatlichen Haushalt fallen. Die Gemeinden wollen gehört werden und an den Profiten partizipieren, um der Armut zu entkommen.

Gibt es politische Parteien oder Bewegungen, die dem Rechnung tragen?

Nein, derzeit nicht, die Parteien der Linken haben kaum Einfluss. Sie müssen sich reorganisieren, etwas für ihre Glaubwürdigkeit tun. Zudem orientiert man sich in Guatemala sehr stark am neoliberalen Modell.

Warum ist die Situation in Santa Cruz Barillas so verfahren?

Es gibt kaum Vertrauen zwischen Unternehmen, Regierung und Gemeinde, und es gibt viele Bewohner, die für den Abzug des Unternehmens votieren. Ein Übriges hat die lokale Regierung getan, weil sie den Widerstand gegen das Unternehmen kriminalisiert haben. Vorhin habe ich gerade den Anruf eines Anwalts erhalten, der mir berichtete, dass es einen Haftbefehl gegen einen der Anführer des Widerstands gibt. Das reduziert sicherlich nicht das Konfliktniveau.

Wie kommen die Haftbefehle zustande?

Oft auf Basis der Aussagen von Arbeitern – nicht sonderlich glaubwürdig. Das ist ein Problem unserer Justiz.

Welche Bedeutung hat ein Ort wie Santa Cruz Barillas auf nationaler Ebene?

Das ist schwierig zu sagen, aber die Haltung der Gemeinde hat Folgen. Grundsätzlich fehlt ein Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Konvention 169 über die »Rechte der indigenen Völker« auch angewandt wird. Es fehlt ein verbindliches gesetzliches Prozedere, und das würde auch den Gemeinden das Gefühl geben, ernst genommen zu werden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Januar 2013


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