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Kampf ums Wasser

Guatemala: Indigener Widerstand gegen industrielle Großprojekte. Die Auffassungen über Fortschritt und Entwicklung stehen sich unversöhnlich gegenüber

Von Andreas Boueke, Guatemala-Stadt *

Seit 1993 ist der 22. März Weltwassertag. Er wurde in der Agenda 21 der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (­UNCED) in Rio de Janeiro vorgeschlagen und von der UN-Generalversammlung in einer Resolution am 22. Dezember 1992 beschlossen.

Noch ist der Boden so trocken, daß jeder Schritt Staub aufwirbelt. Im Hochland von Guatemala sind zwei junge Frauen aus dem Maya-Volk der Kaqchikel unterwegs auf einem schmalen Pfad. Ab und zu überqueren sie kleine Wasserläufe, in deren Umgebung Leute mit Spaten und Hacken die Erde umgraben, um Mais und Bohnen anzupflanzen. Doch die Trockenzeit geht zu Ende. Bald kommt der Regen. Dann wird der Staub zu Schlamm und die Äcker werden fruchtbar.

Der Weg führt steil bergauf. Enma Cató und Rosario sind außer Atem. Aber die Anstrengung tue dem Körper gut, sagt Rosario. »Außerdem ist so ein Marsch wie Nahrung für die Seele.«

Nach einer Stunde Fußmarsch erreichen die beiden Freundinnen eine Lichtung, auf der sich über hundert Personen versammelt haben. Sie sind aus den Dörfern und Weilern der Umgebung gekommen, um der Natur für das Wasser zu danken. Kinder spielen auf einer Wiese, bis ein Dorfältester um ihre Aufmerksamkeit bittet. In seiner Muttersprache Kaqchikel erinnert er daran, daß das Wasser die Blumen blühen und Obst und Gemüse wachsen läßt. Wasser schenkt Leben. Enma Cató fühlt sich wohl in dieser Gemeinschaft. »Dies ist eine Art Danksagung an die Mutter Erde«, erklärt sie. »Wir verstehen unsere natürliche Umwelt als Teil unseres Lebens. Dies ist die Entwicklung, die wir wollen. Sie ist anders als die Entwicklung, die uns die Regierung vorschreiben will. Wir haben unsere eigenen Bräuche, bei denen die ganze Gemeinde einbezogen wird. Die Kinder sollen durch den Wald rennen können, Spaß haben. Aber für diese Dinge interessieren sich viele Leute nicht. Sie haben eine völlig andere Vorstellung von Entwicklung. Ihnen geht es vor allem darum, ein neues Auto zu kaufen, um Konsum.«

»Unsere Art zu leben«

Etwas abseits, im Schatten eines großen Laubbaums, stehen vier junge Musiker und warten auf ihren Einsatz. Während der Zeremonie spielt das Quartett immer wieder traditionelle Melodien der Mayas. Omar Kilas Instrument ist die Flöte. »Wir spielen die Musik unserer Vorfahren«, sagt Omar. »Es sind zeremonielle Rhythmen, mit denen wir der Natur danken. Wenn ich in meinem Leben einen anderen Weg gegangen wäre, hätte ich mich bestimmt schon in oberflächlichen Dingen verloren. Natürlich könnte ich mir einfach eine CD kaufen und sie zu Hause hören. Aber welchen Wert hätte das? Unsere Musik ist anders. Sie läßt uns spüren, daß wir zusammengehören mit unseren Brüdern, den Bäumen, mit unseren Brüdern, den Vögeln, mit dem Wasser. Das ist unsere Art zu leben.«

Der 22jährige Omar Kila kennt Enma Cató seit ihrer gemeinsamen Kindheit. »Sie ist eine besondere Frau, eine Anführerin der Maya-Bewegung, der Jugend und der Bauern. Die Welt ändert sich, wenn Frauen den Menschen einen neuen Weg zeigen. Deshalb bin ich froh, daß es Frauen wie Enma gibt, die vorangehen. Sie gibt uns die Richtung vor.«

Enma ist Vorstandsmitglied von MOJOMAYAS, eine Jugendorganisation, die sich ursprünglich am Protest der Maya-Bevölkerung gegen den obligatorischen Militärdienst und gegen die Politik der Zwangsrekrutierung durch die guatemaltekische Armee beteiligt hat. Diese Ziele wurden erreicht. Heute gibt es in Guatemala sogar einen staatlich geförderten zivilen Friedensdienst. Deshalb haben sich die Mitglieder von MOJOMAYAS neue Themenfelder gesucht. Sie beteiligen sich am Widerstand lokaler Maya-Gemeinden gegen wirtschaftliche Großprojekte, die ihre Umwelt zerstören und ihre Wasservorräte gefährden, zum Beispiel Kraftwerke oder Goldminen. Enma Cató glaubt nicht, daß solche Projekte der Bevölkerung Fortschritt und Entwicklung bringen. Sie orientiert sich lieber an den traditionellen Werten der Maya-Kultur: »Das Wasser schenkt uns Leben und Nahrung. Es ist wichtig, die Bräuche unseres Volkes zu bewahren, das harmonische Zusammenleben mit der Natur. Manchmal setze ich mich neben einen Baum und erzähle ihm, wie es mir geht. Niemand sonst erfährt davon. Das hilft mir, mich besser zu fühlen. Manche Leute meinen, so ein Verhalten sei rückständig und unterentwickelt. Aber unsere Kultur ist nicht unterentwickelt. Die Rückschritte in der Entwicklung kommen von außen. Zur Zeit erleben wir wieder eine Epoche der Invasion. Fremde Konzerne wollen Geschäfte mit unserem Wasser machen. Wir müssen unsere Umwelt vor den ausländischen Firmen schützen. Wir wollen nicht, daß sie in unsere Gebiete eindringen.«

Die Menschen, die sich auf der Lichtung versammelt haben, kommen aus den Dörfern der Umgebung. Sie leben in kleinen Holzhütten mit Dächern aus Wellblech oder Stroh und Schilf. Viele haben keinen Strom oder Wasseranschluß. Sauberes Wasser in natürlichen Wasserläufen ist eine Grundvoraussetzung ihres Lebens und ihrer Gesundheit. Wenn ein Familienmitglied krank wird, suchen sie meist nicht einen Arzt auf, sondern rufen einen Maya-Priester, um eine Zeremonie durchzuführen, die das spirituelle Gleichgewicht im Umfeld des Kranken wiederherstellen soll. Solche Zeremonien finde häufig an besonderen Orten wie dieser Wasserquelle statt.

Einige Tage später auf der wichtigsten Einfahrtsstraße im Norden von Guatemala-Stadt. Der Verkehr muß umgeleitet werden. Tausende Demonstranten laufen über den heißen Asphalt der Calle Martí. Einige barfüßig. Viele Kinder tragen alte Baumwollhosen und Hüte aus geflochtenem Stroh. Frauen in handgewebten Trachten halten Plakate mit politischen Parolen hoch: »Die Reichen werden immer reicher. Wir hungern!« Oder: »Ausländische Konzerne stehlen unser Land!«

Eine der Demonstrantinnen ist Enma Cató: »Dies ist eine gewaltfreie Demonstration. Es motiviert mich sehr, so viele Leute zu sehen, obwohl sie in ihren Gemeinden mit existentiellen Problemen zu kämpfen haben. Diesen Kampf werden wir noch lange führen.«

Der Tag ist heiß. Ein Eisverkäufer bahnt sich seinen Weg durch die protestierende Menge. Für ihn bedeutet eine solche Massenkundgebung ein gutes Geschäft. Aber Enma gönnt sich kein Eis. Das kann sie sich nicht leisten. »Trotz des Elends, das wir ertragen, bin ich froh über mein Leben. Die Armut kann ich akzeptieren, und es gefällt mir, am Kampf um die Anerkennung unserer Rechte beteiligt zu sein. Wir kämpfen für die Kinder, die heute heranwachsen und für die kommenden Generationen, die noch nicht geboren wurden.«

Der Protestzug in Guatemala-Stadt hat das historische Zentrum erreicht. Tausende Demonstranten haben sich vor dem Kongreßsgebäude versammelt, um ihren Petitionen Nachdruck zu verleihen. Die junge Generation der Mayas will nicht nur gegen das ökonomische Modell protestieren, das ihr die Regierung und ausländische Firmen aufzwingen wollen. Frauen wie Enma Cató haben ihre eigene Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung: »Wir hoffen, daß es uns eines Tages gelingt, das Utz’K’aslemal zu erreichen, das gute Leben, ein Leben, das unseren Vorstellungen von Entwicklung entspricht. Ein Leben in Harmonie mit der Natur. Das Modell, in das uns der Staat zwingen will, lehnen wir ab. Wir wollen keine Entwicklung durch Großprojekte, deren Profite ins Ausland fließen.«

Anfang März erschien von Andreas Boueke: Guatemala, Recherchen auf heißem Pflaster. Horlemann Verlag, Berlin 2013, 335 Seiten, 16,90 Euro

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. März 2013


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