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Guatemala wählt

Regierungsparteien ohne Bewerber um Präsidentenamt

Von Andreas Knobloch *

Bereits am Sonntag (11. Sept.) könnte die längste Periode in Guatemalas Geschichte ohne einen Militär an der Spitze des Staates – 26 Jahre seit Ende der Militärdiktatur 1985 – wieder zu Ende gehen. Alle Umfragen deuten auf einen haushohen Triumph von Exgeneral Otto Pérez Molina. Sogar ein Sieg des 60jährigen von der rechten Patriotischen Partei (PP) im ersten Wahlgang erscheint nicht unwahrscheinlich. Dafür benötigt er mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Gelingt dies nicht, würde ein zweiter Wahlgang am 6. November stattfinden. Chancen, ebenfalls in die Stichwahl zu kommen, können sich von den zehn Präsidentschaftskandidaten – unter ihnen auch Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú – nur der in der Schweiz geborene Wissenschaftler Eduardo Suger von der rechtsliberalen Partei Verpflichtung, Erneuerung und Ordnung (CREO) sowie der neureiche Populist Manuel Baldizón von der Partei Erneuerte Demokratische Freiheit (LIDER) machen.

Die regierende Koalition aus Nationaler Einheit der Hoffnung (UNE) und Großer Nationaler Allianz (GANA) steht sogar ohne Bewerber da. Es ist das erste Mal in der Geschichte Guatemalas, daß die Regierung keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt. Schuld ist der spektakulär gescheiterte Versuch von Präsident Álvaro Colom und seiner Gattin Sandra Torres Casanova, sie zur Kandidatin zu küren. Artikel 186 verbietet Familienangehörigen von Präsidenten, sich um die Nachfolge zu bewerben. Also ließ sich das Präsidentenehepaar kurzerhand scheiden. Sie habe eine glückliche achtjährige Ehe geopfert, um das Volk zu heiraten, so Torres. Ihre Anwälte erklärten es zu ihrem »Menschenrecht«, zu wählen und gewählt zu werden. Das Verfassungsgericht aber sah das anders und durchkreuzte ihre Ambitionen schließlich in einer einstimmigen Entscheidung. Ihre Kandidatur wurde abgewiesen.

Die Farce um die präsidiale Scheidung bestimmte die Schlagzeilen und lenkte von dringenderen Themen ab. Bis Ende Juni gab es allein 35 politische Morde. Nichts Neues im Wahlkampf. Parteien spielen bei den Wahlen nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind in erster Linie Wahlvereine, in denen die Kandidaten ihre Anhänger versammeln. Und so gut wie alle Parteien sind vom organisierten Verbrechen unterwandert. Die Straflosigkeit für Gewaltverbrechen liegt in Guatemala bei 99,75 Prozent, und die Mordrate wird in der Region nur von Honduras und El Salvador übertroffen.

Angesichts dieser Verhältnisse sammelt der ehemalige General Pérez Molina mit seiner Law-and-order-Rhetorik Punkte. Dabei ist seine Biographie alles andere als sauber. Während des Bürgerkrieges war seine Einheit für mehrere Massaker verantwortlich, später wurde er Chef des berüchtigten militärischen Geheimdienstes. Aber er unterzeichnete auch als einziger Offizier 1996 die Friedensverträge mit der Guerilla, weshalb er sich heute gern als »General des Friedens« tituliert. Einen Frieden, den er mit harter Hand durchsetzen will, wenn er Präsident wird: »Hundert Prozent Rechtsstaat und null Prozent Straflosigkeit«, kündigte er im Zuge des Wahlkampfs an.

* Aus: junge Welt, 10. September 2011


Rechtsruck in Guatemala

Drei rechte Kandidaten machen die Präsidentschaft unter sich aus

Von Oliver Lüthi, San José **


Am morgigen Sonntag (11. Sept.) finden in Guatemala Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Am Urnengang wird mit dem Frente Amplio erstmals auch ein vereinigtes Linksbündnis teilnehmen. Doch die Chancen sind gering. Der Nachfolger von Álvaro Colom kommt aus der Rechten. Otto Pérez gilt als klarer Favorit. Der ehemalige Offizier liegt in allen Umfragen weit vor seinen Rivalen. Die Regierungsbilanz des aktuellen Amtsinhabers Álvaro Colom fällt derweil bescheiden aus.

Als »grandios und erfolgreich« hat Otto Pérez auf einer Abschlussveranstaltung die Wahlkampagne seiner rechtsgerichteten Patriotischen Partei (PP) bezeichnet. »Zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas hat eine Partei die Möglichkeit, die Präsidentschaft im ersten Wahlgang zu erringen«, so der Kandidat der orangenfarbigen »Patriotas«.

Auch wenn es Pérez nicht gelingen dürfte, Geschichte zu schreiben und das höchste Amt im Staat bereits am kommenden Sonntag zu erringen, geht er doch als eindeutiger Favorit in den anstehenden Urnengang. Zwischen 44 und 49 Prozent Wählerstimmen prognostizieren ihm die verschiedenen Umfrageinstitute voraus. Seine beiden ärgsten Wahlkonkurrenten Manuel Baldizón und Eduardo Suger kommen auf 18 respektive lediglich 11 Prozent der Stimmen.

Pérez hat während seines Wahlkampfs einen betont neoliberalen Kurs gefahren. Der Wahlfavorit will mehr ausländische Direktinvestitionen ins Land holen, die dominierende Freihandelspolitik ausbauen und Guatemala zu einem Exportland machen. Seine Positionen haben Pérez zum bevorzugten Kandidaten der wirtschaftlichen Elite des Landes gemacht. Hiervon zeugen die mehr als 18 Millionen Dollar, welche die PP bisher in ihren Wahlkampf gesteckt hat.

Gleichzeitig vertritt Pérez ein Programm der Null-Toleranz im Bereich Sicherheit. Mit zusätzlichen Spezialeinheiten in der Armee will er die Drogenmafia bekämpfen und Bandenkriminelle sollen mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden. Baldizón und Suger haben in den letzten Wochen vergeblich versucht, die Wahlversprechen von Pérez anzuzweifeln. In Tat und Wahrheit unterscheiden sich die Positionen der beiden Herausforderer kaum von denjenigen des Wahlfavoriten. Insbesondere Baldizón positioniert sich noch weiter rechts als Pérez. Gemäß Eigendarstellung den Werten des Humanismus verpflichtet, ist dieser ein bekennender Befürworter der Todesstrafe.

Den Wahlambitionen von Pérez nicht gefährlich werden konnten bisher auch die Vorwürfe von zivilgesellschaftlichen Organisationen wegen dessen angeblichen Menschenrechtsverletzungen während des guatemaltekischen Bürgerkriegs. Pérez war zu Beginn der 80er Jahre Militärkommandant im Hochlanddepartamento Quiché, bevor er sich 1983 am Sturz von General Ríos Montt beteiligte. Die in Quiché verübten Massaker unter der Schreckensherrschaft von Ríos Montt gehörten zu den schlimmsten während des 36 Jahre (1960-1996) dauernden internen Konflikts, der rund 200 000 Menschenleben gefordert hat.

Der massive Rechtsdiskurs der dominierenden Parteien und die unklare Vergangenheit von Pérez scheinen eigentlich Raum zu lassen für Parteien vom linken Spektrum. Außerdem konnte sich die Linke zum ersten Mal seit dem Bürgerkrieg auf eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatin einigen. Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú wird am Sonntag für das Parteienbündnis Frente Amplio (Breite Front) zu den Wahlen antreten. Die Allianz strebt eine Stärkung der Position der indigenen Bevölkerung und einen radikalen Kurswechsel im Zusammenhang mit der Nutzung von Naturschätzen an. Die Breite Front kommt allerdings in Wahlumfragen auf lediglich drei Prozent der Stimmen.

So dürfte der rechte Hardliner Otto Pérez im Januar den aktuellen Präsidenten Álvaro Colom im höchsten Amt des Staates beerben. Dessen Ex-Frau Sandra Torres war die ärgste Widersacherin von Pérez, bis sie durch das Oberste Wahlgericht vom Urnengang ausgeschlossen wurde. Die Richter warfen Torres Verstoß gegen die Verfassung und Rechtsmissbrauch vor, weil Torres sich von ihrem Mann taktisch scheiden ließ, um am bevorstehenden Wahlgang teilzunehmen, was einer Ehefrau eines Präsidenten von der Verfassung untersagt ist.

Colom seinerseits wird wohl so in die Geschichtsbücher eingehen, wie er von politischen Beobachtern bereits vor seiner Wahl eingeschätzt wurde: als schwacher Präsident. Er hat es während seiner Amtszeit nicht verstanden, die drängenden sozialen Probleme Guatemalas zu lösen. Die Armutsquote ist nach wie vor eine der höchsten in ganz Lateinamerika, unanständigster Reichtum lebt weiterhin Tür an Tür mit bitterster Armut und immer noch sterben im Land Leute an Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung. Colom hat zumindest rhetorisch erst mehr Entschlossenheit gezeigt, als für seine Ex-Frau Sandra Torres die vorentscheidende Wahlkampfphase begann. Niemand hat ihm das abgenommen und die Umfragewerte von Torres gingen in der Folge laufend zurück. Es hätte nicht des Entscheids des Obersten Wahlgerichts bedurft, um Otto Pérez den Weg zum Wahlsieg zu ebnen. Dies spricht über die Verdienste und das Ansehen von Colom Bände.

** Aus: Neues Deutschland, 10. September 2011


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