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Keine Gerechtigkeit für Pepe

Familie Méndez kämpft gegen Straflosigkeit in Guatemala

Von Andreas Boueke, Guatemala-Stadt *

Der guatemaltekische Menschenrechtsaktivist Amílcar Méndez versucht, die Hintergründe eines Verbrechens aufzuklären. Vor zwei Jahren, am 17. August 2007, wurde sein Sohn Pepe ermordet, als eines der vielen Opfer des organisierten Verbrechens in Guatemala. »An dieser Stelle starb Pepe«, sagt Amílcar Méndez in Reportermikrofone und Kameras. »Wir werden heute eine Gedenktafel befestigen, um an das Leben meines Sohnes zu erinnern, nicht an seinen Tod.«

Freunde der Familie Méndez, Angehörige und Menschenrechtler sind zusammengekommen, um gegen die Gewalt im Land zu protestieren. In Guatemala wurden in diesem Jahr täglich 17 Menschen ermordet. Viele sind Opfer des organisierten Verbrechens.

Pepes ältere Schwester Rocio ist eine reservierte junge Frau. »Es war eine schwere Zeit für uns. Sie haben uns einen geliebten Menschen genommen, skrupellos und ohne Strafe. Wir wissen natürlich, dass auch unser Leben in Gefahr ist, solange wir Gerechtigkeit verlangen. Aber die ganze Familie unterstützt meinen Vater in seinem Kampf. Er soll uns so weit bringen, wie unsere Kräfte reichen.«

Keine 200 Meter vom Tatort entfernt liegt das Hauptgebäude des Flughafens von Guatemala-Stadt. Kollegen berichten, kurz vor Pepes Tod habe der damalige Flughafendirektor Pepe entlassen wollen. Der Mitarbeiter der Flugsicherheit hatte einem Piloten auf Grund technischer Kriterien eine nächtliche Starterlaubnis verweigert. Es stellte sich heraus, dass das Flugzeug einem Freund des Direktors gehörte. Es startete dennoch, mitten in der Nacht, ohne Erlaubnis aus dem Kontrollturm und ohne die vorgeschriebene Frachtkontrolle. Weil Pepe nachwies, dass er vorschriftsmäßig gehandelt hatte, blieb seine Entlassung ungültig. Wenig später war er tot.

Der ehemalige Flughafendirektor Moreno Botrán ist Mitglied einer der reichsten und mächtigsten Familien des Landes. Mehrere Personen in seinem Umfeld werden verdächtigt, mit kolumbianischen Drogenkartellen in Verbindung zu stehen. Sein Anwalt wurde vor wenigen Monaten von einem Killerkommando hingerichtet. Die Polizei vermutet einen Streit zwischen Drogenbanden. Auch über Pepes früheren direkten Vorgesetzten gibt es stapelweise Akten, die ihn mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringen. Das weiß auch der neue Flughafendirektor. »Dieser Mann arbeitet nicht mehr hier. Ich habe ihn entlassen, weil er unter Verdacht steht.«

Viele Details über illegale Aktivitäten auf dem Flughafen sind bekannt, doch zu einer unabhängigen Untersuchung kommt es nahezu nie. Der neue Direktor behauptet, er wolle das ändern. »Früher gab es Leute auf dem Flughafen, die sich an Drogenschmuggel, Menschenhandel und anderen Straftaten beteiligt haben. Wir versuchen jetzt, die Kontrolle zu übernehmen. Natürlich macht mir das Angst. Es ist ein Horror. Ich muss immer aufpassen. Ich habe mich in Gottes Hände gegeben.«

Wer in Guatemala etwas gegen das organisierte Verbrechen unternimmt, lebt in Angst. Auch Pepes Familie. Seine kleine Schwester Ana Maria wurde kürzlich am Telefon bedroht: »Sie fragten nach meinem Vater und schrien mich an. Sie sagten mir, sie seien vor unserem Haus. ›Gleich wird es klingeln. Wir sind bewaffnet und wollen deinen Vater.‹ Fünf Minuten später haben sie heftig gegen die Haustür getreten. Ich habe die Polizei gerufen, aber niemand ist gekommen.«

Die Polizei in Guatemala ist ohnehin miserabel ausgestattet. Die Staatsanwaltschaft auch. Und viele Staatsanwälte halten die Oberschicht für unantastbar. Der bis vor Kurzem für den Mord an Pepe zuständige Ermittler Héctor Canastuj weigerte sich beharrlich, den ehemaligen Direktor des Flughafens oder seine Vertrauten auch nur zum Gespräch vorzuladen.

Guatemala gilt als Umschlagstation für Kokain aus Kolumbien. Im Fall Pepe gibt es zahlreiche Hinweise, die in Richtung der Kokainmafia deuten. Doch Héctor Canastuj ignoriert sie. Fast zwei sind Jahre vergangen, ohne dass die Staatsanwaltschaft die Dokumente verdächtiger Flüge geprüft hätte, die zu Konflikten zwischen Pepe und seinen Vorgesetzten geführt haben. Amílcar Méndez ist frustriert: »Sie haben nichts getan, um die Hintermänner des Mordes zu identifizieren, die Auftraggeber und die Geldgeber.«

Dank Amílcars Hartnäckigkeit wurde immerhin der Tatverdächtige Omar Gudiel als Mörder verurteilt. Dazu kommt es in Guatemala in weniger als einem von hundert Mordfällen. Doch Ermittler Canastuj muss gestehen, dass der Mörder in einer ausgesprochen privilegierten Haftsituation lebt. »Er hat ein Einzelzimmer, und in einem Raum nebenan steht ein Laptop, den er benutzt.«

Pepes Schwester Rocio ist sicher, dass der junge Mann einen Auftrag ausgeführt hat: »Es ist offensichtlich, dass er von einflussreichen Leuten finanziell unterstützt wird. Womöglich waren diese Leute sogar daran interessiert, dass er schuldig gesprochen wurde. Es könnte sein, dass er die Rolle des Sündenbocks übernommen hat.« Nicht ein einziger wichtiger Boss der Drogenkartelle sitzt in Guatemala im Gefängnis, obwohl einige Namen sogar in den Medien genannt werden. Doch die Betroffenen pflegen beste Beziehungen zu Polizei, Justiz und Regierung. Sie bleiben straflos, egal wie viele Morde sie in Auftrag geben.

Pepes Mutter Miriam glaubt nicht, dass sie eines Tages noch einmal glücklich sein wird. »Mein Glaube ist gebröckelt. Ich habe keine Pläne mehr. Ich will nur noch überleben, um mit den letzten Kräften, die mir bleiben, meinen Enkeln Wärme zu geben.«

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009


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