Guatemala stellt sich seiner Vergangenheit
Justiz geht gegen Schergen der Diktatur vor, selbst Ex-Diktator Ríos Montt steht vor Gericht
Von Oliver Lüthi, San José *
Die Eröffnung eines juristischen Verfahrens
gegen den ehemaligen Juntachef
Efraín Ríos Montt markiert einen
neuen Höhepunkt in der Vergangenheitsbewältigung
Guatemalas
Besser spät als nie. Der 85-jährige
Ex-Diktator Efraín Ríos Montt
muss sich derzeit in Guatemala vor
Gericht für die Verbrechen verantworten,
die in seiner ebenso
kurzen (82-83) wie blutigen Amtszeit
veranstaltet wurden. Im Zuge
der Aufklärung der Bürgerkriegsverbrechen
könnte auch der amtierende
Präsident Otto Pérez Molina,
ein ehemaliger General, in die
Bedrängnis geraten.
Montt werden die Ermordung
und Vertreibung Tausender von
Menschen vorgeworfen. Das zuständige
Gericht bewertete die Beweise
der Staatsanwaltschaft als
ausreichend und stellte den alternden
Ex-General unter Hausarrest.
Seither bewachen Polizeipatrouillen
dessen Wohnsitz in Guatemala-
Stadt.
Mit der Verfahrenseröffnung
gegen Ríos Montt hat die Vergangenheitsbewältigung
in Guatemala
eine neue Stufe erreicht. Der ehemalige
Juntachef ist Sinnbild der in
Guatemala während des 36-jährigen
Bürgerkriegs begangenen
Verbrechen. Die nach Kriegsende
eingesetzte UNO-Kommission wies
rund die Hälfte aller Kriegsverbrechen
der Herrschaftszeit Ríos
Montts zu. Dank seiner parlamentarischen
Immunität, die erst am
14. Januar dieses Jahres endete,
hatte sich der ehemalige Staatschef
in den vergangenen Jahren den
Fängen der Justiz entziehen können.
Die Verfahrenseröffnung gegen
Ríos Montt konnte nach den
Ereignissen in den zurückliegenden
Monaten erwartet werden.
Bereits im vergangenen Oktober
mussten der ehemalige Putschgeneral
Oscar Mejía, der frühere
Verteidigungsminister Luis Mendoza
und der ehemalige Geheimdienstchef
Mauricio Rodríguez vor
Gericht erscheinen. Das Verfahren
gegen Mejía, welcher 1983 mit
Unterstützung des aktuellen Präsidenten
Otto Pérez Ríos Montt von
der Macht geputscht hatte, wurde
allerdings inzwischen wegen des
schlechten Gesundheitszustandes
des 71-Jährigen vorläufig einstellt.
Opferorganisationen bezeichneten
die Verfahrenseröffnung gegen
Ríos Montt als »mutig« und als
Schritt in die richtige Richtung.
Gleichzeitig verwiesen sie aber
auch auf die Notwendigkeit, die
Vergangenheit umfassend aufzuarbeiten
und auch die Beteiligung
anderer ehemaliger staatlicher
Entscheidungsträger an den
Kriegsverbrechen zu untersuchen.
Damit rückt auch die Rolle von
Präsident Otto Pérez wieder ins
Zentrum der Aufmerksamkeit. Pérez
war zu Beginn der 80er-Jahre
Militärchef im Hochlanddepartamento
Quiché, wo der Bürgerkrieg
besonders heftig tobte und Hunderte
von Massakern an der vorwiegend
indianischen Bevölkerung
verübt wurden. Während seines
Wahlkampfs hatte Pérez stets beschritten,
dass in Guatemala ein
Völkermord verübt worden sei.
Allerdings muss der Präsident im
Zuge der verstärkten Vergangenheitsbewältigung
damit rechnen,
dass sich die Beweislast irgendwann
auch gegen ihn kehren wird.
* Aus: neues deutschland, 4. Februar 2012
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