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Mysteriöses Massaker in Guatemala

Täterschaft unklar: Drogenbanden oder Paramilitärs

Von Samuel Weber *

Guatemala hat eine der höchsten Mordraten in Lateinamerika. Erst vor wenigen Tagen fielen elf Menschen einem Massaker zum Opfer. Die Behörden machen Drogenbanden dafür verantwortlich, Menschenrechtsgruppen sehen darin einen Einschüchterungsversuch der Bergbaugegner.

Am tödlichen Überfall gibt es keine Zweifel, an der Urheberschaft schon. Oscar Gálvez ist Sprecher der guatemaltekischen Menschenrechtsorganisation Waqib' Kej. Die Organisation steht in engem Kontakt zu den Menschen in Kaqchikel de San José Nacahuil im Landkreis San Pedro Ayampuc. Dort wurden Samstagnacht vor einer Woche elf Menschen von maskierten Tätern massakriert, die laut Augenzeugen wahllos um sich schossen. Der Zwischenfall ereignete sich kurz nachdem eine Patrouille der Polizei das Dorf passierte hatte.

Gegenüber »nd« bestätigt Gálvez den Vorfall. Allerdings äußerte er Zweifel an der Version der Regierung. So sei das Auftauchen der Polizei in dieser Gemeinde an sich etwas Ungewöhnliches. Denn seit Jahren sorgen die Einwohner selbst mit einer eigenen Gemeindepolizei für Sicherheit. Dieses Modell funktioniere sehr gut. Kriminalität komme praktisch nicht vor. Folglich könne die Regierung nicht einfach behaupten, das Verbrechen wäre durch Drogenbanden verübt worden.

Hingegen vermutet der Sprecher einen Zusammenhang mit dem Widerstand der Dorfbewohner gegen ein nahe gelegenes Minenprojekt. Mit Sicherheit könne man das jedoch noch nicht sagen, da die Untersuchungen andauern. Kaqchikel wehrt sich seit 2005 erfolgreich gegen den Abbau von Gold in der Mine »El Tambor«. Die Bewohner befürchten massive Umweltverschmutzungen sowie die Zunahme sozialer Probleme durch den Bergbau.

Nach dem jüngsten Vorfall sind die Menschen zunehmend besorgt. Denn seit einiger Zeit kommt es im Zusammenhang mit Großprojekten auch in anderen Landesteilen immer wieder zu Übergriffen. Laut Waqib' Kej versuchen die Betreibergesellschaften gezielt, Konflikte zu provozieren. Hinter zahlreichen Gewalttaten stünde demnach das Sicherheitspersonal der Konzerne selbst. In Monte Olivo, bekannt durch den Widerstand gegen ein Staudammprojekt, wurden vor wenigen Wochen die Kinder eines Gemeindevorstehers von Auftragsmördern umgebracht.

Die Regierung gibt vor, Gemeinden gegen Gewalt schützen zu wollen. Doch paradoxerweise geschieht das Gegenteil. Es wird beklagt, dass nach solchen Vorfällen die betroffenen Landkreise regelmäßig von einem massiven Aufgebot der Polizei und des Militärs besetzt werden. Unter dem Vorwand, die Dorfbewohner seien Drogenhändler oder Terroristen, wird der Ausnahmezustand verhängt. Sicherheitskräfte verhaften und misshandeln willkürlich Aktivisten. Ziel dieses Vorgehens sei die Zerschlagung des sozialen Protests, so Waqib' Kej.

Aufgrund dieser Erfahrungen lehnt die Gemeinde Kaqchikel jegliche Militarisierung ab. Stattdessen wird die Regierung aufgefordert, das jüngste Massaker aufzuklären. Die internationale Gemeinschaft wird gebeten, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Für Gálvez muss die Botschaft lauten: »Die Zeiten des bewaffneten Konfliktes und der Repression in Guatemala sind vorbei und die dunkle Vergangenheit darf nicht zurückkehren.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. September 2013


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