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"Unser einziges Mittel sind Landbesetzungen"

Gespräch mit Rafael González von der Bauernorganisation CUC über die Präsidentschaftswahlen in Guatemala

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Darion Azzellini mit Rafael González Yoc, Mitglied in der guatemaltekischen Bauernorganisation CUC (Comité de Unidad Campesina), geführt hat. Das Interview erschien in der Wochenendbeilage der "jungen Welt".


Guatemala erlebte vor allem während der achtziger Jahre einen der grausamsten Bürgerkriege Lateinamerikas, bis die Regierung 1996 einen Friedensvertrag mit der Guerilla schloß. Doch die Machthaber hielten sich nicht an die Vereinbarungen. Die Landverteilungen kommen kaum voran, und die Menschenrechtsverletzungen haben beängstigende Ausmaße angenommen. Zu den Präsidentschaftswahlen am 9. November 2003 kandidiert auch der ehemalige Diktator und Hauptverantwortliche für einen Großteil der Kriegsverbrechen, Rios Montt, der ebenfalls der Regierungspartei FRG (Revolutionäre Front Guatemalas) angehört. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß er die Wahlen gewinnt. Seine Basis sind die ehemaligen Paramilitärs, nahezu eine Million Personen.
Kristallisationspunkt fast aller Auseinandersetzungen in Guatemala seit der spanischen Eroberung ist der Landbesitz. Die Zentrierung der guatemaltekischen Wirtschaft auf den Export weniger landwirtschaftlicher Produkte prägt bis heute eine feudalistische soziale Ordnung. Die ländliche indigene Mehrheitsbevölkerung gilt hierbei als Reservoir billiger oder sogar kostenfreier Arbeitskräfte. Durch den Fall des Weltmarktpreises für das guatemaltekische Hauptexportprodukt Kaffee geriet das Land in eine wirtschaftliche und soziale Krise, die zum Erstarken der Kleinbauernbewegung führte.


Frage: Der CUC ist eine der beiden größten Bauernorganisationen Guatemalas und besteht seit mittlerweile fast 30 Jahren. Wie ist sie entstanden, und welche Auseinandersetzungen hat sie durchgemacht?

Rafael González Yoc: Der CUC entstand mitten in Auseinandersetzungen. Wir haben bereits 1974 und 1975 Kämpfe auf Landgütern von Großgrundbesitzern organisiert, dies mündete 1980 schließlich in die größte Bauernbewegung, die Guatemala je gesehen hat. Wir haben damals mehr als 80000 Landarbeiter mobilisiert. So gelang es, die Regierung zu zwingen, über einen Mindestlohn für Landarbeiter zu verhandeln. Das war sehr wichtig und gab dem CUC einen festen Platz in der Geschichte des Landes. Der CUC gewann dadurch sehr viel Glaubwürdigkeit, und die hat er heute noch. Uns gelang es, Großgrundbesitzer und Regierung dazu zu zwingen, einen Mindestlohn einzuführen.

F: Danach aber verschärften sich die Bedingungen im Land weiter. Im Verlauf des Bürgerkrieges wurden insgesamt über 200000 Menschen, Bauern und Oppositionelle – vorwiegend Maya-Ureinwohner –, von Regierungsseite ermordet. Die Repression erreichte ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren, vor allem unter der Diktatur von Rios Montt, der die Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes abschlachten ließ. Wie durchlebte der CUC diese Zeit?

Anfang der achtziger Jahren kämpften wir vorwiegend gegen die Regierungspolitik, so wie wir es heute auch tun. Zu der Zeit hatten wir große organisatorische Erfolge in allen drei Regionen des Landes. Das war eine bedeutende Phase, um im gesamten Land auf die Situation der Bauern aufmerksam zu machen. Um auf die schweren Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, besetzten wir die spanische Botschaft, bei deren Räumung viele Genossen ermordet wurden, darunter auch der Vater von Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum. Als die Bewegung für den Mindestlohn in den achtziger Jahren anwuchs, war das für die Regierung ein Vorwand, brutal gegen die Bauern vorzugehen, vornehmlich gegen den CUC, der 1980 und 1981 die einzige Bauernorganisation war. Die wichtigsten Anführer des CUC wurden entführt und ermordet. 1982 gab es in Guatemala faktisch keine Bauernführer mehr, sie waren entweder tot, ins Exil gegangen oder bei der Guerilla in den Bergen. Der CUC existierte im Land nicht mehr, sondern nur auf internationaler Ebene, etwa in Mexiko, den USA, Kanada oder Nikaragua, von wo aus der CUC über die Situation in Guatemala informierte. Von 1982 bis 1985 konnten wir im Land nicht arbeiten. Jede Bewegung, die sich bildete, traf sofort der Vorwurf des Kommunismus und der Zusammenarbeit mit der Guerilla.

F: Und Sie selbst? Sie beteiligten sich ja auch nahezu seit seiner Gründung am CUC.

Ich ging nach Mexiko und Nikaragua und kam in den neunziger Jahren für den CUC zurück nach Guatemala, als gewisse minimale Voraussetzungen für eine politische Arbeit bestanden.

F: In welchem Jahr gelang es denn dem CUC, sich in Guatemala zu reorganisieren?

Der CUC konnte in Guatemala ab 1985 wieder Fuß fassen. Damals schaffte die Regierung unter General Óscar Mejía Víctores, und später die von Marco Vinicio Cerezo Arévalo, wieder kleine Freiräume. Wir sickerten aus Mexiko ein, um in den Gemeinden wieder aktiv zu werden, Basisarbeit zu leisten. Unsere Schwerpunkte waren die Aktivitäten für die Auflösung der »Zivilpatrouillen«, eigentlich Paramilitärs und für eine Erhöhung des Mindestlohnes.
Der Mindestlohn betrug 1987 immer noch 3,20 Quetzal, so wie es Anfang der achtziger Jahre verfügt worden war. Aber die Lebenshaltungskosten waren immens gestiegen, und so forderten wir sieben Quetzal für alle Arbeitseinheiten, also für jeden Zentner gepflückten Kaffee oder Baumwolle, für jede Tonne geschnittenes Zuckerrohr. Die Großgrundbesitzer mußten nachgeben, da viele Arbeiter sich weigerten, für weniger zu schuften. Damit erntete der CUC auch viel Respekt in der Bevölkerung, denn es gelang uns, die Großgrundbesitzer zu einer Erhöhung des Mindestlohnes zu zwingen, ohne vorher zu einem Abkommen mit der Regierung kommen zu müssen.

F: 1996 schließlich unterzeichneten die Guerillakoordination URNG (Nationale Revolutionäre Union Guatemalas) und die Regierung ein Friedensabkommen. Welche Auswirkungen hatte das auf die Arbeit des CUC?

Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens veränderten sich die Arbeitsschwerpunkte des CUC. Vorher gab es zwar die gleiche Bandbreite an Forderungen, aber die Arbeit konzentrierte sich stark auf die Menschenrechte. Danach stand für uns im Mittelpunkt, daß sich die Menschen legal organisieren konnten. Wir bemühten uns auch, vielen der durch den Krieg entwurzelten Menschen eine legale Existenz zu verschaffen. 1998 wurde auch der CUC als Verband legalisiert. Weitere Schwerpunkte waren die Land- und die Arbeitsfrage sowie die Stärkung der Organisierung und der Partizipation der Bevölkerung. Die Legalisierung des CUC ist sehr wichtig gewesen, denn wenn es einen Landkonflikt gibt, dann muß der auch juristisch begleitet werden, und der Landfonds verlangt einen legalen Status, um die Teilnahme an Verhandlungen zuzulassen.

F: Die Landverteilung und die Landzuteilung für die rückkehrenden Flüchtlingsgemeinden war Teil des Friedensabkommens. Wie sieht dessen Umsetzung in diesem Bereich aus?

Die Regierung hat die vertraglichen Verpflichtungen nicht eingehalten. Weder bezüglich der Einrichtung des Landfonds, aus dem die Ländereien für die nach dem Krieg zurück gekehrten Flüchtlingsgemeinden finanziert werden sollen, noch bezüglich der sozial-ökonomischen oder landwirtschaftlichen Aspekte des Vertrages. Ursprünglich hatte sich die Regierung dazu verpflichtet, mittels Enteignungen und der Legalisierung genutzter Güter Land zur Verfügung zu stellen. Doch das ist nicht geschehen. Der Landkauf erfolgt auf dem Markt und wird von den Großgrundbesitzern beherrscht, die den Preis festlegen.

F: Was hat das für konkrete Folgen für den CUC und die bäuerliche Bevölkerung? Und welches Gegenmodell schlagen Sie vor?

Das hat uns große Probleme eingebracht, da wir gezwungen sind, die Bauernfamilien in die Verschuldung zu treiben. Der Landfonds betreibt eine neoliberale Politik, die Gemeinden haben nichts davon, im Gegenteil, sie müssen sich verschulden. Das muß geändert werden. Wir versuchen, mit der Koordination CENOC, in der acht Bauernorganisationen zusammen- geschlossen sind, die Regierung dazu zu bringen, mit uns über das Agrarproblem zu diskutieren und einen anderen Mechanismus – Enteignungen und Legalisierungen – zu finden, der nicht auf den Marktgesetzen beruht.

F: Wie will der CUC das erreichen? Wie übt er Druck auf die Regierung und die Großgrundbesitzer aus?

Bisher ist das einzige Mittel, das wir angewandt haben, das der Landbesetzungen. Wir vertrauen den Gemeinden und ihren Nachforschungen. Wenn sie uns sagen, daß es für ein Landgut keinen legalen Rechtsanspruch gibt und daher den Gemeinden gehört, dann besetzen wir es. Aktuell sind es 15 Landgüter. Wir besetzen auch die Landgüter, die per Dekret der Armee oder dem Landwirtschaftsministerium zugesprochen wurden. Wir wollen erreichen, daß sie mittels eines neuen Dekrets dem Landfonds übereignet werden. Drei Landgüter gingen dieses Jahr in den Besitz der Gemeinden über. Aber das war ein langer Weg. Zunächst mußte das Land per Dekret von der Armee an den Landfonds übereignet werden, und dann ging es an die Gemeinden. Das ist ein harter Kampf.

F: Wie reagierten Regierung und Großgrundbesitzer auf die Landbesetzungen?

Eigentlich hat es keine Besetzungen gegeben, die sich direkt gegen die Großgrundbesitzer richteten. Erst seit einem Jahr haben wir den Fall eines besetzten Landgutes im Morales, 64 Caballerias (etwa 290 Hektar) Fläche, dessen Besitzerin wohl eine US-Amerikanerin ist. Wir haben das Land besetzt, weil wir glauben, daß wir gute Chancen haben, es zugesprochen zu bekommen, da es brachliegt und die Eigentumsrechte juristisch nicht sauber geklärt sind. Als Bauernkoordination CENOC halten wir etwa 60 Landgüter besetzt. Die vermeintlichen Besitzer haben uns angezeigt. Sie werfen uns vor, wir würden die Gemeinden aufwiegeln, die Ländereien zu besetzen. Die Großgrundbesitzer versuchen auch, uns zu bedrohen und einzuschüchtern.

F: Organisationen berichten von einer dramatischen Verschlechterungen der Menschenrechte. Immer mehr Aktivisten sozialer Bewegungen und von Menschenrechtsorganisationen wurden ermordet. Wie ist der CUC davon betroffen, und wann setzte diese Entwicklung ein?

Etwa ein Dutzend Genossen des CUC wurden ermordet. Das begann Ende 2000, und seitdem nehmen die Morde und Drohungen stetig zu. Zusätzlich besteht der Druck der Regierung. Es gibt Anklagen gegen Bauernführer, Haftbefehle gegen Repräsentanten der Gemeinden, Einschüchterung. Aber wir werden nicht nachgeben.

F: In den letzten Jahren wurden auch die regierungstreuen ehemaligen Paramilitärverbände PAC, auch »Zivilpatrouillen« genannt, von Kreisen der Regierungspartei FRG reorganisiert. Sie gelten als die Basis des einstigen Diktators und FRG-Mitglieds Rios Montt, der seine Kandidatur mit der Mobilisierung eben dieser reorganisierten Schlägertrupps erzwang, obwohl rein rechtlich ein ehemaliger Diktator in Guatemala nicht für das Präsidentschaftsamt kandidieren dürfte. Inwiefern stehen die Ex-Paramilitärs auch in Zusammenhang mit der zunehmenden Repression?

Sehr direkt. Indem die Regierung die ehemaligen Paramilitärs in politischen Interessengemeinschaften organisiert, versucht sie, eine Kraft zu schaffen, die sich der Bauernbewegung entgegenstellt. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation gehen viele Familien ehemaliger PAC-Mitglieder darauf ein, denn sie bekommen dafür von Rios Montt 15000 Quetzal (etwa 1900 Euro). Im April 2003 hat die Regierung beschlossen, die Paramilitärs für ihre Dienstzeit während des Bürgerkriegs finanziell zu entschädigen. Von den insgesamt 700000 Paramilitärs haben im April 2003 die ersten 250000 die erste Rate von 1700 Quetzales (200 Euro) bekommen, 5500 Quetzal sollen es insgesamt werden. Vielerorts wird nun behauptet, sie würden den Rest der Entschädigung nicht bekommen, wenn sie nicht Rios Montt wählen.

F: Wie steht der CUC zu diesen Zahlungen?

Wir lehnen es ab, daß alle eine Entschädigung bekommen. Wir fordern, daß das genau untersucht wird. Wer Verbrechen begangen hat und wer darin verwickelt war, muß dafür verurteilt werden. Die anderen sollen für die Zeit ruhig finanziell entschädigt werden, viele wurden ja auch gezwungen.

F: Kehren wir zurück zu den Landbesetzungen. Es besteht ja auch ein Konflikt mit dem Bananenproduzenten Bandegua, dem guatemaltekischen Subunternehmer der United Fruit Company. Können Sie erläutern, um was es dabei geht?

Bandegua hat 1999 gut 900 Arbeiter entlassen, ohne ihnen eine Abfindung zu zahlen. Anschließend wurden die Vertreter der Arbeiter so stark bedroht, daß sie ins Exil gehen mußten. In dieser Situation begann der CUC, dort aktiv zu werden. Die ursprüngliche Forderung der Arbeiter war, daß sie ihre Abfindung erhalten. Da Bandegua das verweigerte, haben sie Land besetzt, 50 Caballerias (etwa 230 Hektar). Diese Familien fordern nun, daß ihnen das Land verkauft wird, allerdings nicht zu überhöhten, sondern zu begünstigten Preisen, wie sie früher in der Landwirtschaft galten. Bandegua hat daraufhin das besetzte Land an Viehzüchter aus der Region, an die reaktionärsten Familien, verkauft, die über bewaffnete Killer verfügen. Und die haben seit 2001 jedes Jahr zwei bis drei Repräsentanten der Besetzer ermordet.

F: Verfügt Bandegua bereits über eigene bewaffnete Gruppen, oder nutzt die Firma nur die der Viehzüchter?

Sie koordinieren sich mit den Viehzüchtern. Es handelt sich um fünf große Familien, die Familie Mendoza, die Ponces und drei andere. Diese Familien sind tief in den Drogenhandel verstrickt, und sie sind Großgrundbesitzer. Sie haben sich mit Bandegua zusammengeschlossen, um gegen jede Bewegung vorzugehen, die sich in der Gegend bildet.

F: Nun stehen die Bauernorganisationen vor einer neuen Herausforderung. Sowohl das geplante gesamtamerikanische Freihandelsabkommen FTAA/ALCA wie auch das mittelamerikanische Infrastrukturprojekt »Plan Puebla-Panama« (PPP) werden weitreichende Folgen für die ländliche Bevölkerung haben. Wie steht der CUC dazu?

Wir nehmen sowohl an der Koordination gegen das FTAA wie auch gegen den PPP teil. Das FTAA stellt ein neues Ausbeutungsmodell im Inresesse der USA dar. Es geht nicht um die Entwicklung der Gemeinden, sondern darum, wie die billigen Arbeitskräfte und das fruchtbare Land Guatemalas besser ausgebeutet werden können. Der Bevölkerung sind die Abkommen kaum bekannt, daher betreiben wir sehr viel Aufklärungsarbeit über die absehbaren Folgen.

Aus: junge Welt, 9. November 2003


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