Mitsprache unerwünscht
Guatemala: Staat unterstützt private Investoren im Kampf gegen Bevölkerung
Von Andreas Knobloch *
Guatemalas Gemeinden haben in der Regel wenig Mitspracherecht, wenn es um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen geht. Der Fall der Gemeinde Santa Cruz Barillas im Nordwesen des Landes, nahe der mexikanischen Grenze, macht dies deutlich. Dort eskalierte in den letzten Wochen der Konflikt um ein Staudammprojekt, das von einer überwältigenden Mehrheit der Anwohner abgelehnt wird. Verschärft wurden die Spannungen durch den Mord an Gemeindeführer Andrés Francisco Miguel. Er war am 1. Mai zusammen mit Pablo Antonio Pablo und Esteban Bernabé auf dem Nachhauseweg aus dem Hinterhalt überfallen worden. Pablo und Bernabé konnten schwer verletzt fliehen und machten später das mit dem Bau beauftragte Unternehmen Hidro Santa Cruz als Drahtzieher für die Attacke verantwortlich. Miguels Körper wurde, von mehreren Kugeln durchsiebt, am Straßenrand gefunden. Noch am selben Tag kam es zu einer Demonstration mit mehr als tausend Teilnehmern. Ein Teil der aufgebrachten Menge stürmte einen Stützpunkt der Armee, verletzte zwei Soldaten und erbeutete mutmaßlich sechs Schußwaffen.
Daraufhin verhängte Präsident Otto Pérez Molina den Ausnahmezustand über den Landkreis und sandte zusätzliche Polizei- und Armee-Einheiten in die Region, um die »Verantwortlichen festzunehmen«. Am vergangenen Donnerstag wurde der ursprünglich für dreißig Tage verkündete Ausnahmezustand wieder aufgehoben. »Die Regierbarkeit ist wieder hergestellt worden«, begründete der Präsident den Schritt. Die Einheiten würden schrittweise abgezogen, jeweils 120 Polizisten und 120 Soldaten sollen aber in der Gemeinde stationiert bleiben.
Doch der Konflikt, der bis ins Jahr 2007 zurückreicht, schwelt weiter. Siebzehn Menschen sind weiterhin inhaftiert. Nach Angaben von Bauernorganisationen handelt es sich dabei um 16 Gemeindeführer, nur einer der Festgenommenen stehe mit den Ausschreitungen in Verbindung. In der vergangenen Woche verlangte eine Demonstration mit Hunderten Teilnehmern die Freilassung der Gefangenen. Das Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Guatemala erklärte die ersten neun Verhaftungen am 2. Mai für »illegal nach internationalen Standards«. Sie seien ohne Haftbefehl durch Zivilpersonen zwölf Stunden nach den Ereignissen erfolgt. »Privatpersonen ist es nicht erlaubt, Festnahmen vorzunehmen, wenn sie nicht in flagranti erfolgen, nicht einmal im Ausnahmezustand«, wird Hochkommissar Alberto Brunori von der Tageszeitung El Periodico de Guatemala zitiert. Auch bei den weiteren acht Inhaftierungen in den darauffolgenden Tagen habe es nur drei ordentliche Haftbefehle gegeben. Der Rat der Maya-Völker des Westens (CPO) forderte in einem Kommuniqué die Freilassung der Inhaftierten und den Entzug der Baulizenz von Hidro Santa Cruz.
Was in Santa Cruz Barillas passiert, läßt sich an vielen anderen Orten in Guatemala beobachten. Die Auseinandersetzung um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen führt zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Gemeinden und privaten Investoren und deren Sicherheitskräften. Letztere erhalten staatliche Rückendeckung. Im April gründete die Regierung offiziell eine 500 Mann starke militärische Eingreiftruppe mit Hauptquartier im Landkreis San Juan Sacatepéquez, in der Nähe der Hauptstadt Guatemala-Stadt. Offiziell soll diese gegen Drogenbanden vorgehen und die Sicherheit der Bevölkerung erhöhen. In Wirklichkeit ist die Region ebenfalls Schauplatz eines sozialen Konflikts. Die Gemeinden widersetzen sich dort dem Bau einer Zementfabrik.
Der Direktor des Instituts für Interethnische Studien an der Universität San Carlos, Eduardo Sacayón, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur IPS, es gebe eine Tendenz »der Regierung, Gewalt einzusetzen, um Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, ohne auf die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen«.
* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Mai 2012
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