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Freiwild für die Konzerne

nd-Solidaritätsaktion: Die Naturschätze Guatemalas nützen vor allem ausländischen Unternehmen

Von Willi Volks, INKOTA *

In Guatemala werden die Menschenrechte der armen, vorwiegend indigenen Bevölkerung häufig verletzt - ob beim Bergbau oder bei Infrastrukturprojekten. Doch es regt sich auch Widerstand, und der zeitigt zuweilen Erfolge. Die COPAE (Kommission für Frieden und Ökologie) hilft dabei.

»Gefährliche Kurven, mit dem Motor bremsen!« So auf die Gefahren des Weges hingewiesen, lenkt der Fahrer unseren Wagen aus dem Hochland um San Marcos, der Hauptstadt des gleichnamigen Departamentos im Südwesten Guatemalas, in Richtung Pazifikküste.

Wir verlassen die »Kälte« - immerhin hatten wir früh bei unserer Abfahrt nur zwölf Grad - und nähern uns Orten, bei denen jetzt, zu Beginn der Trockenzeit Anfang Dezember, die Temperaturen auf über 30 Grad steigen.

Vertreibung von Alteingesessenen

Bevor es aber so weit ist, machen wir einen Abstecher in den kleinen Ort San Pablo am Fuße des Hochlands. Dort besuchen wir Kaffeeplantagenarbeiter, die seit einigen Jahren von einem Juristen der INKOTA-Partnerorganisation COPAE (Kommission für Frieden und Ökologie) begleitet werden. Dort sollten nach Vorstellungen internationaler Energieunternehmen drei Flüsse vereinigt werden, um deren gesammelte Wasserkraft in großem Stil zur Gewinnung von Strom zu nutzen. Der Kaffeeplantagenbesitzer wollte dafür einen Teil seines Landes gewinnbringend verkaufen, darin eingeschlossen das Terrain, auf dem die Arbeiter wohnen. Deren Pech war, dass sie dieses Land vom Vater des heutigen Besitzers anstelle von Geld für ihre Arbeit erhalten hatten, ohne dass dies je legalisiert wurde. So lebten sie zwar schon jahrelang auf ihren kleinen Grundstücken, formal war das jedoch ungesetzlich. Sie konnten demzufolge jederzeit von diesem Land vertrieben werden.

Die Plantagenarbeiter kämpften um ihr Land. Als sie sich gegen die Vertreibung wehrten, erhielten einige von ihnen anonyme Morddrohungen. Manche wollten daraufhin den schier ausweglosen Kampf um ihr Recht schon aufgeben. Dann nahm sich COPAE ihrer an. Wie fast immer in solchen Fällen zog sich der Prozess schier endlos in die Länge. Doch dann kam den Arbeitern das Glück zur Hilfe. Da Untersuchungen ergaben, dass sich die Zusammenlegung der Flüsse und der Bau eines Großkraftwerkes nicht ausreichend rentieren, hatten die internationalen Investoren kein Interesse mehr an dem Projekt. COPAE und die Plantagenarbeiter setzten den Kampf um die Legalisierung fort und letztlich erhielten sie die Landtitel für ihre Grundstücke.

Mit dem schönen Gefühl, dass der Kampf um die Rechte der vorwiegend indigenen armen Bevölkerung auch erfolgreich sein kann, setzen wir unsere Fahrt fort. Wir verlassen die schattigen Berghänge des auslaufenden Hochlands mit ihren kilometerweiten Kaffeeanpflanzungen und kommen in die Tiefebene. Dort wechseln sich extensive Weideflächen, bevölkert von riesigen Kuhherden, mit ausgedehnten Plantagen ab, die entweder mit der Afrikanischen Palme oder mit Gummibäumen bepflanzt sind. »Noch wird aus der Afrikanischen Palme ausschließlich Palmöl gewonnen, aber schon wird mit dem Einstieg ins Biodiesel-Geschäft geliebäugelt. Das dürfte die Nachfrage nach großen Anbauflächen in der Region, verstärkt auch durch ausländische Firmen, noch weiter forcieren«, befürchtet Fernando Martínez, der Projektkoordinator von COPAE.

Wir nähern uns dem Ziel unserer Fahrt: Nuevo Progreso, ein Ort unweit des Pazifiks und der Grenze zum mexikanischen Chiapas. Dort angekommen, treffen wir uns im Gebäude des lokalen katholischen Radiosenders mit Leticia Montufar. Sie ist eine der von COPAE ausgebildeten ehrenamtlichen Reporterinnen und Reporter und als solche verantwortlich für die Sendungen unserer Partnerorganisation über die gravierenden Umwelt- und Menschenrechtsproblemen in der Region. Eines der zentralen Probleme: die Nutzung des Stroms, der aus der Wasserkraft gewonnen wird.

Zwar haben die ausländischen Firmen die Idee von Großwasserkraftwerken aufgegeben, aber sie haben die Rechte für die Stromversorgung von der guatemaltekischen Regierung gekauft, als diese die staatlichen Energiewerke privatisierte. In der Region war es zunächst die spanische Firma Unión Fenosa, die 1997 die Rechte von Guatemalas Regierung für 101 Millionen US-Dollar kaufte, um sie vor kurzem für 500 Millionen US-Dollar an die britische Firma Actis zu veräußern.

Leticia, die auch im Gemeindekomitee für Elektroenergie organisiert ist, meint, dass der Strompreis heute über dem Dreifachen dessen liegt, was man in Gemeinden zahlen muss, deren Stromversorgung noch in staatlichen Händen ist. Als Fernando mein zweifelndes Gesicht bemerkt, bestätigt er diese Angaben. Er selbst hat jahrelang in San Pedro gewohnt. Dort musste er bei weniger Stromverbrauch weit über das Doppelte an das private ausländische Energieunternehmen bezahlen als heute im Nachbarort San Marcos, wo das Elektrizitätswerk noch in Händen der Kommune ist.

Gegen die Wucherpreise wehrt sich die Bevölkerung in der Region. COPAE unterstützt die Organisierung dieses Widerstands und verhandelte gleichzeitig mit Unión Fenosa und Regierungsvertretern am »Runden Tisch« über faire Strompreise. Als das aus Sicht des Bischofs Álvaro Ramazini nur noch »reine Zeitverschwendung« war, stieg COPAE aus den Verhandlungen aus.

Gleichzeitig eskalierten die Auseinandersetzungen um den zu hohen Strompreis. Trauriger Höhepunkt dessen war das Jahr 2010: Zunächst wurde Víctor Galvez nach einem Treffen des Gemeindekomitees im Nachbarlandkreis Malacatán auf offener Straße erschossen, kurz danach wurden im selben Ort zwei weitere Aktivisten ermordet.

»Das hat dazu geführt, dass wir die Arbeit als Gemeindekomitees zur Organisierung und Mobilisierung der Bevölkerung so gut wie eingestellt haben. Es ist einfach zu gefährlich, die Angst ist zu groß«, sagt Leticia und fährt fort: »Aber der Kampf geht weiter, ich weigere mich beispielsweise bis heute, den überhöhten Strompreis zu zahlen.«

Auch die katholische Kirche und COPAE haben angesichts der Eskalation ihre Strategie inzwischen geändert. Zum einen werden Menschen wie Leticia durch einen Anwalt unterstützt und zum anderen versuchen sie, die Bürgermeister zu gewinnen, die Energiewerke zu rekommunalisieren und in den Ausbau des Energienetzes zu investieren. Das ist umso wichtiger, weil es Pläne ausländischer Firmen gibt, in der Region bis zu 16 kleinere Wasserkraftwerke zu errichten: Das Geschäft scheint sich zu lohnen!

Widerstand ist schwer, aber lohnend

»Die Energieversorgung wieder in die kommunalen Hände zu nehmen, ist laut Gesetz möglich. Doch das ist schwer«, weiß Leticia zu berichten. »Unser Bürgermeister ist unseren Forderungen gegenüber scheinbar aufgeschlossen, aber es passiert nichts.« Ein Grund dafür könnte sein, dass alle Gemeinden in der Region Verträge mit Unión Fenosa abgeschlossen haben, deren Inhalte geheim sind. Außerdem hält sich hartnäckig das Gerücht, dass zumindest einige der Bürgermeister durch den ausländischen Konzern bestochen worden sind.

Es ist Zeit, dass wir uns verabschieden, denn Leticia geht gleich auf Sendung. Das Thema heute: der massive Abbau von titanhaltigem Sand an den Stränden des nahen Pazifiks durch chinesische Firmen und die ökologischen Folgen.

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass ganz Guatemala und dessen vorwiegend indigene Bevölkerung zur Ausbeutung durch ausländische Konzerne freigegeben sind. Ein Glück, dass es Menschen wie Leticia Montufar und Organisationen wie COPAE gibt, die sich dagegen wehren und die es zu unterstützen gilt. Und manchmal gibt es ja auch Hoffnungsschimmer wie in San Pablo, wo die Kaffeeplantagenarbeiter inzwischen stolze Besitzer ihrer Grundstücke sind.

* Aus: neues deutschland, 14. Januar 2012


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