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Klima der Gewalt

Zahlreiche Morde prägen den Wahlkampf in Guatemala

Von Oliver Lüthi, San José *

Der gewaltsame Tod des populären argentinischen Liedermachers Facundo Cabral am vergangenen Freitag (8. Juli) hat Guatemala in einen Schockzustand versetzt. Hunderte Guatemalteken und Guatemaltekinnen beteiligten sich am Tag nach der Ermordung des 74jährigen Musikers an einem Gedenkmarsch durch die Straßen der Hauptstadt, um auf dem Platz der Verfassung Blumen und Gedenkkarten niederzulegen. Teilnehmer des Trauerzugs drückten ihre Wut und Empörung über die unverständliche Bluttat aus. »Wir schämen uns dafür, daß dieser große Poet bei uns ums Leben gekommen ist, obwohl das einzige, was er hierher gebracht hat, Liebe und Kulturverständnis waren«, ließ eine Studentin verlauten. Und auf einem Schild war zu lesen: »Argenti­nien und die ganze Welt, verzeiht uns«.

Der Tod Cabrals versinnbildlicht das Klima der Gewalt und Unsicherheit im Land. Mit durchschnittlich 18 Tötungsdelikten pro Tag gehört Guatemala zu den gefährlichsten Ländern in der Region. Zunehmend im Würgegriff des organisierten Verbrechens, hat sich in den vergangenen Wochen die Sicherheitssituation weiter verschlechtert. In der Bevölkerung wächst gleichzeitig der Unmut über die Unfähigkeit der Regierung, der Gewalt wirksam zu begegnen. Auf den Internetportalen der großen Tageszeitungen waren in den vergangenen Tagen Dutzende Kommentare zu lesen, in denen Leserinnen und Leser ihre Wut und Scham über den Tod Cabrals und die Sicherheitssituation im Land ausdrückten.

Auch der laufende Wahlkampf für die im September stattfindenden Abstimmungen zur Präsidentschaft und zum Parlament war bisher von Gewalt geprägt. Gemäß einem von der staatlichen Stelle für Menschenrechte veröffentlichten Bericht sind bisher über 30 Personen im Zusammenhang mit dem für September geplanten Wahlgang ums Leben gekommen. Besonderes Aufsehen erregte kürzlich der Fall eines Kandidaten für das Bürgermeisteramt der in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Gemeinde San José Pinula. Dieser war unter dem Verdacht festgenommen worden, an der Ermordung von zwei seiner Gegenkandidaten beteiligt gewesen zu sein.

In einer mutigen Stellungnahme hat die staatliche Stelle für Menschenrechte die dominierenden politischen Parteien des Landes wegen ihres schmutzig geführten Wahlkampfs für die Gewalt im Land mitverantwortlich gemacht. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen Otto Pérez von der Patriotischen Partei (PP) und Sandra Torres von der regierenden Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE), welche sich seit Wochen einen erbitterten Kampf um das Präsidentenamt liefern. Die Auseinandersetzung spielt sich inzwischen vorwiegend vor dem Obersten Wahlgericht ab, nachdem dieses die Exfrau des amtierenden Präsidenten Alvaro Colóm von den Wahlen ausgeschlossen hatte. Das Gericht hatte sich auf einen Punkt in der Verfassung Guatemalas berufen, demzufolge Familienmitglieder des regierenden Präsidenten nicht kandidieren dürfen. Nach einer massiven Diskreditierungskampagne gegen das Oberste Wahlgericht setzte schließlich letzte Woche ein Berufungsgericht die entsprechende Resolution vorläufig außer Kraft und ermöglichte damit die Rückkehr von Torres in den Wahlkampfring.

* Der Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in Costa Rica.

Aus: junge Welt, 12. Juli 2011



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