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"Gewalt gegen Frauen ist alltäglich"

Sonia Escobedo über Möglichkeiten und Grenzen der Gleichstellungspolitik in Guatemala *


Am 14. Januar übergab in Guatemala der Sozialdemokrat Álvaro Colom das Präsidentenamt an seinen ultrarechten Nachfolger, Exgeneral Otto Pérez Molina. Frauenministerin in der Regierung Colom war Sonia Escobedo. Die ehemalige Studentenführerin und Frauenrechtsaktivistin war einst an der Ausarbeitung des Friedensabkommens in Guatemala beteiligt. Über Erfolge und Grenzen der Gleichstellungspolitik und den Kampf gegen Häusliche Gewalt und Frauenmorde sprach mit ihr für das "neue deutschland" (nd) Kathrin Zeiske.


nd: Frau Escobedo, Sie kommen selbst aus den sozialen Bewegungen; nun standen Sie dem Frauenministerium vor. War es möglich, mit der Regierung Colom auf institutioneller Ebene Entscheidendes für die Rechte der Frau zu erreichen?

Escobedo: Von radikalfeministischer Seite wird die Arbeit in den Institutionen kritisiert und das politische System an sich als Mechanismus der Unterdrückung infrage gestellt. Ich gehe aber davon aus, dass es wichtig ist, dass Frauen aus den Institutionen heraus etwas bewegen. Natürlich konnte ich nicht alles erreichen, was ich gerne angegangen wäre. Die Unterdrückung der Frau, die wir in Guatemala in allen sozialen Schichten spüren, lässt sich nicht von heute auf morgen beseitigen.

Wo konnten Sie aus feministischer Sicht Erfolge auf institutioneller Ebene erzielen?

In den letzten Jahren ist es in Guatemala gelungen, das Thema häusliche Gewalt auf den Tisch zu bringen und Gesetzesänderungen zu erzielen, die Frauen Schutz und juristische Hilfe an die Hand geben. Es war nicht einfach, dafür Alliierte auf dem politischen Parkett zu gewinnen. Dort tummeln sich nun auch weit mehr Männer als Frauen. Es herrscht zwar ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass häusliche Gewalt etwas Schlimmes ist. Aber wie alltäglich sie tatsächlich ist, wird immer noch von 49 Prozent der Bevölkerung negiert: nämlich dem männlichen Teil. Leider wird sie auch von einem großen Teil der weiblichen Bevölkerung als »Normalität« hingenommen.

Braucht es somit weiterhin eine gesellschaftliche Sensibilisierung, um nachhaltige Veränderungen für Frauen zu schaffen?

Unbedingt, beides muss ineinandergreifen. Die besten Gesetze nützen nichts, wenn es nicht auch Richter und Staatsanwälte gibt, die gewillt sind, sie anzuwenden. Heute zeigen viel mehr Frauen als früher Gewalt an. Aber dann finden sie sich Funktionären gegenüber, die nicht gewillt sind, ihnen weiterzuhelfen. Wir haben jetzt sehr gute Gesetze in Guatemala, aber Gewalt und Diskriminierung prägen weiterhin den Alltag.

Nach Mexiko zeigt Guatemala weltweit die höchste Frauenmordrate auf. Sehen Sie Erfolge in der Strafverfolgung?

Ebenso wie gegen häusliche Gewalt konnte unter der Regierung Colom ein Gesetz gegen Frauen­morde durchgebracht werden. Es legt Gewaltverbrechen gegen Frauen mit dem Motiv der Misogynie als Frauenmorde fest. Somit fällt nicht automatisch jeder Mord an einer Frau unter diesen Tatbe­stand. Es muss aber stets mit in Betracht gezogen werden, dass eine Frau aus eben dem Grund umgebracht wurde, dass sie eine Frau ist. Leider sind die Zahlen der Frauenmorde konstant mit nahezu 700 Toten im vergangenen Jahr. Damit summieren sich die Frauenmorde in Guatemala in den letzten fünf Jahren auf insgesamt fast 5000. Diese Situation ist alarmierend.

Wer sind die Täter?

Es werden viele Täterprofile angelegt, aber ich halte davon wenig. Denn in den meisten Fällen sind es keine Psychopathen, die außerhalb der Gesellschaft stehen, sondern Partner, Ex-Partner, Freunde. Männer, die Frauen und Mädchen vergewaltigen, können Menschen sein, die gesellschaftliches Ansehen genießen. Doch in ihren privaten, intimen Beziehungen sind sie Aggressoren. Dies zeigt nicht zuletzt der Fall Cristina Siekavizza, die von ihrem Ehemann erschlagen wurde. Seine Eltern haben beide als Richter dem Obersten Gerichtshof von Guatemala gedient; eine Vorbildfamilie also.

Frauen sind in Guatemala nicht nur von Gewalt betroffen, sondern auch von alltäglicher Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Welche Erfolge konnte die Regierung Colom hier erzielen?

Leider sind dementsprechende Gesetzesinitiativen nicht durch den Kongress gekommen. Die wirtschaftliche Lobby war zu stark. In Guatemala werden die Arbeitsrechte von Hausangestellten, Erntehelferinnen und Maquilaarbeiterinnen kaum geachtet; gerade in diesen Sektoren finden aber vor allem Frauen eine Arbeit. Die Angestellten der Freihandelsfabriken sind sehr verletzlich in ihren Arbeitsrechten angesichts der Investitionsbedingungen, die der guatemaltekische Staat ausländischen Unternehmen zusichert. Die Erntehelferinnen sind in ihrer Mehrzahl indigene Frauen. Sie werden meistens nur als Hilfsarbeiter ihrer Männer oder Väter angesehen und nicht selbst ausgezahlt. Was die Hausmädchen angeht, sind diese laut Statistiken angeblich keine Indigenen. Doch die meisten Frauen in diesem Sektor versuchen schlichtweg aufgrund von Diskriminierung gegen die Mayabevölkerung ihre Identität zu verbergen. In allen drei Sektoren gibt es kaum eine Supervision der Arbeitgeber durch die Regierung, so dass hier eine horrende Ausbeutung stattfindet.

Welche Aussichten kann die zukünftige Regierung bieten? Gibt es den Willen, eine Politik zugunsten von Frauen zu implementieren?

Am Wahlkampfprogramm von Otto Pérez Molina konnte man dies nicht erkennen, da standen Null-Toleranz-Parolen gegen Bandenkriminalität im Vordergrund. Eine Politik für Frauen ist gewiss nicht auf der allgemeinen Agenda zu finden, auch wenn es mit Roxana Baldetti erstmals eine weibliche Vizepräsidentin in Guatemala geben wird. Ich hoffe, dass unsere langfristigen Ansätze im Frauenministerium auch nach dem Regierungswechsel weiterverfolgt werden. Es ist wichtig, Funktionäre in den öffentlichen Ämtern für die Belange von Frauen zu sensibilisieren. Des Weiteren sexuelle und reproduktive Rechte in politische Praxis umzusetzen; so ist die Müttersterblichkeit immer noch viel zu hoch in Guatemala. Und natürlich bleibt die Gewalt gegen Frauen ein wichtiges Thema, das unbedingt angegangen werden muss.

* Aus: neues deutschland, 17. Januar 2012


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