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Ernüchternde Regierungsbilanz

Guatemala: Im September werden neuer Präsident und neues Parlament gewählt

Von Torge Löding, Mexiko-Stadt *

Kehren in Guatemala die Schlächter zurück auf die Regierungsbank? Weniger als fünf Monate vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 11. September in dem zentralamerikanischen Land sehen die Meinungsforscher den Exgeneral Otto Pérez Molina von der Patriotischen Partei (PP) als Favoriten. Molina war zu Zeiten der ultrarechten Militärdiktatur in Guatemala nicht nur an der Spitze des militärischen Geheimdienstes, seine Einheit wird für grausame Massaker an Zivilisten verantwortlich gemacht. Beim Friedensschluß 1996 unterzeichnete er dann als einziger Offizier den Friedensvertrag. Bei der Stichwahl vor vier Jahren unterlag er.

Zweitplazierte ist mit Sandra Torres die langjährige Ehefrau des amtierenden Präsidenten Alvaro Colom. Der Unternehmer ist wie Sandra Torres Mitglied der »Nationalen Union der Hoffnung« (UNE). Für ihre Kandidatur vollzog das Ehepaar Anfang April die Scheidung, denn die Verfassung untersagt den erneuten Antritt eines Präsidenten sowie die Kandidatur enger Familienangehöriger. Für die einen ein notwendiger Schritt, um dem politischen Gegner die Stirn zu bieten; für die anderen ein Winkelzug, der von fehlendem Respekt gegenüber der Verfassung der Nachkriegszeit zeugt.

Die Bilanz der vier Regierungsjahre des selbsternannten »Sozialdemokraten« Colom ist in vieler Hinsicht ernüchternd. Von der politischen Linken im Land unterstützte Gesetze wie die Fiskal- und die Landreform blieben stecken. Obwohl die Entwürfe vom Beraterstab des Präsidenten für gut befunden wurden, tat der Staatschef nichts dagegen, als das Parlament diese auf Eis legte. Unter Colom habe die Zentraliserung des Landbesitzes in Händen einiger Oligarchen und internationaler Konzerne sogar noch zugenommen, kritisieren Kleinbauernverbände. Bei Landkonflikten mit internationalen Minenkonzernen stellte sich Colom auf die Seite der Unternehmer, ignorierte das Ergebnis von 52 kommunalen Volksbefragungen –an denen sich fast eine Million Guatemalteken beteiligten – und setzte mit Repression den Goldminentagebau und andere Megaprojekte durch. Auf elegante Weise plant die Regierung fortan den Widerspruch zwischen Volkswillen und eigenem Wirken zu übertünchen: Kommunale Volksbefragungen sollen ganz abgeschafft werden.

Wie fast überall in Mittelamerika hat auch in Guatemala die Gewalt zugenommen. Die Drogenmafia kontrolliert weite Teile des Landes. Dagegen wollte oder konnte Colom nichts tun, genauso wenig wie gegen die chronische Straflosigkeit: Nur zwei Prozent der Anklagen vor Gericht enden überhaupt mit einem Urteil, zu wessen Gunsten auch immer.

Auf der Habenseite kann Colom indes das Hilfsprogramm »Soziale Kohäsion« verbuchen. Unter Leitung seiner damaligen Frau Sandra Torres brachte die Regierung damit dringend benötigte Unterstützung vor allem in entlegene Gegenden. Gleichzeitig diente dies Torres aber auch zum Aufbau einer eigenen Wählerbasis – mit öffentlichen Geldern. Als Annäherung an den fortschrittlichen Staatenbund ALBA interpretierte vor allem die Ultrarechte im eigenen Land Guatemalas Beitritt zum Ölbündnis »Petrocaribe« im Juli 2008. Unter den 18 Mitgliedsstaaten finden sich indes nicht nur solche mit progressiver Regierung.

»Linke und soziale Bewegungen haben von Sandra Torres nichts zu erwarten«, kommentierte Enrique Corral Alonso, Vorsitzender der Stiftung Guillermo Toriello (FGT). Die Stiftung steht der Exguerilla und heutigen Linkspartei URNG (»Nationale revolutionäre Einheit Guatemalas«) nahe. Schon das Etikett »sozialdemokratisch« von Coloms UNE sei reiner Schwindel. Ein Blick auf das Parteiprogramm der UNE stützt diese Sichtweise: Es ist das einer konservativen Partei mit liberalem Bezug auf Menschenrechte. Aber vor allem stellt es dem Neoliberalismus nicht einmal im Ansatz etwas entgegen.

Die atomisierte politische Linke Guatemalas versammelt sich dieses Mal unter dem Banner »Breite Front« (Frente Amplio). Gemeinsam versuchen URNG mit ihren Abspaltungen ANN und »Nueva Republica« wenigstens fünf Parlamentssitze zu erringen. Dem Bündnis schloß sich unterdessen auch die indigene Winag-Partei der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú an. Nun diskutiert die Gruppe, ob Menchú ihre Präsidentschaftskandidatin werden solle. Bei den Wahlen 2007 erhielt sie ohne Unterstützung der Linken gerade einmal drei Prozent der Stimmen. Viel mehr würden es wohl auch im September nicht werden.

* Der Autor ist Leiter des Auslandsbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko.

Aus: junge Welt, 3. Mai 2011



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