Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Revolution abgesetzt

Finanzminister Varoufakis ohne Mandat? Im Griechenland-Konflikt scheinen die Anhänger eines unveränderbaren Euro-Großreiches Athen in die Knie zu zwingen

Von Rainer Rupp *

Als diese Woche der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis in einem Athener Szenerestaurant von »Anarchisten« tätlich angegriffen wurde, ging die Nachricht um die Welt. Oft schwang in den Kommentaren Häme mit. Der kämpferische Ökonom hatte sich schließlich allen Erpressungsversuchen aus Berlin und Brüssel erfolgreich widersetzt und so eine erneute Unterwerfung Griechenlands verhindert. Im Unterschied zum Kneipenangriff gab es fast zeitgleich eine weit folgenschwere Attacke auf Varoufakis. Diesmal aus dem Hinterhalt, von »Parteifreunden« aus den Syriza-Reihen. In deren Folge wurde der von den Eurokraten derzeit meistgehasste Mann praktisch entmachtet.

Was war geschehen? Nach einem erneut erfolglosen Treffen der Euro-Finanzminister am 24. April in Riga, war der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras unter enormen Druck geraten, Varoufakis aufs Abstellgleis zu schieben. Dieses Ansinnen kam nicht nur von der EU und insbesondere aus Berlin, sondern angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Landes auch von den »gemäßigten« Gruppen der Syriza. Deren Vertreter haben ebensoviel Angst vor dem Verlust des Euro wie jüngsten Umfragen zufolge knapp zwei Drittel der griechischen Bevölkerung.

Tsipras scheint eingeknickt zu sein. Im Rahmen einer »Neuordnung« des Athener Verhandlungsteams soll Varoufakis an den Gesprächen mit der EU nicht mehr teilnehmen. Neuer Verantwortlicher dafür wurde der stellvertretende Außenminister und Tsipras-Vertraute Euclid Tsakalotos. Zugleich wechselte man auch das Personal der zweiten Reihe des Teams aus.

Dabei entspricht die »klare Mehrheitsmeinung unter Ökonomen« der Position von Varoufakis, hieß es in einem Kommentar des US-Wirtschaftmagazins Forbes vom 19. April, das jeglicher Sympathien mit linkem Gedankengut unverdächtig ist. An der Notwendigkeit eines Staatsbankrotts führe kein Weg vorbei, so der Forbes-Kommentator Tim Worstall. »Wenn eine Schuldenlast so groß ist, dass sie nicht mehr zurückgezahlt werden kann, dann ist die einzig sinnvolle Lösung, die Schuld (durch einen Bankrott, R. R.) zurückzuschneiden, anstatt (der Bevölkerung, R. R.) jede Menge unproduktiver Schmerzen abzufordern. Vernünftigerweise hätte daher der Bankrott schon vor drei bis vier Jahren stattfinden müssen.« Das jedoch sei durch die »nervtötenden Euro-Rettungsversuche immer wieder verhindert worden«, so Worstall weiter.

Laut Nachrichtenagentur Reuters »sieht es nun ganz danach aus, dass Tsipras seinen Finanzminister effektiv ausgetauscht hat«. Sein faktischer Nachfolger, der in Oxford ausgebildete Ökonom und »unauffällig« auftretende Professor Tsakalotos, sei »bei den Vertretern der Gläubigerländer und der Institutionen (»Troika«, jW) sehr beliebt«. Varoufakis dagegen war in Riga von fast allen seiner Amtskollegen gemobbt worden. Der Grund: Er hatte darauf bestanden, zuerst eine Debatte über Sinn und Zweck der Fortführung der Verarmungsstrategie zu führen. Dagegen sperrten sich die anderen Minister. Sie wollten ausschließlich über die von Athen bisher abgelehnten Einzelpunkte des sogenannten EU-Reformplans diskutieren, der die Verelendung in Griechenland auf Generationen festschreiben würde.

Varoufakis blieb auch in Riga standhaft. Er wollte die eigene Bevölkerung nicht mit noch mehr »Sparmaßnahmen« quälen, nur damit die Eurokraten weiter vortäuschen können, dass man die Krise im Griff hat. Die Euro-Minister bezeichneten ihn daraufhin inoffiziell als »zeitverschwendenden Amateur« oder »verantwortungslosen Spieler«.

So reagierte das Mittelmaß, jene dem Größenwahn eines künftigen Euro-Großreiches verfallenen Konzernlobbyisten und Parteisoldaten. Dabei war Varoufakis als weltbekannter Spezialist für Währungsfragen der einzige Experte in der Runde. Deutschland glänzt hier beispielsweise mit dem promovierten Verwaltungsjuristen Wolfgang Schäuble, der sich beständig widerspricht. Und die Niederlande haben den neoliberalen Strebertyp Jeroen Dijsselbloem im Rennen, einen gelernten Agraringenieur, der den Euro-Gruppenchef spielen darf.

Aktuellen Meldungen zufolge beeilt sich jetzt die Tsipras-Regierung, die bisher von Varoufakis strikt abgelehnten »Sparpläne« in EU-konforme Gesetze zu gießen. Das wurde diese Woche von den Finanzmärkten mit einer sprunghaften Verbesserung der Bewertung der griechischen Schatzbriefe belohnt. Womöglich deutet die Kaltstellung von Varoufakis darauf hin, dass sich eine in Finanzkreisen seit Monaten als bestmögliches Szenario diskutierte Entwicklung herausbilden könnte, wonach unter dem Druck der bevorstehenden Staatspleite die »gemäßigte« Mehrheit der Syriza vom linken Kurs abweicht und eine neue Koalition mit konservativen Kräften eingeht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 2. Mai 2015


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage