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Neue Hoffnung Syriza

Griechische Linkspartei gewinnt Parlamentswahlen mit großem Abstand. Koalition mit nationalistischen "Unabhängigen Griechen"

Von Heike Schrader, Athen *

Die politische Landkarte in Griechenland hat sich verändert. Waren die in den Farben der stärksten Partei eingefärbten Wahlkreise bis vor kurzem vorwiegend grün und blau, dominiert seit Sonntag die Farbe der Linkspartei Syriza, Magenta. Nur an den Grenzen zum Balkan und im Süden der Peloponnes gibt es noch blaue Wahlkreise, in denen die Nea Dimokratia ihre Vormachtstellung behaupten konnte.

Bei dem »historischen Sieg der Linken« hat Syriza wahrhaftig abgeräumt. Um über 590.000 Stimmen und fast zehn Prozent konnte sie ihr Wahlergebnis von 2012 überbieten. Die Partei erzielte 36,34 Prozent und zieht mit 149 Abgeordneten ins 300köpfige Parlament ein.

Die fehlenden Vertreter für die Mehrheit waren wenig später gefunden. Bereits am Montag mittag trat der Vorsitzende der nationalistischen »Unabhängigen Griechen«, Panos Kammenos, vor die Presse und verkündete, seine Partei werde »Ministerpräsident Alexis Tsipras« ihre Stimme geben und an der Regierung teilnehmen. Die »Unabhängigen Griechen« bekamen am Sonntag rund 293.000 Stimmen (4,75 Prozent) und stellen 13 Abgeordnete. Damit verfügt die Koalition über eine relativ komfortable Mehrheit von 162 Sitzen.

Es mag befremdlich anmuten, wenn die Linkspartei Syriza nur wenige Stunden nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses eine Regierung mit der nach der neofaschistischen »Goldenen Morgendämmerung« am weitesten rechts stehenden Kraft bildet. Bei der Frage des Umgangs mit Migration, der Namensgebung für die Nachbarrepublik Mazedonien, des Umgangs mit der türkischsprachigen Minderheit in Nordgriechenland liegen die Positionen der Koalitionspartner weit auseinander. Doch diese Themen sind für die Masse der Menschen, die am Sonntag ihr Kreuz bei der Linkspartei Syriza gemacht haben, zunächst zweitrangig. Den Millionen von der Austeritätspolitik Betroffenen geht es vorrangig um eine substantielle Verbesserung ihrer sozialen Situation. Und da decken sich die Vorstellungen von Tsipras und Kammenos weitgehend. Beide treten für die Aufhebung der Memorandumspolitik ein, beide sind für Sofortmaßnahmen, um die Not der Menschen zu lindern, beide setzen sich für den kostenfreien Zugang aller Griechen zu Gesundheitsversorgung und Bildung ein.

Noch am Montag wurde Tsipras als Ministerpräsident Griechenlands vereidigt. Bei der Zeremonie am Sitz des Staatspräsidenten in Athen versprach der neue Premier, die Interessen des griechischen Volkes zu wahren. Als erste Amtshandlung legte Tsipras Blumen an der Gedenkstätte im Athener Vorort Kesariani nieder. Dort waren am 1. Mai 1944 von den deutschen Besatzern 200 kommunistische Gefangene hingerichtet worden.

Besorgniserregend ist das Abschneiden der »Goldenen Morgendämmerung«. Die neofaschistische Partei, deren nun erneut ins Parlament eingezogene Führungsriege der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt ist und in Untersuchungshaft sitzt, verlor zwar im Vergleich zu 2012 etwa 38.000 Stimmen, einen Sitz und wenige Zehntelprozentpunkte. Sie kann sich aber immer noch auf mehr als 388.000 Wähler (6,28 Prozent) und 17 Sitze stützen.

Die ehemalige Regierungspartei Nea Dimokratia sackte zwar nur leicht, von 29,66 auf 27,81 Prozent ab, verlor aber ihre 50 Bonussitze an Wahlsiegerin Syriza und hält statt 129 nur noch 76 Mandate. Die Kommunistische Partei verbesserte sich gegenüber 2012 auf 5,5 Prozent (vorher 4,5), die sozialdemokratische Pasok stürzte von 12,28 auf 4,68 Prozent ab. Neu im Parlament vertreten ist die erst im vergangenen Jahr gegründete liberale Formation »Der Fluss«, die 6,05 Prozent und 17 Sitze erhielt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 27. Januar 2015


Souveränität verteidigt

Gastkommentar : Linke siegt in Griechenland

Von Andreas Wehr **


Es gibt die Linke in Europa noch. Und sie kann siegen. Der Schwung der Europawahlen vom Mai, der die Linken stärker als die Grünen werden ließ, hält an. Es gibt keinen Automatismus, nach dem in Krisenzeiten immer nur die Rechte gewinnt. Die griechischen Neofaschisten haben am Sonntag sogar Stimmen eingebüßt. Das ist beruhigend.

Der Erfolg von Syriza, der Aufstieg von Podemos in Spanien sowie der irischen Sinn Féin sind Antworten auf die imperialistische Unterdrückungspolitik, die von Berlin ausgeht und von der Troika exekutiert wird. »Griechenland oder Merkel« lautete denn auch der Slogan von Syriza. Die Linksparteien der europäischen Peripherie beginnen, die Souveränität ihrer Nationen zu verteidigen. Das ist alles andere als ein Rückfall in den Nationalismus.

Doch springen die Linken jetzt zu kurz, so bleiben ihre Erfolge Scheinblüten und enden in sozialdemokratischem Politikmanagement. Substantielle Zugeständnisse werden die Herrschenden in Brüssel und Berlin ihnen nämlich nur dann machen, wenn sie selbst einen Preis für ein Festhalten am Kurs der Troika zahlen müssen. Solch ein Preis wäre der Austritt Griechenlands aus dem Euro, der schnell zu einer Erosion der gesamten Währungszone führen könnte. Käme dann noch ein einseitiger Schuldenschnitt hinzu, so wären viele der Milliarden verloren, die seit 2010 an Athen gingen. Dadurch, dass Alexis Tsipras auf diese Option verzichtet hat, schwächte er seine eigene Verhandlungsmacht.

Fraglich ist, ob er jetzt überhaupt noch auf einem weitreichenden Schuldenschnitt und einem Ende der Troika-Politik beharrt. Beunruhigen muss hier ein Interview des SPD-Europapolitikers Martin Schulz im Deutschlandfunk, in dem er von einem langen Telefonat mit Alexis Tsipras bereits in der Wahlnacht berichtete. Nach Schulz sei er ein Pragmatiker, »der ziemlich genau weiß, dass er auch Kompromisse eingehen muss« – und zwar nach innen wie nach außen.

In eine andere Richtung deutet hingegen die Entscheidung von Tsipras, mit der Partei der Unabhängigen Griechen eine Koalition einzugehen. Diese konservative Kraft entstand aus einer Abspaltung der bisherigen Regierungspartei Nea Dimokratia und vertritt einen strikt die staatliche Souveränität betonenden und Euro-kritischen Kurs.

Sollte Tsipras am Ende von seinen zentralen Wahlkampfversprechen abrücken, würde dies zu breiter Enttäuschung und Demobilisierung seiner Anhänger führen. Auch eine Spaltung von Syriza wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Bei einer solchen Entwicklung wären auch die griechischen Kommunisten gefordert, die sich am Sonntag nicht nur behaupten, sondern sogar leicht verbessern konnten.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 27. Januar 2015 (Kommentar)


Debatte zwischen "Neustart" und "Reform"

Reaktionen auf Griechenland-Wahlen: Linke sieht Wende, Bundesregierung und Unternehmer wollen weiteren Sparkurs ***

In der Bundesrepublik haben die Wahlen in Griechenland für eine rege Debatte zwischen »Neustart« und Warnung vor der Abkehr vom diktierten Sparkurs gesorgt. Die Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, beglückwünschten die griechische Linkspartei Syriza zu ihrem Wahlsieg. Nun ginge es darum, »eine Alternative zum sozialen und wirtschaftlichen Kahlschlag« durchzusetzen. Durch den Wahlerfolg von Syriza erhoffen sie sich Veränderungen, die über Griechenland hinausgehen. Er könnte, so die beiden, »den Anfang vom Ende des Zeitalters der verheerenden neoliberalen Politik« in Europa darstellen und »einen grundlegenden Richtungswechsel der Europäischen Union« verursachen. Die Krisenpolitik der deutschen Bundesregierung sei hingegen in Athen abgewählt worden. Dieses Statement gaben Kipping und Riexinger ab, bevor feststand, dass Syriza mit den nationalistischen »Unabhängigen Griechen« koaliert.

In den Netzwerken Facebook und Twitter meldete sich am Montag auch Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken, zu Wort. »Wir alle bekommen eine neue Chance«, meinte er zum Wahlsieg von Syriza. Deren Erfolg sei eine Niederlage für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), da sich das Resultat gegen ihre Austeritätspolitik wende. Gysi appellierte an die Bundesregierung, »den Neuanfang nicht zu verhindern, sondern zu nutzen«.

Von einem Neuanfang sprach auch Simone Peter, Chefin der Grünen, auf einer Pressekonferenz am Montag. Auch die Mitgliedsstaaten der EU sollten nun »die Hand ausstrecken und mit beraten, wie man das wirtschaftliche Desaster, die Massenarbeitslosigkeit in den Griff kriegt«. Derweil erklärte der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, gegenüber der Rheinischen Post, dass die Grünen einem von Syriza geforderten Schuldenschnitt nur »im Gegenzug für soziale und wirtschaftliche Reformen in Griechenland« zustimmen werden.

Die deutsche Bundesregierung hat am Dienstag verlauten lassen, sie wolle auch künftig mit Griechenland zusammenarbeiten. Dies knüpfte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag an die Bedingung, »dass Verpflichtungen eingehalten werden und die neue Regierung an Reformbemühungen anknüpft«. Einen Schuldenschnitt lehne die Bundesregierung weiter ab. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums merkte jedoch an, dass eine Verlängerung des derzeit laufenden »Hilfsprogramms« für Syriza »sicher eine Möglichkeit« sei.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte nach dem Linksruck in Griechenland einen »Politikwechsel in Europa« und das Ende »einer Sparpolitik, die vor allem auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird«. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erinnerte überdies daran, dass ein Großteil der an Griechenland gezahlten Gelder zum Schuldendienst verwendet werden mussten. Das Land bräuchte nun »einen sozialen und demokratischen Wiederaufbau«. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) drängt derweil auf einen weiteren Sparkurs in Griechenland. Es sei »katastrophal«, von diesem abzuweichen, so Hauptgeschäftsführer des BDI, Markus Kerber.

Aus dem Rahmen der Retortenantworten fiel die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Deren Vorsitzender, Patrik Köbele, gratulierte der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), die vor dem Hintergrund »einer starken Polarisierung sowohl ihre Stimmenzahl als auch das prozentuale Ergebnis steigern konnte«. Auch habe sich das griechische Volk nicht durch die »imperialistischen Einmischungen« der Bundesrepublik beirren lassen. Dennoch verwies Köbele darauf, dass »die verhängnisvolle Politik der Troika« »nicht an der Wahlurne alleine zu stoppen sein« werde. Dies könnte nur das Ergebnis einer immer stärker werdenden Massenbewegung sein.

Für die Europäische Union erklärte EU-Kommisar Günther Oettinger (CDU), dass es für Griechenland keine Sonderbedingungen bei den Reformauflagen geben werde. In Anspielung auf den Wunsch des Syriza-Chefs Alexis Tsipras, über die Schulden neu zu verhandeln, erklärte er, das Land werde »keine schlechtere, aber auch keine bessere Offerte bekommen« als die bisherige. Der Vorsitzende der Euro-Zone, Jeroen Dijsselbloem, sagte zudem, dass eine Mitgliedschaft in der Euro-Zone bedeute, »dass alles erfüllt wird, was vereinbart wurde«.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 27. Januar 2015

Hier geht es zum Regierungsprogramm von Syriza:

Was die Syriza-Regierung tun wird
Das Regierungsprogramm von Syriza, vorgestellt auf der Internationalen Messe in Thessaloniki am 15. September 2014




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